Vittorio Cornaro, Vertreter der dritten Generation bei der Cornèr Bank in Lugano, über Schwarzgeld, die Kannibalisierung der Kunden, Steueramnestien und seine Freundschaft mit UBS-Chef Sergio Ermotti. 


Herr Cornaro, die Schweizer Finanzbranche ist im Umbruch. Wie wirken sich diese Veränderungen auf eine der letzten klassischen Familienbanken in der Schweiz aus?

Die Cornèr Bank, die mein Grossvater 1952 gegründet hat, war immer ein Sonderfall. Indem sie sich den stetigen Veränderungen laufend angepasst hat, konnte sie sich behaupten.

Anfänglich nur in der Vermögensverwaltung tätig, bauten wir später das Kreditgeschäft auf, später, 1972, zählten wir zu den Gründungsmitgliedern der Visa-Kreditkarte in der Schweiz.


«Wir hatten traditionell italienische Kunden»


Es kamen kommerzielle Kredite hinzu und Hypotheken, Handels- und Schiffsfinanzierungen sowie jüngst das Online-Trading. Insofern sind wir eine kleine Universalbank – mit immerhin mehr als 1'000 Mitarbeitern.

Das klingt überaus positiv. Hatten Ihre Kunden nie Schwarzgeld?

Als Tessiner Bank hatten wir traditionell auch italienische Kunden. Durch die diversen Amnestien in Italien floss einiges Geld ab. Ausserdem haben wir manche Kunden bei der Selbstdeklaration begleitet; so ging ein weiterer Teil der verwalteten Vermögen weg.


«Durch und durch sauber»


Wir sind zuversichtlich, schon bald sagen zu können, wir seien durch und durch «sauber». Ich möchte festhalten, dass rund 80 Prozent unserer Kunden Schweizer sind oder Ausländer, die in der Schweiz wohnen. Italienische Kunden stellen für uns kein Klumpenrisiko dar.

Hätten Sie jemals gedacht, dass der Schweizer Finanzplatz dermassen unter Druck geraten würde?

Ehrlich gesagt, niemand hat sich Überlegungen dazu gemacht – das Geschäft lief einfach zu gut. Klar sagte man, vielleicht wird einmal am Bankgeheimnis gerüttelt, aber dass alles so schnell ginge und der Automatische Informationsaustausch (AIA) heute vor der Tür steht, das hat wirklich niemand erwartet.


«Wir können kein Extra-Züglein fahren»


Dabei hätte man es spätestens nach der Ankündigung des damaligen französischen Präsidenten Nicolas Sarkozy ahnen können, als er 2009 sagte, dass alle «Steueroasen» ausgetrocknet würden. Der AIA kommt frühestens 2017 – trotzdem heisst es dauernd, alles gehe viel zu schnell.

Führten Sie bei Ihnen im Hause nie Diskussionen über die Zukunft des Schweizer Finanzplatzes?

Gesprochen haben wir darüber schon, aber am Ende hängen wir von den Branchenverbänden und von den Schweizer Behörden ab; wir konnten kein Extra-Züglein fahren – uns war aber immer klar, dass es vernünftiger ist, deklariertes Geld anstatt nicht-deklariertes Geld zu verwalten.

Geschah Ihre Diversifikation vor diesem Hintergrund?

Ja, natürlich. Wir wollten allerdings nie ausserhalb des Bankgeschäfts diversifizieren. Uns war immer klar: Schuster bleib bei Deinen Leisten.


«So bot sich eine Riesenopportunität»


Aber als familiengeführtes Finanzinstitut können wir jederzeit rasch und gezielt in neue Geschäftsbereiche vorstossen, wie das 2010 mit dem Einstieg ins Online-Trading der Fall war.

Wie kam es dazu?

Es waren keine externen Berater, die uns das empfohlen haben. Vielmehr lernte ich bei einem Abendessen einen Fachexperten aus dem Online-Trading kennen. Er machte mich mit der Bedeutung des Online-Trading vertraut, wobei ich nicht alles verstand, so dass ich ihn zweites Mal in Lugano auf der Bank traf. Am Ende war mir klar, dass sich uns – mit dieser Technologie – eine Riesenopportunität bietet.

Warum?

Eine eigene Plattform auf der grünen Wiese aufzubauen, verschlingt zu viele Ressourcen, insbesondere für eine Bank wie wir es sind. Also haben wir eine bestehende Technologie übernommen.


«Wir sagen unseren Kunden: Passt auf!»


Wichtig war für uns, diesen Online-Service in unsere gesamte Angebotspalette zu integrieren, also unseren Kunden etwas Zusätzliches zu bieten und zwar im persönlichen Kontakt.

Als Online-Bank?

Sie haben Recht. Die meisten Online-Anbieter schicken Ihnen ein Email mit Username und Password und los geht's. Wir machen es anders.

