Exklusiv auf finews.ch: Investorenlegende George Soros über seine Erwartungen für 2009 – und weshalb die Talsohle in wenigen Monaten schon durchschritten sein könnte.

Von George Soros

Die Zukunft der Weltwirtschaft hängt sehr davon ab, ob Präsident Obama so umfassende und zusammenhängende Massnahmen erlassen wird, wie ich sie hier vorgestellt habe. Fast ebenso wichtig ist die Reaktion Chinas, Europas und anderer wichtiger Player. Wenn die internationale Zusammenarbeit gut funktioniert, kann die Weltwirtschaft vielleicht schon wieder Ende 2009 ihre tiefe Talsohle verlassen.

Ohne einen koordinierten Ansatz wird der Niedergang noch wesentlich länger anhalten und in ein wirtschaftliches und politisches Chaos münden. Und selbst bei einer hervorragenden Zusammenarbeit werden wir aller Wahrscheinlichkeit nach einige wilde Marktschwankungen erleben.

Rettungspakete sollen in produktive Investitionen fliessen

Das Gleichgewicht lässt sich nicht auf einen Schlag wiederherstellen. Das ist ein Prozess mit mindestens zwei Phasen: Zunächst muss viel Geld in die Wirtschaft gepumpt werden, um den Zusammenbruch des Kreditwesens auszugleichen; dann, wenn die Kredite wieder fliessen, muss dem System die Liquidität wieder fast so schnell entzogen werden, wie sie bereitgestellt wurde.

Cover George SorosWie bereits erwähnt, ist der zweite Schritt technisch und politisch schwieriger als der erste: Dem amerikanischen Kongress fällt es viel leichter, Geld bereitzustellen, als die Steuern zu erhöhen. Daher ist es umso wichtiger, dass die Rettungspakete in relativ produktive Investitionen fliessen. Die Rettung der Automobilindustrie muss die Ausnahme sein, nicht die Regel.

In den kommenden beiden Jahren wird die Regierung eine unverhältnismässig grosse Rolle in der Wirtschaft spielen, weil sie nahezu die einzige Finanzierungsquelle darstellt. Der Staat wird einen bedeutenden Teil des Bankensystems und über die Banken einen erheblichen Anteil an Gewerbeimmobilien übernehmen. Auch in der Automobilindustrie wird er das Sagen haben, hoffentlich jedoch nicht in allzu vielen weiteren Branchen.

In den Wohnimmobilienmarkt wird er auf jeden Fall verwickelt sein. Dadurch entsteht ein gigantisches Agency-Problem – ein Problem, das entsteht, wenn Treuhänder ihre eigenen Interessen über die der Auftraggeber stellen. Das Agency-Problem führte den Sozialismus und Kommunismus ins Verderben. In einer idealen Welt würden die Menschen leisten, was sie können, und erhalten, was sie brauchen, doch in der Praxis neigen die Mächtigen dazu, ihre eigenen Bedürfnisse und die ihrer Angehörigen über die der anderen zu stellen.

Der Teufel steckt im Detail

Ironischerweise war das Agency-Problem auch ein wichtiger Faktor beim Zusammenbruch des Immobilienmarkts in den USA. Als die Investmentbanker aus risikoreichen Hypotheken CDO schnürten, dachten sie, sie würden so das Risiko durch Streuung mindern; tatsächlich jedoch schufen sie zusätzliche Risiken, indem sie die Interessen der Agenten von den Interessen der Eigentümer trennten.

Für das Agency-Problem gibt es keine einfache Lösung. Transparenz und Rechenschaftspflicht sind hilfreich, doch dies sind allgemeine Oberbegriffe, und der Teufel steckt im Detail. Wir haben Glück, dass eine Regierung, die nicht an die Handlungsmacht des Staates glaubte, von einer Regierung abgelöst wurde, die das tut.

Banken dürfen nicht in staatlicher Hand bleiben

Präsident Obama hat eine Welle der Begeisterung geweckt und kann diese hoffentlich in eine Stimmung umwandeln, die in Zeiten der Krise den Dienst an der Öffentlichkeit obenan stellt und sich mit dem Gemeinwohl identifiziert. Doch selbst dann birgt die überdimensionierte Rolle des Staates eine grosse Gefahr für die politische und wirtschaftliche Zukunft des Landes. Ich möchte nur an Italien in der Zwischenkriegszeit erinnern, das faschistisch wurde und am Ende fast die gesamte Schwerindustrie verstaatlicht hatte.

Banken in staatlicher Hand sind immer noch besser als ein Bankensystem, das nicht funktioniert, dennoch sollte das nur ein vorübergehender Zustand sein, weil sich das Agency-Problem im Lauf der Zeit noch verschlimmert.

Unter Henry Paulson geriet die Situation ausser Kontrolle

Die Rekapitalisierung des Bankensystems und die Neuordnung der Immobilienfinanzierung sollten so weit wie möglich strikten Regeln folgen. Die Finanzbehörden – insbesondere das Finanzministerium und die Notenbank – haben es sich mittlerweile zur Tradition gemacht, in Krisensituationen willkürlich und heimlich zu agieren. Das ist notwendig, damit Krisen nicht ausser Kontrolle geraten.

Aber unter Henry Paulson geriet die Situation trotzdem ausser Kontrolle, und sein eigenmächtiges und willkürliches Handeln machte alles nur noch schlimmer. Wenn man von Fall zu Fall entscheidet, gerät man leicht unter den Einfluss von Lobbyisten und politischen Überlegungen. Die Obama-Administration muss mit dieser Tradition brechen und systemische Reformen durchführen.

Lesen Sie auch, welche Prognose George Soros dem Dollar, den Zinsen und China stellt.

«Die Analyse der Finanzkrise... und was sie bedeutet - weltweit», George Soros, Seiten 144, ISBN 978-3-89879-500-5, Preis CHF 28.90, EUR 14.90, Erscheinungstermin: 13. Juli 2009, FinanzBuch Verlag, jetzt bestellen.

 

 

 

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