Der Karriere-Coaching-Spezialist Jan B. Keller hat Dutzende Banker betreut, die plötzlich auf der Strasse standen – er weiss, wie man danach wieder neue Chancen findet.


Herr Keller, Sie begleiten viele Personen, die aus der Finanzbranche in andere Bereiche wechseln. Können Sie einige Beispiele nennen?

Ein Managing Director einer Grossbank ist jetzt Institutsleiter an einer Fachhochschule; ein Direktionsmitglied einer Genossenschaftsbank arbeitet heute als Immobilienmakler; ein Senior Private Banker leitet ein grosses Altersheim; ein anderer Senior Private Banker hat heute Erfolg als Leiter Corporate Sales einer führenden Automarke. Dies nur einige Beispiele unter unseren Banken-Kandidaten.

Wie muss man vorgehen, wenn man Ähnliches erreichen und die Branche verlassen will?

Es beginnt immer mit einer Standortbestimmung: Ich muss klären, wo meine Kernkompetenzen liegen, wo die Stärken sind, wo es Entwicklungsmöglichkeiten gibt: «Wer bin ich? Was kann ich? Was will ich?» Wir sagen immer: Man muss seine «Eigenkapitalbilanz» erstellen. Dabei muss man auch herausfinden, wo man Erfolg hatte – und was es dazu gebraucht hat.

«Wichtige Stärken gar nicht genutzt»

Auf der Grundlage dieser Bilanz erkennt man rasch seine Optionen. Jeder Mensch hat berufliche Optionen, aber oft erkennt er sie nicht auf den ersten Blick.

Was zeichnet all die Kandidaten aus, die erfolgreich eine neue Stelle in einer anderen Branche bekamen? Sehen Sie übergreifende Stärken?

Der Private Banker, der zum Heimleiter wurde, schaffte das zum Beispiel auf der Basis seiner hohen sozialen Kompetenz. Wenn man seine Talente herausarbeitet und sich fragt, wie stark man diese Talente im jetzigen Job wirklich einsetzen kann, dann kommt eben vielleicht heraus, dass wichtige Stärken gar nicht genutzt werden.

«Jede Bewerbung anpassen»

Wie zum Beispiel die Sozialkompetenz. Die nächste Frage lautet also: Wo kann man das besser einsetzen? Der Wechsel beginnt also damit, dass man sich selber kritisch hinterfragt.

Aber viele zögern doch: Sie befürchten, dass ihr Dossier ohnehin im Papierkorb landet, wenn sie sich branchenfern bewerben.

Einerseits muss man jede Bewerbung eben auch sehr stark an die Branche und an die Umgebung anpassen. Das ist ein Grund, weshalb viele Dossiers nie recht durchdringen. Wer sich beispielsweise auf eine Fachspezialisten-Stelle bewirbt, sollte vielleicht die Führungserfahrung erst an zweiter Stelle betonen. 

«Wir nennen das einen doppelten Salto»

Andererseits muss man aber immer auf einen weiteren Schlüsselfaktor zurückgreifen: das persönliche Netzwerk. Nur ein Fünftel der Stellen in der Schweiz werden nach einer öffentlichen Ausschreibung besetzt. Gut vier Fünftel werden verdeckt vergeben.

Darum muss man immer sein Netzwerk aktivieren, wenn man eine Stelle sucht – sowohl im privaten als auch im beruflichen Bereich. Der Mann, der heute Heimleiter ist, betreute zuvor neben der Banktätigkeit seine Eltern; dabei kam er eben auch in das Umfeld der Pflege- und Heimberufe.

Ihr Rat lautet also: Stricken Sie sich ein Netzwerk ausserhalb der Branche – selbst wenn Sie noch fest in Ihrem beruflichen Sattel sitzen.

Wer einen Branchenwechsel und einen Funktionswechsel schaffen will – wir nennen das einen «doppelten Salto» –, muss sehr gut vorbereitet sein. Die Kompetenzen müssen klar sein, und ein Netzwerk muss vorhanden sein.

