Ich nehme an, dass die Diskussion um Barack Obamas Aussage im Wahlkampf inzwischen geklärt wäre: «You didn't build that» (zu Deutsch etwa: «Das war nicht Deine Leistung»), womit er darauf anspielte, dass Unternehmer ihren Erfolg nicht nur sich selbst verdanken, sondern auch der Gemeinschaft).

Vielleicht war es doch ihre Leistung, jedoch nicht ausschliesslich. Vielleicht gilt auch, was John Lennon oben mit verworrenen Worten beschreibt: «Ich glaube, ein ‹Ja› zu meinen, doch das stimmt alles nicht. Das heisst, ich glaube, nicht einverstanden zu sein.»

Bill_Gross_150Wie dem auch sei: Statt eines wirtschaftlichen Mandats ähnelten die US-Wahlen vom November eher einer gesellschaftlichen Kritik an der Angewohnheit der Republikaner, mit geschlossenen Augen durchs Leben zu gehen. Ihre Ansichten bezüglich dessen, was Conan O'Brien in seiner Late-Night-Show als «weibliche Körperteile» bezeichnete – Immigration, Homosexuellenrechte und Studentendarlehen –, stellten sich als grosse Verlierer heraus, und die Republikaner werden ihre Anschauungen ändern müssen, anstelle sie zu verteidigen, wenn sie im Jahr 2016 mit Aussicht auf Erfolg zur Wahl antreten möchten.

Ich vermute, das werden sie auch. Schliesslich sind politische Parteien lebende soziale Organismen, die mutieren, um zu überleben. In vier Jahren dürften wir Zeuge werden, wie der liberale Chris Christie oder der hispanisch angehauchte Marco Rubio das republikanische Lager gegen eine neu gestärkte Hillary Clinton anführen. Es wird auf jeden Fall ein Schauspiel, bei dem das Casting dem Motto «No Country for Old (White) Men» folgen wird.

Es wird immer schwerer

Wer auch immer in die Fussstapfen von Präsident Obama treten wird – die kommenden vier Jahre werden voraussichtlich von strukturellen ökonomischen Hürden geprägt sein, die unter dem amerikanischen Volk für Frustration sorgen werden. «Happy days are here again» war der Refrain von Franklin D. Roosevelt zu den Zeiten der Grossen Depression; der Titelsong von 2012 und den darauffolgenden Jahren dürfte hingegen starke Ähnlichkeit mit «Strawberry Fields Forever» aufweisen, in dem Lennon lamentiert: «Es wird immer schwerer, jemand zu sein, doch es kommt alles irgendwie hin.»

Wieso ist es in der heutigen Zeit so schwer, jemand zu sein, das College zu finanzieren, einen gut bezahlten Job zu finden und sich Komfort im Rentenalter zu erlauben? Dies war die eigentliche ökonomische Fragestellung der Wahl von 2012, mit der sich beide Seiten jedoch nur relativ oberflächlich befassten. «Da draussen wartet ein besseres Leben auf uns», rief Gouverneur Mitt Romney wenige Tage vor der Wahl einer Menschenmenge aus mehreren Tausend Personen in Des Moines, Iowa, zu, ging in Wirklichkeit jedoch nie darauf ein, wie man dorthin gelangt oder, noch bedeutender, wieso wir nicht schon längst auf dem Weg sind. Das politische «Forward»-Mantra des amtierenden Präsidenten war sogar noch vager formuliert.

Fiebersenkende Wirkung

Stille Worte, wenn auch nur aus dem Grund, dass die wahre Ursache für das verhaltene Wirtschaftswachstum in einer Reihe struktureller und nicht zyklischer Hürden verborgen liegt, deren Beseitigung sich als schwierig erweisen könnte. Während es Wachstums-Tränklein gibt, die zweifellos eine fiebersenkende Wirkung haben, stehen dieses Mal möglicherweise keine wundersamen politischen Mittel zur Verfügung, die, ähnlich den vorangegangenen Dekaden, eine notwendige Heilung herbeiführen könnten.

Diese strukturellen Hürden lassen sich nicht einfach fortwünschen, während wir uns «nach vorne» bewegen, ob nach rechts, nach links oder schnurstracks geradeaus. Im vergangenen Monat gab der Vorsitzende der US-Notenbank Ben Bernanke bei einer bedeutenden Rede vor dem New York Economic Club zu, dass das Wachstumspotenzial der US-Wirtschaft «zumindest für eine Weile» eingeschränkt bleiben werde.

