Der Finanzprofessor Erwin W. Heri stellt fest, dass die Aktionen der Zentralbanken zum Stammtisch-Thema avanciert sind. Ist das nur gut?

Erwin W. Heri ist Professor für Finanztheorie an der Universität Basel und am Swiss Finance Institute in Zürich

Frühere Zentralbank-Präsidenten hatten es einfacher. Ihre Strategieankündigungen und ihre geldpolitischen Aktionen wurden im besten Fall von einer Handvoll Spezialisten kommentiert und interpretiert, und sowohl die handelnden Marktteilnehmer als auch ein möglicherweise interessiertes Publikum nahmen die Aktionen mehr oder weniger zur Kenntnis.

Das hat sich spätestens nach der Übernahme des Präsidiums des Federal Reserve Board – der amerikanischen Zentralbank – durch Paul Volcker, später dann unter Alan Greenspan und in extremis in den letzten Jahren unter Ben Bernanke verändert.

Ein Stammtisch-Thema

Heute sind die Aktionen der Zentralbanken zu einem Stammtischthema ersten Ranges geworden. Bernanke hier, Bernanke dort. Wenn die Aktienmärkte steigen, dann hat Bernanke wohl mal wieder die Geldschleusen geöffnet. Wenn sie sinken, dann hat er sich wohl negativ über das Wirtschaftswachstum geäussert.

Und natürlich ist es in jedem Fall auch möglich, dass morgen das gleiche Argument für das jeweils gegenteilige Verhalten der Märkte hinhalten muss. Das ist zwar alles ein bisschen verwirrend, aber in unserer informations- und interpretationshungrigen Gesellschaft nicht wirklich störend.

Was kümmern den Schreiberling, der den täglichen News-Tsunami zu interpretieren hat, die Zeilen, die er gestern geschrieben hat?

Mehr eine Kunst als eine Wissenschaft

Dabei gilt doch auch heute noch, was vor vielen Jahren Jürg Niehans als einer der profiliertesten Geldanalytiker seiner Zeit und Berater verschiedener Zentralbankgouverneure gesagt hat, nämlich «... central banking is more an art than a science».

Und heute tun wir wieder so, als ob eine Volkswirtschaft wie ein mechanisches Werk funktionieren würde, bei welchem es genügt, irgendeine spezielle Schraube zu drehen, damit an irgendeinem anderen Ort irgendeine Wirkung entsteht. Wenn die Welt doch nur so einfach wäre.

Wir wissen, dass sie es nicht ist, ignorieren es aber systematisch. Weder kann Ben Bernanke systematisch und nachhaltig eine Hausse der Aktienbörse produ­zieren, noch kann er nachhaltig dafür sorgen, dass Wirtschaftswachstum entsteht.

Schwierig genug

Eine Zentralbank hat ein Hauptziel, dem sie nachhaltig nachleben sollte: die Stabilisierung des Wertes des von ihr geschaffenen Geldes, sprich: eine möglichst tiefe und im Zeitablauf stabile Inflationsrate.

Dass sie dabei Nebenziele im Auge halten soll – in einzelnen Ländern, notabene: in den USA, gar als Vorgabe bekommt –, sei unbestritten. Die Hauptaufgabe ist und bleibt aber eine möglichst inflationsneutrale Versorgung der Volkwirtschaft mit liquiden Mitteln. Schon das ist nämlich schwierig genug.

Ausserordentliche Massnahmen

Nun haben uns die letzten Jahre gelehrt, dass ausserordentliche Ereignisse nach ausserordentlichen Massnahmen verlangen. Und natürlich ist das Arsenal einer Zentralbank voll von Instrumenten, die bei Krisen im wirtschaftlichen und im finanzpolitischen Umfeld effektiv eingesetzt werden können, um Remedur zu schaffen.

Die Wirtschaftstheorie hat in den letzten fünfzig Jahren analytische Arbeit geleistet, um aufzuzeigen, wie das Instrumentarium einer Zentralbank in Krisensituationen eingesetzt werden kann, um Katastrophen, wie wir sie in den frühen dreissiger Jahren des letzten Jahrhundert erlebt haben, aufzufangen.

Das süsse Gift

Bernanke selbst hat während seiner Zeit als Hochschulprofessor an diesen Konzepten gearbeitet. Das Problem ist, dass inzwischen alle möglichen Couleurs versuchen, das «süsse Gift» der Zentralbankinterventionen zu missbrauchen, um kurzfristige Konjunktur- und Strukturpolitik zu betreiben – oder mit anderen Worten: die nächsten Wahlen zu gewinnen.

Ich wiederhole mich: Die Geldpolitik kann weder nachhaltiges Wirtschaftswachstum schaffen noch verfehlte Strukturpolitik korrigieren. Hier muss die Wirtschafts- und Strukturpolitik, mit anderen Worten: der ­politische Prozess, die Verantwortung übernehmen. Nur der politische Prozess kann vernünftige Strukturen als Grundvoraussetzung für eine nachhaltig positive Wirtschafts- und Konjunkturentwicklung schaffen.

Vom Pfad der Tugend abgekommen

Leider sind wir aber in vielen Ländern schon viel zu weit vom Pfad solcher geldpolitischer Tugend abgekommen. An allzu vielen Orten – in den Medien und eben auch an den Stammtischen – hat sich die Meinung eingenistet, die Geldpolitik könne all das leisten, was an sich die Politiker leisten sollten. Ein gefährlicher Trugschluss.

Natürlich werden wir wieder auf den Pfad der geldpolitischen Tugend zurückkehren (müssen). Früher oder später. Je später wir realisieren, dass wir eigentlich – zumindest in den USA – schon lange den Krisenmodus verlassen sollten, um auf den normalen Konjunkturzyklus mit seinen Auf und Abs umzustellen, desto schwieriger wird der Weg zurück.

Zyklische Abschwünge

Dieser Weg wird gepflastert sein mit steigenden Zinsen und steigenden Inflationsraten. Auch werden wir über kurz oder lang wieder einmal eine Inversion der Zinsstrukturkurve sehen und im Kontext des normalen Konjunkturzyklus auch wieder zyklische Wirtschaftsabschwünge. Wir sollten aber langsam davon wegkommen, dies alles immer nur im Krisenmodus zu interpretieren.

 

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