Der Luzerner Vermögensberater Christof Strässle warnt davor, Beratungsgebühren als Allheilmittel gegen erodierende Gebühren zu betrachten. Trotzdem arbeitet er nach einem honorarbasierten Ansatz.  


Herr Strässle, Sie betonen, kein Vermögensverwalter, sondern ein Vermögensberater zu sein. Warum dieser Unterschied?

Ein Vermögensverwalter trifft Anlageentscheide und versucht dabei, besser zu sein als der Markt – dies gelingt langfristig nur den wenigsten. Unser Ansatz ist weiter vorne in der Wertschöpfungskette angesiedelt.

Nämlich?

Wir optimieren Strukturen und Prozesse, machen Risiken und Leistungsdefizite transparent und stellen die relevanten Grundlagen für Anlageentscheide zur Verfügung. Hier die richtigen Weichen zu stellen, ist viel bedeutender für den langfristigen Erfolg als die Jagd nach relativer Rendite.

Können Sie das noch etwas genauer klären?

Natürlich. Ich erwähne da drei Trends: Erstens die zunehmende Komplexität der Materie. Die Fülle an Information nimmt laufend zu. Dabei den Überblick zu behalten, ist für jemanden, der sich nicht permanent mit den Finanzmärkten beschäftigt, schwierig.


«Die Strukturen führen zu einer Spezialisierung»


Zweitens führen die veränderten Ertragsstrukturen und regulatorischen Auflagen in der Finanzbranche zu einer Spezialisierung. Um die besten Anbieter nutzen zu können, müssen Kunden mit einer grösseren Anzahl an Dienstleistungspartnern zusammenarbeiten. Deshalb braucht es einen Verantwortlichen für die Konsolidierung der Vermögenswerte und Koordination der verschiedenen Anbieter.


«Die Zahl der Kunden pro Berater erhöht sich»


Drittens führen Zeit- und Kostendruck sowie Haftungsüberlegungen zu einer Standardisierung im Anlagegeschäft. Individuelle Lösungen sind bei Banken immer schwieriger umzusetzen. Will man sich der Masse entziehen, muss vermehrt auf unabhängige Dritte zurückgegriffen werden.

Ihre Existenzberechtigung leitet sich im Prinzip von der Tatsache ab, dass die Banken gegenüber ihren Kunden ihren Job nicht richtig machen. Richtig?

Das so zu formulieren, wäre zu kurz gegriffen. Wir stellen bei unserer täglichen Arbeit fest, dass die Mehrheit der Bankberater sich redlich bemüht, den Job korrekt zu machen. Das Problem ist systembedingt.

Der Kundenberater ist das Nadelöhr, bei dem sämtliche Kundenbedürfnisse und bankseitigen Anforderungen zusammenkommen. Die tieferen Erträge der vergangenen Jahre führen zu einem Druck auf die Kosten, in dessen Folge sich die Zahl der Kunden pro Berater kontinuierlich erhöht.


«Die Kunden haben strategische Defizite»


Vor dem Hintergrund permanent zunehmender Administrations- und Dokumentationsaufgaben nimmt somit die zur Verfügung stehende Zeit pro Kunde ab. Dies fördert standardisierte Lösungen. Da lassen sich auch Interessenskonflikte kaum vermeiden.

Wenn Bankkunden zu Ihnen kommen und Ihnen ihre Portefeuilles präsentieren. Was sind dann jeweils die grössten «Sündenfälle»?

Diese sind sehr heterogen. Am bedeutendsten sind die strategischen Defizite. So stellen wir immer wieder fest, dass zwischen der formulierten Absicht des Kunden und dem Portfolio massive Differenzen bestehen.

So bezeichnen sich Kunden beispielsweise als «Dividenden-orientiert» oder «Buy-and-hold-Investoren», halten aber Portfolios mit spekulativen Titeln, tiefer Dividendenrendite und hohem Turnover.


«Die Kostensensibilität ist gestiegen»


Was erstaunlicherweise noch relativ oft vorkommt, ist, dass teure Anlageprodukte eingesetzt werden, die im fairen Leistungsvergleich keinen Mehrwert generieren.

Zudem sind sich Kunden oftmals nicht im Klaren über die Wirkungsweisen und Risiken ihrer Anlagen. Insbesondere dann, wenn komplexe Finanzinstrumente oder strukturierte Produkte zum Einsatz kommen.

Nach der Finanz- und Vertrauenskrise bei den Banken sollte man doch meinen, die Branche verhalte sich heute gegenüber dem Kunden anders. Doch wie erklären Sie sich diese «Sündenfälle»?

In den letzten Jahren ist die Sensibilität der Kunden bezüglich Kosten, Performance und Risiken deutlich gestiegen. Die Banken begegnen dem mit einer erhöhten Datentransparenz sowie mehrseitigen Disclaimers und Risikohinweisen. Die Kunden sind mit den erhaltenen Informationen jedoch oft überfordert und entscheiden emotional oder mit kurzfristiger Optik.

Hat denn keine Lernkurve bei den Banken stattgefunden?

Differenziert. Nehmen wir die Thematik Retrozessionen. Im Oktober 2012 entschied das Bundesgericht, dass Retrozessionen im Grundsatz dem Kunden gehören. Wir haben seither diverse institutionelle und private Kunden bei der Klärung ihrer individuellen Ausgangslage und allfälligen Geltendmachung ihrer Ansprüche begleitet.


