Die Schweiz setzt die internationalen Kapitalanforderungen an die Banken brav um. Langsam sollte sie sich wieder mehr am Ausland orientieren, schreibt Markus Staub.

Markus_Staub_SBVMarkus Staub ist Leiter Bankenpolitik/Bankenregulierung bei der Schweizerischen Bankiervereinigung

Die Schweiz setzt die neuen internationalen Standards der Eigenkapitalregulierung, kurz Basel III, mustergültig um. Die schweizerischen Vorschriften entsprechen inhaltlich den Empfehlungen des Basler Ausschusses für Bankenaufsicht und sind planmässig auf Anfang 2013 in Kraft getreten.

Im Vergleich mit wichtigen Vergleichsfinanzplätzen, insbesondere in den USA und in der EU, ist die Schweiz damit (einmal mehr) Musterknabe. Ist das gut?

Vorweg: Damit sich dieser Beitrag nicht dem Macho-Vorwurf aussetzt, er würde das (mindestens grammatikalisch gesehen) weibliche Geschlecht der Schweiz unterdrücken, wird in der Folge bewusst die weibliche Form verwendet. Ich hoffe einfach, dass die Wortschöpfung «Mustermädchen» nicht neue Kritik aus anderen Kreisen provoziert.

Grenznutzen, Grenzkosten – und viele offene Fragen

Eine ökonomisch fundierte Antwort auf die gestellte Frage muss differenziert ausfallen. Aus konzeptioneller Sicht gilt: Das Optimum an Regulierungsintensität befindet sich trivialerweise am Punkt, wo sich Grenznutzen und Grenzkosten zusätzlicher Regulierung die Balance halten. That's pretty easy. Aber auch ziemlich nutzlos.

Denn in der Praxis ist typischerweise methodisch unklar und politisch umstritten, wie Nutzen und Kosten zu beziffern und abzuwägen sind. Insbesondere handelt es sich natürlich um relative Begriffe: Es geht letztlich auch um den Nutzen- (oder Kosten-) Überschuss im Vergleich mit der Konkurrenz im Ausland.

Stabilisieren wir noch oder schädigen wir schon?

Das Argument, dass einschneidende Regulierung zu vermarktbaren Vorteilen (Reputation) führt, indem sie die Sicherheit und Stabilität eines Instituts oder Finanzsystems erhöht, ist zwar richtig, doch möglicherweise nicht über das ganze Spektrum denkbarer Regulierungsintensitäten.

Die in letzter Zeit in so manchem Kontext anzutreffende Sicht, dass das regulatorische Korsett der Musterschülerin die Systemstabilität verbessert, ist ein simplizistisches Killer-Argument, das die Kostenseite beziehungsweise die Nachteile vernachlässigt. Spätestens ab einem gewissen Grad an Regulierung drohen nämlich handfeste Wettbewerbsnachteile, zum Beispiel in Form höherer Eigenkapitalkosten, zu überwiegen. Die Antwort respektive Gegenfrage auf die eingangs gestellte Frage ist also: Befinden wir uns bezüglich Basel III noch vor oder bereits hinter dem beschriebenen Optimum-Punkt, ab dem der Netto-Grenznutzen negativ wird?

Ich weiss es nicht. Und hoffe Letzteres nicht. Sicher scheint mir aber, dass bezüglich Eigenkapitalanforderungen der Spagat zwischen dem Mustermädchen Schweiz und den weniger ambitiösen USA oder auch der weniger strebsamen EU gegenwärtig bedenklich gross ist.

  • Die USA haben bekanntlich bisher nicht einmal Basel II flächendeckend umgesetzt, am aktuellen Rand wird wortreich auf Dodd-Frank und dessen vielfältige Implikationen verwiesen. 
  • Die EU bemüht sich zwar um eine Umsetzung der Standards von Basel III, schafft sich jedoch an zentralen Stellen Ausnahmeregelungen und hinkt dem Basler Zeitplan weit hinterher.

Vor diesem Hintergrund ist der Musterschülerin mit Nachdruck zu empfehlen, ihren Abstand von den anderen Schülern im Auge zu behalten.

Pionierin zu sein und einen Vorsprung zu haben, mag vorteilhaft sein. Aber die Distanz darf nicht zu gross werden. Weil das kleine helvetische Mustermädchen seine komparativen Vorteile nicht in der Machtpolitik hat, muss es vielmehr seine eigene Bankenregulierung darauf konditionieren, dass auch das relevante Vergleichsausland mitzieht.

Tut es das nicht, muss auch die Musterschülerin ihre Hausaufgaben revidieren und gegebenenfalls eine Verbesserung schreiben dürfen.