Stehen die Anleger am Anfang einer neuen Börsenhausse? Martin Jetzer, Ökonom und Chefstratege von Bellecapital, nimmt dazu Stellung.  

MJ

Wer in den letzten dreissig Jahren US-Aktien kaufte und behielt, erzielte keine oder allenfalls eine unwesentlich bessere Rendite, als wenn er in Staatsobligationen investiert hätte. Dies ist der Befund mehrerer Fachleute in den letzten Wochen.

Dazu gehört auch Martin Jetzer (Bild), der international renommierte Ökonom und Chefstratege der Zürcher Vermögensverwaltungsfirma Bellecapital.

Nach vielen Jahren der Stagnation...

Die Risikoprämie, die Anleger im Prinzip dafür belohnen und motivieren sollte, Aktien anstatt Obligationen zu halten, fiel also extrem mager aus. Das hängt vor allem mit dem Zinshoch Anfang der achtziger Jahre zusammen und dem historischen Abwärtstrend der Obligationenrenditen sowie mit den Krisen, respektive Einbrüchen an der Aktienbörse, die sich in dieser Zeitspanne ereigneten.

«Anleger, die sich nur schon einem grossen Einbruch entziehen können, erzielen mit ihrem Portfolio eine massiv bessere Langfrist-Performance», betont Martin Jetzer. Nach seiner Einschätzung entwickeln sich die Märkte tendenziell in grossen Schüben: Nach vielen Jahren der Stagnation kommt es jeweils zu einer mächtigen Börsenhausse, welche die Märkte erst wieder in Form einer langen Seitswärtsbewegung ‹verdauen› müssen, wie Jetzer weiter ausführt.

Euphorische Kollegen

Gut zeigte sich das beispielsweise mit der Dot.com-Blase, die manchen Investoren enorme Kursgewinne bescherte, bevor es zum Einbruch kam und seither – im ganz grossen Vergleich – eine eher stagnierende Phase zu beobachten ist. Doch das könnte sich bald ändern, wie Jetzer erklärt.

Damit steht er nicht alleine da. Letzte Woche publizierte das britische Wochenmagazin «The Economist» eine entsprechende These und auch der bekannte Investmentstratege Jim O'Neill von Goldman Sachs Asset Management vertrat dieser Tage dieselbe Meinung. Inzwischen musste auch O'Neills Kollege Peter Oppenheimer von Goldman Sachs nachziehen. Konkret: Einiges deutet darauf hin, dass sich die Märkte, nach den massiven Verwerfungen in den letzten Jahren, nun wieder nachhaltig nach oben bewegen könnten. Peter Oppenheimer spricht gar von der «Best Opportunity in a Lifetime».

Aufschwung seit Dezember 2011

Martin Jetzer erkannte diese Entwicklung ebenfalls vor einigen Wochen. Tatsächlich haben sich die Börsen seit etwa Anfang Dezember 2011 erstaunlich positiv entwickelt. Jetzer führt dies vor allem auf die fortgesetzte Liquiditätszufuhr durch die wichtigsten Zentralbanken auf dieser Welt zurück. Insofern ist die jüngste Avance an den Börsen nicht primär auf wirtschaftliche Fortschritte zurückzuführen, sondern auf geldpolitische Massnahmen, welche insgesamt ein gutes Umfeld geschaffen haben, wie der Ökonom betont.

Damit könnte nun der Boden für eine längere, positive Entwicklung gelegt sein, wie Jetzer und andere Auguren feststellen. Verschiedene Gründe sprechen dafür: Viele grosse börsenkotierte Unternehmen befinden sich grundsätzlich in einer höchst gesunden Verfassung und zeigen für 2011 gute Jahresresultate. Zudem scheint sich die Wirtschaft in den USA rascher zu erholen als bisher vermutet wurde.

Bankaktien mit weiterem Potenzial

Hinzu kommt, dass in den Vereinigten Staaten ein Wahljahr ist. Vor diesem Hintergrund werden sich die Politiker und Behördenvertreter hüten, die zarte Konjunktur abzuwürgen, wie Jetzer weiter erklärt. Stattdessen werde es bei einer anhaltenden Liquiditätszufuhr bleiben, was die Börsenhausse weiter nähren dürfte. Vor diesem Hintergrund ist interessant: «Blue-Chip-Aktien sind noch nicht überteuert, verglichen mit Obligationen sogar ausgesprochen günstig bewertet», sagt Jetzer.