Wir betreuen jeden Online-Kunden persönlich, indem wir – und nicht ein Call-Center – Kontakt mit ihm aufnehmen und uns erkundigen, ob er mit unserer Leistung zufrieden ist. Hat er beispielsweise zu viel Leverage auf seinen Transaktionen, sagen wir ihm: Pass auf! Aber wir machen keine Finanzberatung.

Kannibalisieren Sie mit Ihrem Online-Trading nicht die bestehende Privatkundschaft?

Wenn wir ein kleines Online-Konto eröffnen und das Geld von einer anderen Bank kommt, können wir in gewissen Fällen annehmen, dass es da noch mehr Spielraum für eine grössere Kooperation gibt.


«Wir mussten uns Kritik gefallen lassen»


Insofern versuchen wir übers Online-Banking neue Kunden, zum Teil auch sehr vermögende Kunden, zu gewinnen.

Online-Banking als Kompensation für die künftig ausbleibenden Erträge im klassischen Private Banking?

Nein, es ist eher so, dass es heute unterschiedliche Kundentypen gibt. Manche von ihnen wollen Online-Trading, andere bloss ein gewöhnliches Konto bei ihrer Hausbank haben.

Natürlich müssen wir uns von anderen Instituten jede Menge Kritik gefallen lassen, dass wir mit unserem Online-Service unsere Klientel kannibalisieren würden. Aber letztlich ist es nur eine Frage, ob wir uns selber kannibalisieren oder andere Anbieter uns die Kunden abspenstig machen.


«Viele Bankkunden sind frustriert»


Die Online-Broker machen ja nichts anderes, als Kunden von anderen Banken abzuwerben. Am Ende ist das Online-Trading eine gute Diversifikation unseres Angebots.

Ist das Gros der Schweizer Bankkunden nicht längst verteilt auf die diversen Grossanbieter, wie UBS, Credit Suisse, Kantonal- und Raiffeisenbanken verteilt?

Viele Kunden sind frustriert und einem Wechsel nicht abgeneigt. Zudem haben wir nach wie vor einen verschwindend kleinen Marktanteil. Insofern können wir uns noch enorm steigern.

Warum wechseln manche Bankkunden zu Ihnen?

Ich behaupte, viele Banken ändern ihre Strategien allzu oft – weil ein neues Management an Bord kommt, weil manche Aktionäre Druck machen, weil einfach wieder etwas Neues her muss.

Und bei Ihnen?

Wir haben langfristige Pläne – and that's it. Natürlich haben wir ein Jahresbudget, aber wir denken langfristig und fragen uns, was wollen wir in zehn Jahren erreicht haben. Wir schauen nach vorn und schätzen dann ab, was wir in zwei oder drei Jahren erreichen können.


«Viele Banken werden verschwinden»


Sicherlich können wir uns länger gedulden als börsenkotierte Unternehmen, die ständig unter einem Handlungsdruck stehen.

Warum sind Sie Bankier geworden. Mussten Sie es aus familiären Gründen?

Nein, ich habe Maschineningenieur an der ETH in Zürich und nachher an der HSG in St. Gallen Wirtschaftswissenschaften studiert. Ich wusste, dass ich irgendwann in der (Familien-)Bank arbeiten würde, aber der Zeitpunkt war offen. Zunächst sammelte ich Erfahrungen als Wertschriftenhändler in London, bevor ich 2004 zur Cornèr Bank stiess.

Stichwort «Tessin». Überlebt der Finanzplatz?

Aktuell gibt es auf dem Platz noch etwa 60 Banken. Ich vermute, dass viele Institute verschwinden werden. Das ist die Realität. Mit jeder weiteren Steueramnestie in Italien wandert Geld ab – jeweils etwa 30 Prozent. Für viele der entsprechenden Institute gibt es somit kein Geschäftsmodell mehr.

Kommt das Geld nicht zurück, weil der Schweizer Finanzplatz angeblich so gut ist?

Zum Teil, aber als Bank sind Sie dadurch mit tieferen Kommissionen, also tieferen Erträgen, und gleichzeitig mit steigenden Kosten konfrontiert.


«Wir wollen keine Probleme von Dritten»


Da wird das Überleben schwierig, sofern sie kein anderes Geschäftsmodell haben. Einige Banken wurden bereits verkauft, andere finden gar nicht erst einen Käufer. So kommt es zu Schliessungen und Liquidationen.

Ist das gut oder schlecht für Sie?

Netto-netto. Es ist nicht schlecht, aber auch nicht unbedingt gut. Unsere Klientel ist heutzutage breit diversifiziert, und es ist nicht richtig, Schadenfreude zu empfinden, wenn andere Banken eingehen.

Aber Sie hätten doch die Möglichkeit, das eine oder andere Institut zu übernehmen.