Strukturelle Hürden

In der Tat bestätigte er damit die «Neue Normalität» von Pimco, die bereits seit drei Jahren gegenwärtig ist, und wies die Schuld daran teils der Finanzkrise, teils dem verringerten Produktivitätswachstum und teils der Unsicherheit der Anleger hinsichtlich der herannahenden Fiskalklippe Klippe zu.

Dem widersprechen wir nicht. Nichtsdestotrotz gibt es eine Vielzahl weiterer struktureller Hürden, die das reale Wachstum noch unter die Wachstumsrate der Neuen Normalität von 2 Prozent drücken dürften, die soeben durch Bernanke bestätigt wurde; nicht nur in den USA, sondern in sämtlichen Industrieländern der Welt. Dazu zählen:

1. Verschuldung / Schuldenabbau

Die Industrieländer in aller Welt sind schlicht und einfach zu stark verschuldet. Bei dem Versuch, eine Lösung für das Dilemma zu finden, sollte die damit verbundene Sparpolitik noch über Jahre hinweg ein Hemmnis für das reale Wachstum darstellen. Es gibt Menschen, die an den Brylcreem-Ansatz des Haushaltsausgleichs glauben: «Ein Klecks Pomade wird schon ausreichen.»

Einfach das Verhältnis Haushaltsdefizit / BIP um einige Prozentpunkte senken, so argumentieren diese, und die Privatwirtschaft wird auf wundersame Weise zurückkehren, um die Lücke zu stopfen. Ein entsprechender Erfolg stellte sich nach zwei bis drei Jahren der Sparmassnahmen in Euroland jedoch nicht ein. Die meisten dieser Länder stecken in einer Rezession und/oder Depression.

Leiden unter der Grossen Depression

Die dortigen Entscheidungsträger hätten die historischen Fakten unter die Lupe nehmen sollen, die die US-Ökonomen Carmen Reinhart und Ken Rogoff in einer wichtigen kritischen Veröffentlichung mit dem Titel «Growth in a Time of Debt» vorlegten. Darin gelangten sie zu der Schlussfolgerung, dass in den vergangenen 200 Jahren das Wirtschaftswachstum eines Landes stets um fast 2 Prozent zurückging, sobald die Schuldenquote von 90 Prozent überschritten wurde, was sowohl für Industrie- als auch für Schwellenländer galt und im Schnitt ein knappes Jahrzehnt andauerte.

Ihre Ausführungen zeigen die Entwicklungen in den Vereinigten Staaten von 1790 bis 2009 auf. Dabei ging das durchschnittliche jährliche BIP-Wachstum der USA, das deutlich unter der Grossen Depression litt, ebenfalls stets um 1,8 Prozent zurück, sobald die Schuldenquote über die Schwelle von 90 Prozent trat. Wendet man das Standardmessverfahren der Autoren an, liegt die Schuldenquote der USA derzeit im Übrigen bei 100 Prozent (man beachte auch die durchschnittliche Inflationsrate von 5½ Prozent während der gleichen Zeiträume).

In der Bibel steht geschrieben...

Neben den Schuldenniveaus souveräner Staaten, die im Mittelpunkt der Untersuchungen von Reinhart/Rogoff standen, sehen sich auch die Finanzinstitute und die Privathaushalte ähnlichen Wachstumshürden gegenüber. So müssen die Geldhäuser ihr Eigenkapital anhand von einbehaltenen Gewinnen erhöhen, während die Haushalte sich gezwungen sehen, ihre Ersparnisse zu erhöhen, um ihre Bilanzen auszugleichen.

Ihr gemeinsames Bedürfnis, die «nationale Nettosparquote» zu steigern, die im Investment Outlook November 2012 beschrieben wurde, stellt langfristig zwar eine Lösung für die Schuldenkrise dar, hemmt auf kurze oder mittlere Sicht jedoch das Wachstum. Die biblische Metapher von sieben fetten Jahren, auf die sieben magere Jahre folgen, dürfte im derzeitigen Fall durchaus zutreffen; schliesslich waren Jahrzehnte der Vorbereitung nötig, um den Wachstumsschub der fortgeschrittenen Volkswirtschaften herbeizuführen.

Die Heilung dürfte mindestens ein weiteres Jahrzehnt in Anspruch nehmen.

2. Globalisierung

Die Globalisierung hat sich als historischer Wachstumstreiber erwiesen; sollte sie sich jedoch verlangsamen, könnte die Wirkung ihres Koffeins nachlassen. Auch der Fall des Eisernen Vorhangs gegen Ende der achtziger Jahre und die Entstehung des kapitalistischen China kurz darauf haben einen wesentlichen Beitrag zur Förderung des Wachstums geleistet. Die Hinzugabe von zwei Milliarden weiteren Gästen verhalf dem Restaurants namens «Weltwirtschaft» zu Wohlstand und steigerte die Gewinne und das Wachstum der Industrieländer, obwohl sich dies auch negativ auf die heimische Beschäftigung und die Einkommen auswirkte.