Seit Dezember 2011 haben auch die zuvor arg gebeutelten Bankaktien grossmehrheitlich an Terrain gewonnen. Auf kurze bis mittelfristige Sicht werden die «financials» weiter von den guten Rahmenbedingungen (viel Liquidität im Markt, gute Unternehmensergebnisse, florierende Wirtschaft) profitieren, ist der Ökonom von Bellecapital überzeugt. Allerdings rät er aus Risikoüberlegungen davon ab, auf einzelne Banktitel zu setzen und empfiehlt stattdessen, entsprechende Index-Fonds (ETFs) zu kaufen.

Kaufgelegenheiten nutzen

Jetzer erachtet den momentanen Zeitpunkt für günstig, in Aktien einzusteigen – dies nicht zuletzt auch mit einer gewissen Contrarian-Sicht, zumal immer noch mehr Geld in teure Obligationen fliesst als in relativ günstige Dividendenpapiere. «Wer vorwiegend in festverzinslichen Anlagen investiert ist, sollte jetzt Kaufgelegenheiten nutzen», sagt Jetzer, weil die Mehrheit der Marktteilnehmer die Hausse verpasst habe.

Nach wie vor nehme in der Wahrnehmung der Anleger die Euro-Krise am meisten Raum ein. Darum entgehe manchen Investoren, dass viele Aktien erfolgreicher europäischer Unternehmen auf ein attraktives Bewertungsniveau gefallen seien, so Jetzer weiter und betont überdies, dass Blue-Chips-Aktien wie Nestlé oder Roche heutzutage «risikoloser» seien als einige Staatsobligationen – eine neue Welt!

«Politischer Börsenzyklus»

Martin Jetzer mahnt indessen auch zur Vorsicht. Die derzeit günstige Entwicklung könnte ab 2013 oder 2014 durch neue Turbulenzen beeinträchtigt werden. Zum einen ortet der Bellecapital-Stratege vor allem in China ein gewisses Risikopotenzial, falls die dortigen Wirtschaftspolitiker die konjunkturellen Anpassungsprozesse falsch einschätzten und die Kontrolle verlören; als Stichwörter nennt Jetzer da den Immobiliensektor und den Kreditzyklus – in beiden Bereichen habe sich bereits eine bedrohliche Blase gebildet. Zum andern droht die Umkehr des «politischen Börsenzyklusses» – eine notwendig gewordene Straffung der Geldpolitik findet oft nach den Wahlen statt.

Komme es, so Jetzer weiter, in China zu einer merklichen Abkühlung bei einer gleichzeitig deutlichen Verminderung der globalen Liquiditätszufuhr, dürften auch die Rohstoffpreise einbrechen und eine neue Phase der Verunsicherung die Märkte ereilen. Doch vorerst geht Jetzer von grundsätzlich positiven Rahmenbedingungen aus. «2012 ist das Jahr der Reflation», sagt er.

US-Finanzmarkt am rationalsten

Mit anderen Worten: Die Zentralbanken werden streng darauf achten, die Märkte mit weiterem Kapital zu versorgen, um die Rezessionsgefahr zu bannen. Gleichzeitig könne der Schuldenabbau durch eine etwas höhere Teuerungsrate erleichtert und beschleunigt werden.

Auf Grund seiner langen Erfahrung hält Martin Jetzer den amerikanischen Finanzmarkt für den rationalsten. Vor diesem Hintergrund sei es ein durchaus gutes Zeichen, dass die USA nun ermutigende Signale an der Börse aussenden würden. Als Anleger gelte es, diese Zeichen der Zeit frühzeitig zu erkennen.


Martin Jetzer ist Chief Economist von Bellecapital und trägt als Chief Investment Officer die Verantwortung für die Anlagestrategie. Zuvor war er während 25 Jahren Chief Economist der HSBC Guyerzeller Bank und während vielen Jahren Mitglied der Geschäftsleitung. Martin Jetzer war Mitbegründer und Herausgeber der Schweizer Finanzmarktpublikation «Finanzmarkt und Portfolio Management» und ist Mitglied einer amerikanischen Expertenkommission.

Welche Schweizer Privatbank bietet an der Börse nun das grösste Potenzial?
Welche Schweizer Privatbank bietet an der Börse nun das grösste Potenzial?
  • Julius Bär, weil der Kurs seit dem Signa-Debakel genügend gesunken ist.
    20.35%
  • Vontobel, weil das Unternehmen 2024 die Wende im Asset Management schaffen wird.
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  • EFG International, weil die Bank keinerlei interne Probleme bekundet und stark wächst.
    14.83%
  • UBS, weil die Grossbank auch als Privatbank enormes Potenzial bietet.
    46.41%
  • Banque Cantonale Vaudoise, weil sie unter den Kantonalbanken ein grosses Private Banking anbietet.
    9.64%
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