«Kontaktieren Sie Executive-Search-Firmen»

So etwas kann man nicht erst in der Not aufbauen. Man muss sein Netzwerk also bewusst aufbauen und pflegen. Ich empfehle zum Beispiel, dass man gezielt Kontakte zu Executive-Search-Firmen aufbaut, ja fast eine Freundschaft etabliert.

Die Headhunter haben normalerweise nicht Zeit für einen, der einfach netzwerken will. Wie baue ich ganz konkret so eine Beziehung auf?

Man kann solchen Executive Searchern schon schmackhaft machen, dass sie zum «Sparring Partner» werden, der einen langfristig über eine Karriere hinweg begleitet. Man trifft sich dann vielleicht ein- oder zweimal pro Jahr; man dient zugleich den Executive-Search-Spezialisten als Ansprechpartner, wenn sie etwas wissen wollen über den Markt oder über bestimmte Leute…

…das heisst: Man muss halt auch ein bisschen illoyal sein zu seiner Firma.

Nein. Aber keine Firma kann einem heute eine Lebensstelle garantieren. Die Mitarbeiter wiederum wägen selber ab, ob es für sie noch stimmt. Es geht also lediglich darum, dass man quasi einen Anwalt hat, wenn dereinst die Situation eintritt, dass es nicht mehr stimmt.

Andererseits kann man durchaus Informationen geben – etwa über den Personalmarkt, über die Branche, et cetera –, ohne Vertrauensbruch zu begehen.

Wie reagieren die Personalchefs anderer Branchen auf Bewerbungen aus Finanzfirmen?

Grundsätzlich sind Branchenwechsel ganz normal: Knapp 50 Prozent unserer Kandidaten machen einen Branchenwechsel. Im Finanzsektor wird die Quote allerdings etwas tiefer sein. Und dazu trägt bei, dass es ausserhalb der Branche viele Vorurteile gibt: «Die verdienen gut», «die arbeiten nicht so streng», «Abzocker» – solche Meinungen sind tatsächlich verbreitet.

«Leute bis 55 finden immer noch auf traditionellen Wegen gute Jobs»

Und zwar auch für Corporate-Funktionen, die letztlich ähnlich ticken und wo das Know-how aus der Finanzbranche benötigt wird. Banker kämpfen mit Vorurteilen, das ist so. 

Stimmt es wirklich, dass Leute über 50 es viel schwerer haben, einen neuen Job zu finden?

Es gibt unterschiedliche Kulturen, und folglich gibt es Firmen, die «jünger ticken». Dort spielt das natürlich hinein. Aber grundsätzlich finden Leute bis und mit 55 immer noch auf ganz traditionellen Wegen gute Stellen; es geht höchstens manchmal ein bisschen länger.

«Die Lösung kann ‹Job Portfolio› heissen»

Auf der anderen Seite besteht zunehmend die Lösung «Job Portfolio», das heisst, man stellt sich mehrere Tätigkeiten zusammen: Management auf Zeit, Projekte, Teilzeitarbeit, Dozententätigkeit, Consulting… Gerade in der Finanzbranche funktioniert dies zunehmend besser. 

Was soll einer, der um seinen Job bangt, sonst vorkehren?

Es gibt mehrere Aspekte: Man muss rechtzeitig seinen Standort bestimmen. Ein Beispiel: Im Private Banking sah man es schon vor Jahren kommen, dass die alte Funktion eines «Relationship Manager» kaum überleben wird. Diesem Wandel waren nicht alle gewachsen.

Das Networking bleibt das A und O»

Wichtig ist also, dass man derartige Entwicklungen früh erkennt; dass man sich dann fragt, ob man die nötigen Kompetenzen mitbringt; und dass man notfalls früh Exit-Strategien entwickelt. Weitere Punkte sind natürlich eine stetige Weiterbildung – und wie erwähnt: das Networking. Es bleibt das A und O