Derzeit flaut der Rückenwind jedoch ab und nimmt eine Geschwindigkeit an, die sich im Vergleich zur Norm der vorangegangenen Jahrzehnte unaufhaltsam verlangsamt. Ist es verwunderlich, dass das Auf und Ab der Märkte heutzutage gleichermassen durch die politischen Entwicklungen in China hervorgerufen wird wie durch die USA oder Euroland? Wenn die chinesische Wirtschaft und die mit der Globalisierung verbundenen Vorteile nachlassen, dürften auch die Wachstumsraten der Industrieländer folgen.

3. Technologie

Die Technologie war stets ein Segen für die Produktivität und dementsprechend auch für das reale Wirtschaftswachstum, doch sie hat auch eine Schattenseite. Im Verlauf des vergangenen Jahrzehnts wurde die menschliche Arbeit recht kommentarlos durch Maschinen und Robotertechnik ersetzt, während die USA und andere fortschrittliche Volkswirtschaften das Ziel verfolgten, dem Einfluss der billigen Arbeitskräfte aus Asien entgegenzuwirken.

Vor nahezu einem Jahrhundert wies John Maynard Keynes die Wirtschaftsgemeinschaft auf eine «neue Krankheit» hin, die er als «technologische Arbeitslosigkeit» bezeichnete und bei der es nicht möglich war, neue Stellen in demselben Tempo zu schaffen, in dem alte Arbeitsplätze durch die Automatisierung vernichtet wurden. Auch die MIT-Wissenschaftler Erik Brynjolfsson und Andrew McAfee bestätigten jüngst, dass die Arbeitskräfte das Rennen gegen die Maschinen verlieren.

Eine «Flüster»-Ziffer

Buchhalter, Maschinisten, Medizintechniker und selbst Softwareentwickler, die die entsprechenden Programme für die «Maschinen» schreiben, werden ersetzt, ohne dass eine entsprechende Anzahl an gut bezahlten Ersatzarbeitsplätzen mit hohem Einkommen geschaffen wird. Umschulung und Neueinstellung in besser bezahlten und wertschöpfungsintensiven Stellen?

Dies mag der politische Mythos des modernen Zeitalters sein. Denn von diesen Arbeitsplätzen gibt es zu wenige. Eine strukturell höhere Arbeitslosenquote von 7 Prozent oder mehr ist die gefürchtete «Flüster»-Ziffer in Federal-Reserve-Kreisen. Trotz ihrer produktiven Vorteile könnte die Technologie in einer Verlangsamung und nicht in einer Beschleunigung des Wirtschaftswachstums resultieren.

4. Demografische Entwicklung

Demografie ist Schicksal, und ähnlich einer Krebserkrankung wird der demografische Wandel zum stillen Wachstumskiller. Zahlreiche Studien sowie der gesunde Menschenverstand kommen allesamt zu derselben unausweichlichen Schlussfolgerung, dass die Nachfrage in einer wirtschaftlichen Gesellschaft abnimmt, sobald diese ein bestimmtes durchschnittliches Alter überschreitet. In der Regel besteht der dynamische Bevölkerungsteil einer Volkswirtschaft in der Altersgruppe zwischen 20 und 55 Jahren.

Hier werden Haushalte gebildet, Familien gegründet und zunehmend berufliche Erfahrung und Know-how gewonnen. Heutzutage schreitet der Alterungsprozess in nahezu sämtlichen Industrieländern, darunter auch in den USA, jedoch stetig voran, während ein immer grösserer Anteil der erwachsenen Bevölkerung die kritische Schwelle von 55 Jahren überschreitet.

Mehrere verlorene Jahrzehnte

Für das Wirtschaftswachstum hat dies mehrere Konsequenzen: Erstens werden auf der Angebotsseite die Wachstumsraten von Produktivität und Beschäftigung verringert, während auf der Nachfrageseite die Ersparnis und die Verringerung des Konsums an Bedeutung gewinnen. Menschen, die sich ihrem siebten Lebensjahrzehnt nähern, brauchen weniger Autos und weniger neue Eigenheime.

