Im härteren Wettbewerb attestiert Raiffeisen-Chef Pierin Vincenz der Schweizer Bankbranche intakte Chancen. Doch müssten Staatshilfen verschwinden, sagt er im Interview mit finews.ch.

Herr Vincenz, in welcher Verfassung präsentiert sich der Schweizer Finanzplatz?  

Er befindet sich in einer Transformationsphase. Die Schweiz hat hier reagiert, vielleicht etwas spät. Aber heute ist allen Beteiligten klar, dass man keinen Gewinn aus unpopulären Steuersystemen anderer Länder schlagen kann. Die neue Welt ist eine Welt des versteuerten Geldes. Das muss in die Geschäftsmodelle integriert werden.

Welchen Handlungsbedarf sehen Sie?

Wesentlich ist, dass im Inland das Verhältnis zwischen Politik und Finanzbranche wieder zu einem Vertrauensverhältnis wird. Darauf müssen Zukunftslösungen aufbauen. Denn die Schweiz und damit auch der Schweizer Finanzplatz haben viel zu bieten. Die politische und wirtschaftliche Stabilität machen sie auch in Zukunft zu einem sicheren Hafen. Die hohe Fachkompetenz der Mitarbeitenden entspricht den gestiegenen Beratungsbedürfnissen der Kunden.


«Es braucht eine Task Force»


Auf dieser Vertrauensbasis muss auch eine Lösung für das Bankgeheimnis in der Schweiz gefunden werden, welche die finanzielle Privatsphäre der Schweizer nach wie vor schützt, jedoch nicht die qualifizierte Steuerhinterziehung.

Es braucht nun ein kompetentes Gremium, eine Task Force, die zunächst die Prioritäten für den Finanzplatz definiert. Diese müssen in die Öffentlichkeit getragen werden, damit das Vertrauen von Kunden und Politik wieder gewonnen werden kann.

Offenbar gibt es keinen Weg mehr vorbei am automatischen Informationsaustausch (AIA)?

Die Schweizer Finanzindustrie wird gestärkt aus diesem Transformationsprozess herauskommen. Die robusten Geschäftsmodelle werden sich durchsetzen. Es wird eine gewisse Konsolidierung stattfinden, die aber nicht nur auf den AIA zurückzuführen ist. Einen massiven Stellenabbau sehe ich deswegen jedoch nicht.


«Der Finanzplatz ist ein lebendiges System»


Wir müssen aber sehr vorsichtig sein, dass wir die Rahmenbedingungen für die Schweizer Wirtschaft nicht noch zusätzlich schwächen. Wir sollten weiterhin ein attraktiver Standort für in- und ausländische Unternehmen bleiben.

Muss sich unser Finanzplatz auf ein Schrecken ohne Ende gefasst machen?

Die Entwicklungen auf dem Finanzplatz haben zu Schrecken geführt. Er ist aber keineswegs am Ende. Der Schweizer Finanzplatz ist ein lebendiges System, für dessen Weiterentwicklung es Erfahrung, Voraussicht und Mut braucht, die Herausforderungen offen anzugehen. Basis sind die Kunden, die Qualität der Akteure und der Schutz der Privatsphäre.

Gibt es ein Rezept, wie sich die unterschiedlichen Interessen von Politik, Industrie und Banken unter einen  Hut bringen lassen?

Die Veränderungen auf dem Finanzplatz haben unter anderem auch dazu geführt, dass die unterschiedlichen Standpunkte und Interessen der verschiedenen Marktteilnehmer wahrgenommen werden.

Der Finanzplatz und dessen Akteure sind nicht in ein hierarchisches System eingebunden, sondern bestehen aus einem Netzwerk von Interessenvertretern. Entscheidend ist, dass die einzelnen Interessen offen gelegt werden.


«Der Markt wird den Ausgleich schaffen»


Für eine erfolgreiche Weiterentwicklung brauchen wir Rahmenbedingungen, in denen sich die Finanzinstitute eigenständig positionieren können. Dazu gehört auch, dass wir uns von Staatshilfen und Staatsgarantien verabschieden.

Der Markt wird den Ausgleich schaffen. Wir sollten uns ein Beispiel an der Uhrenindustrie nehmen, die den Turnaround geschafft hat, ganz im Gegensatz zum Gesundheitswesen, das sich mehr hin zum Staat entwickelt.