Wir haben bereits einige Vertraulichkeits-Erklärungen unterzeichnet, aber bisher nie eine Bank gekauft.

Weshalb nicht?

Was Sie heute kaufen können, sind Problemfälle von Dritten. Ich glaube, wir sind gut genug, unsere eigenen Probleme zu kreieren. Spass beiseite: Die zum Verkauf stehenden Banken haben nach wie vor enorme Legacy-Probleme. Wer ein solches Institut kauft, muss über kurz oder lang einen Grossteil der Klientel verabschieden. Unter dem Strich bringt das nichts.


«Welche Banken haben in Asien Erfolg?»


Sobald die Situation bereinigt ist, und wir in der Schweiz tatsächlich eine Weissgeldstrategie am Laufen haben, wird es interessant sein, das eine oder andere Institut zu übernehmen, das selber nicht mehr die erforderliche kritische Grösse aufweist.

Wie muss eine Bank beschaffen sein, damit sie in Zukunft Erfolg haben kann?

Alle zwei oder drei Jahre kommt jemand, der genau weiss, wie viele Assets nötig sind, um zu überleben. Das ist Unsinn. Der Erfolg hängt vom Geschäftsmodell ab. Es gibt sehr kleine Banken, die in einer Nische tätig sind und profitabel arbeiten. Entscheidend ist, welche Geschäfte man betreibt.

Ist eine Expansion ins Ausland ein Thema für Sie?

Nein. Natürlich haben wir uns das angeschaut, konnten uns aber nie für einem solchen Schritt entschliessen. Ich möchte gerne wissen, welche Schweizer Banken in Asien erfolgreich sind.


«Die Rechtssicherheit ist unsicher geworden»


Wir haben kein Interesse daran, dass auf unserer Visitenkarte irgendein Ort in Asien steht, wo wir im Endeffekt kein Geld verdienen. Wo die Cornèr Bank tätig ist, ist sie auch profitabel.

Wollte Sie noch nie jemand kaufen?

Doch, doch, aber wir sind unverkäuflich. Seit 60 Jahren funktionieren wir als Familienbank, und unsere Pläne sind auf zwanzig oder sogar dreissig Jahre angelegt. Es wird Aufgabe der vierten Generation sein, die Zukunft weiter zu gestalten. Natürlich gibt es Kaufinteressenten, aber für einen solchen Deal braucht es bekanntlich zwei Parteien.

Wo sehen Sie den Schweizer Finanzplatz in fünf Jahren?

Die Trümpfe der Schweiz sind ihre Rechtssicherheit, die allerdings auch etwas unsicher geworden ist, sowie die politische und finanzielle Stabilität. Der Schweizer Finanzplatz ist überall auf der Welt nach wie vor anerkannt. Ausserdem sind unsere Bankdienstleistungen gut. Nicht unbedingt die Performance, aber im Allgemeinen ist unser Service sogar ausserordentlich gut.

Keine Gefahren am Horizont?

Das grösste Risiko ist sicherlich die Regulierung. Wir können kein nachhaltiges Bankgeschäft betreiben, wenn wir überreguliert sind. Da explodieren bloss die Kosten, und die Banken sind dann gezwungen, mehr Risiken zu übernehmen und so genau das Gegenteil dessen zu tun, was die Regulierung anstrebt.


«Wir brauchen nicht mehr Regulierung»


Überregulierung ist auch nicht im Interesse der Konsumenten respektive der Kunden. Sie erschwert nur alles. Das geht in der ganzen Diskussion oftmals vergessen.

Inwiefern?

Die Schweizer Bankbranche hat sich in der Finanzkrise mit einer Ausnahme ausserordentlich gut geschlagen. Dass wir heute ein Problem mit unversteuerten Geldern haben, hat nicht direkt mit der Finanzkrise zu tun, sondern mit den seither leeren Staatskassen in der Welt. So gesehen brauchen wir für unsere Banken nicht mehr Regulierung.


 Vittorio Cornaro 200Der 42-jährige Vittorio Cornaro ist heute Executive Vice President der Cornèr Bank. Er kam in Lugano zur Welt und studierte Ingenieurswesen an der ETH in Zürich sowie Wirtschaftswissenschaften an der Hochschule St. Gallen. In der Folge arbeitete er als Wertschriftenhändler bei der US-Bank Merrill Lynch in London, wo auch der heutige UBS-Konzernchef Sergio Ermotti tätig war. Die beiden Tessiner sind eng miteinander befreundet. Im Jahr 2004 kehrte Cornaro in die Schweiz zurück und trat als Vertreter der dritten Generation ins familieneigene Finanzinstitut ein. Ermotti lancierte seine Berufskarriere mit einer Lehre bei der Cornèr Bank in Lugano.

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