Auch bekommt nahezu keiner von ihnen mehr Nachwuchs (Gott sei Dank!). Derartig niedrige Geburtenraten und ein beträchtlicher Rückgang der Nachfrage gefährden Japan inzwischen bereits seit mehreren – verlorenen – Jahrzehnten. Eine ähnliche Entwicklung könnte im Verlauf der kommenden Jahre viele der einstigen Babyboom-Industrienationen in veraltete Gesellschaften verwandeln.

Baby you can drive your car oder Schlussfolgerung für Anleger

Ich erinnere Pimco's Investment-Komitee nur zu gerne daran, dass man keine Futures auf das Bruttoinlandprodukt (BIP) kaufen kann – zumindest noch nicht. Trotz allem müssen die Hypothesen bezüglich der realen Wachstumsraten in Anlageentscheidungen umgesetzt werden, unabhängig davon, wie akkurat sie sind.

Lassen Sie mich im Vorfeld jedoch anmerken, dass die beschriebenen strukturellen Hürden in gewisser Weise durch positive Impulse abgeschwächt werden können und es vermutlich auch werden. So dürften das günstigere Erdgas und die Möglichkeit, den 40-jährigen Aufwärtstrend der Energiekosten einzudämmen oder sogar umzukehren, sich als Segen für die Produktivität und somit für das Wachstum herausstellen.

Jules Verne ist nicht unter uns

Es ist die Rede davon, dass die USA innerhalb eines Jahrzehnts energieunabhängig werden können. Auch der heimische Immobilienmarkt könnte einen erneuten mehrjährigen Aufschwung erfahren. Noch weitere unvorhergesehene Produktivitätssteigerungen könnten kurz bevorstehen.

Wie viele der Schwarzmaler hätten schliesslich das Internet oder einen der anderen technischen Durchbrüche vorhersehen können, bevor sie Wirklichkeit wurden? Ein Jules Verne ist nicht unter uns.

Dass sich die meisten Industrieländer in absehbarer Zukunft jedoch mit realen Wachstumsprognosen von 2 Prozent oder weniger konfrontiert sehen, wird selbstverständlich auch Konsequenzen für die Vermögensanlage haben. Im Folgenden ist eine Liste von Anlageinstrumenten aufgeführt, die kürzlich in einem Artikel von Rana Foroohar im «TIME»-Magazine erschienen ist und die durch Pimco bevorzugten und gemiedenen Anlageinstrumente in Anbetracht der anhaltenden strukturellen Veränderungen beschreibt:

Bevorzugte Anlageinstrumente

  • Rohstoffe wie Öl und Gold
  • inflationsgesicherte US-Staatsanleihen
  • hochwertige Kommunalanleihen
  • Schwellenländer-Aktien, die nicht in Dollar denominiert sind

Gemiedene Anlageinstrumente

  • langlaufende Anleihen aus Industrieländern, wie den USA, Grossbritannien und Deutschland
  • High-Yield-Anleihen
  • Finanzwerte von Banken und
  • Versicherungsunternehmen

Diese Liste macht unsere Ansicht deutlich, dass die Wachstumsraten der Schwellenländer auch in Zukunft höher sein werden als jene der Industrieländer. Ausserdem werden ihre durchschnittlichen Schuldenniveaus deutlich geringer und die Altersstrukturen ihrer Bevölkerungen deutlich jünger bleiben.

Des Weiteren werden die Industrieländer in Anbetracht des geringeren Wachstums auf die unvermeidliche Politikmassnahme einer Reflation zurückgreifen müssen, um die Auswirkungen der beschriebenen strukturellen Hürden zu minimieren. Sind diese reflationären Massnahmen von Erfolg gekrönt, werden sie in den kommenden Jahren die Renditen 10- bis 30-jähriger Anleihen allmählich erhöhen.

John Lennon hat gewarnt

Im Juli sank die Rendite 30-jähriger US-Staatsanleihen auf einen historischen Tiefstand von 2,50 Prozent – ein Wert, der in einem Jahrzehnt als lachhaft abgetan werden dürfte. Die Anleger sollten mit künftigen annualisierten Anleihenrenditen von maximal 3 bis 4 Prozent rechnen sowie mit Aktienrenditen, die nur wenige Prozentpunkte darüberliegen.

Wie John Lennon bereits warnte, wird es tatsächlich schwieriger, jemand zu sein, so wie es ebenfalls schwieriger wird, das Wirtschaftswachstum aufrechtzuerhalten, an das sich die Anleger gewöhnt haben.

Die Neue Normalität wird uns, wie in Strawberry Fields beschrieben, mitnehmen und unsere Erwartungen künftiger Anlageerträge senken. Entgegen dem Liedtext mag dieser Zustand zwar nicht «für immer» währen, doch er wird uns noch eine lange, lange Zeit begleiten.