«Den Wandel der Zeit nicht erkannt»


Vielerorts sind die Banken bemüht, die Vergangenheit ad acta zu legen und konstruktiv vorwärts zu arbeiten. Es gibt aber auch Institute, die den Wandel der Zeit noch nicht erkannt haben.

Beim Umgang der Banken mit den Kunden – stellen Sie da Unterschiede fest zwischen den einzelnen Bankengruppen (Grossbanken, Kantonalbanken, Regionalbanken, Privatbanken, übrigen Banken)?

Die Unterschiede stellen wir nicht zwischen Bankengruppen fest, sondern zwischen Banken, manchmal sogar innerhalb der Institute selbst. Generell lässt sich sagen, dass informierte Kunden im Bankverkehr bessere Karten haben als uninformierte.


«Anleger sind bereit, für Beratung zu bezahlen»


Da Sie ja selber keine Produkte kaufen respektive verkaufen, beruht Ihre Arbeit auf einem Honorar. Nach welchem Ansatz legen Sie dieses fest?

Wir beraten vermögende Private, Pensionskassen und Stiftungen. Diesen verrechnen wir für unsere Dienstleistungen ein Beratungshonorar, welches zeitbasiert oder pauschal vereinbart wird. Dieses Honorar ist unsere einzige Einnahmequelle. Somit sind wir auch nur unseren Kunden gegenüber verpflichtet.

Sind die Kunden bereit, ein solches Honorar zu bezahlen, oder braucht es da noch Überzeugungs- oder Aufklärungsarbeit?

Die Erfahrung zeigt, dass Anleger durchaus bereit sind für die Beratung zu bezahlen, sofern diese Beratung einen massgeschneiderten Mehrwert bietet und auf das Kundeninteresse ausgerichtet ist.


«Beratungsgebühren sind kein Allheilmittel»


Unsere Kunden schätzen die honorarbasierte Beratung insbesondere, weil sie Leistung und Gegenleistung nachvollziehbar miteinander in Relation setzten können.

Inzwischen gehen auch manche Banken zu einer honorarbasierten Beratung über. Ist das die Zukunft?

Dieser Trend zeigt sich tatsächlich. Allerdings stelle ich fest, dass die Beratungsgebühr häufig eine rein kompensatorische Funktion hat. Dann besteht Erklärungsbedarf, wieso der Kunde nun für etwas bezahlen soll, das er bis anhin scheinbar gratis erhalten hat.

Beratungsgebühren sind kein Allheilmittel gegen erodierende Gebührenstrukturen, sondern ein Entgelt für ein Leistungsversprechen, das bei der täglichen Arbeit verdient werden muss.


«Regulierung hat immer zwei Gesichter»


Die Beratung ist mit Inhalt zu versehen, der vom Kunden als Mehrwert verstanden werden soll. Ferner werden Bankberater auch in einer honorarbasierten Beratung Diener zweier Herren sein. Dieser Interessenskonflikt bleibt bestehen.

Auf Grund der verschärften Regeln und Bestimmungen in der Finanzbranche wird es für kleinere Anbieter immer schwieriger, zu bestehen. Überbordet man in der Schweiz mit den Vorschriften?

Regulierung hat immer zwei Gesichter und führt nicht selten zu neuen Knacknüssen. Der Zwang zur Risikodiversifikation führte zur «Too-big-to-fail-Problematik», die Vorschriften zur Eigenmittel-Unterlegung zur Verbriefung von Forderungen und damit zum Brandbeschleuniger der letzten Finanzkrise.


«Nicht im Interesse der Kunden»


Die Geschichte ist voll von solchen Beispielen. Bei den jüngsten Regulierungsabsichten bekomme ich aber schon den Eindruck, dass Systemstabilität und aufsichtsrechtliche Steuerung über Kundennutzen gestellt werden.

Wenn die Anzahl Anbieter regulationsbedingt zurück geht und zu oligopolistischen Strukturen führt, kann dies nicht im Interesse des Kunden sein.

Mit dem Steuerstreit in den USA und dem absehbaren Automatischen Informationsaus-tausch (AIA) verändert sich der Schweizer Finanzplatz enorm. Welche Anziehungskraft und Qualitäten wird der Schweizer Finanzplatz in fünf Jahren haben.

Entscheidend für den Finanzplatz Schweiz ist, wie die Regulierung in anderen bedeutenden Finanzplätzen wie Singapur und London aussehen wird. Meines Erachtens muss sich die Schweiz wieder vermehrt dem Thema Rechtssicherheit widmen.


«Das ist Gift im Bankgeschäft»


Laufend ändernde Gesetze und Regulierungen mit direkten Implikationen für den Kunden sind Gift im Bankgeschäft. Dies gilt sowohl für inländische wie auch für ausländische Kunden.

Der Schweizer Bankkunde wird auch in fünf Jahren auf eine gut funktionierende Kreditversorgung und ein umfassendes Dienstleistungsangebot im Anlagebereich zurückgreifen können – dies womöglich aber in einer anderen Kombination der Dienstleistungspartner.


Christof Straessle 200Christof Strässle ist Gründer und Managing Partner der unabhängigen Vermögensberatung Strässle & Partner Vermögens-Engineering mit Sitz in Luzern.

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