Wenn Sie den Blick ins Jahr 2020 wagen: Wo müsste der Finanzplatz Schweiz dann stehen?

Das ist primär eine Frage der Reputation des Finanzplatzes generell und der einzelnen Institute im Speziellen. Die klassischen Schweizer Grundwerte wie Vertrauen, Stabilität, Sicherheit und Qualität stimmen mich zuversichtlich für die Zukunft der Finanzindustrie. 


«Ich sehe keine Interessenkonflikte»


Insbesondere wenn wir die Erkenntnis aus der Finanzkrise konsequent umsetzen, dass sich die Banken an den täglichen Bedürfnissen der Kunden orientieren und sich als Bestandteil der Gesellschaft sehen.

Sie sind Chef der Raiffeisen-Gruppe und Präsident der Notenstein Privatbank. Wie handhaben Sie denkbar auftretende Interessenskonflikte?

Die Notenstein Privatbank ist eine hundertprozentige Tochter von Raiffeisen Schweiz. In diesem Sinn haben wir eine gemeinsame Strategie. Ich sehe keine Interessenkonflikte. Zudem ist der Verwaltungsrat mehrheitlich mit unabhängigen Mitgliedern besetzt.

Planen Sie mittelfristig einen Börsengang der Notenstein Privatbank?

Nein, wir sind glücklich mit der jetzigen Struktur.

Halten Sie nach weiteren Akquisitionen im Private Banking oder Asset Management Ausschau?

Der Markt bleibt dynamisch, und Raiffeisen als dynamisches Unternehmen wird die eingeleitete Diversifikationsstrategie weiterführen.


«Wir werden alles prüfen»


Wir werden alles prüfen, was unter diesem Aspekt Sinn macht. Weitere Akquisitionen werden sich wahrscheinlich weniger auf ganze Banken als eher auf interessante Mitarbeiter-Teams beziehen.

Wo sehen Sie noch Wachstumsfelder für eine Schweizer Bank?

Die Schweiz ist nach wie vor eine erfolgreiche Volkswirtschaft. Daraus ergeben sich zum Beispiel für Raiffeisen Wachstumsmöglichkeiten im Kerngeschäft, insbesondere dort, wo wir tiefe Marktanteile haben. Dazu werden die Vermögensberatung und das Asset Management weiter an Bedeutung gewinnen.

In welchen Bereichen erwarten Sie, dass Raiffeisen in den nächsten fünf Jahren noch deutlich Personal einstellen wird?

In der Kundenberatung sowie in der Informatik werden wir auch in Zukunft einen grossen Bedarf an qualifizierten Mitarbeitenden haben. Das Wachstum wird aber moderater sein als in der Vergangenheit.

Wohin entwickeln sich die Löhne und Boni im Markt Schweiz?

Löhne und Boni stehen in einem engem Zusammenhang zur Ertragskraft einer Branche. Da die Erträge im Finanzbereich unter Druck sind, gehe ich davon aus, dass die Vergütungen tendenziell eher zurückgehen werden.

Löhne und Boni sind aber nur ein Teil der Attraktivität eines Arbeitgebers. Die Wertorientierung, eine klare strategische Positionierung und Stabilität sind Aspekte, die zunehmend Wettbewerbsvorteile auf dem Arbeitsmarkt bringen.


Pierin Vincenz ist seit 1999 CEO von Raiffeisen Schweiz. Praxis- und Führungserfahrung sammelte er zuvor bei der Schweizerischen Treuhandgesellschaft in St. Gallen, beim Schweizerischen Bankverein in Zürich und anschliessend als Vizedirektor in Chicago sowie als Vice President und Treasurer bei Hunter Douglas in Luzern. Im Jahr 1996 wechselte er zur Raiffeisen Gruppe.

Der Banker mit Jahrgang 1956 hält zahlreiche Mandate inne. So ist er auch VR-Präsident der Notenstein Privatbank in St.  Gallen, einer 100-prozentigen Tochter von Raiffeisen Schweiz. Zudem präsidiert er den Verwaltungsrat der Aduno Holding sowie der Pfandbriefbank schweizerischer Hypothekarinstitute.

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