Dass der frühere tschechische Staatspräsident Václav Klaus im Kommunismus ein gewöhnlicher Bankangestellter war, ist wenig bekannt. Was er in dieser Funktion genau tat, und wie er heute über die Schweiz denkt, verrät er in einem Interview mit finews.ch.


Herr Klaus, Sie haben zu Zeiten des Kommunismus’ als Angestellter der Tschechoslowakischen Zentralbank gearbeitet. Was genau war Ihre Aufgabe dort?

Vaclav Klaus CB 160Das war keine Nationalbank im klassischen Sinn, sondern ein komplexes Staatsgebilde namens «Monobank», sozusagen ein Amalgam aus Notenbank und staatlich kontrollierten Geschäftsbanken.

Bereits Mitte der 1980er-Jahre gab es Bestrebungen, diese beiden Institutionen zu trennen. Ich war in dieser Angelegenheit aktiv.

Wie sind Sie überhaupt in diese doch merkwürdige Finanzwelt geraten?

In den späten 1960er-Jahren war ich an der Wirtschaftsfakultät der Akademie der Wissenschaften tätig und befasste mich mit Geldpolitik und Finanzwesen. Am 1. September 1968 hätte ich eine Stelle als Berater des damaligen Vorsitzenden der Staatsbank antreten sollen. Doch der Einmarsch der Warschauer Paktstaaten am 21. August kam dem zuvor. So blieb ich in der Akademie, bis ich 1970 im Laufe der «Normalisierung» meine Anstellung verlor.

Wie ging es dann weiter?

Ich musste eine neue Arbeit suchen. Einmal in Ungnade gefallen, war das nicht einfach. Ich meldete mich bei der Zentralbank, zumal die Verantwortlichen dort wussten, dass sie mir 1968 einen Job angeboten hatten, der mir entgangen war. Ich bekam dann eine Anstellung in einer Prager Stadtfiliale.

«Ich befasste mich in jener Zeit mit ökonometrischen Statistiken»

Ich hatte Glück, dass Anfang der 1970er-Jahre die ersten Computer eingeführt wurden. Als man für die Kommunikation zwischen den IT-Leuten und den Bankangestellten jemanden suchte, habe ich mich gemeldet. Daraus ist dann die Abteilung für «neue mathematische Modelle» entstanden.

Was muss man sich darunter vorstellen?

Ich befasste mich mit ökonometrischen Statistiken. Das lag meinen Interessen schon wieder etwas näher. Im Jahr 1987 kam es zu einer Reorganisation der Akademie der Wissenschaften. Dabei entstand das Prognose-Institut, wo ich eine Anstellung bekam und so zu meinen wissenschaftlichen Ursprüngen zurückkehren konnte.

«1989 wagte sich kaum jemand in die Ferien»

Mit Prognosen hatte das Institut zwar wenig zu tun. Es ging eher darum, eine Debatte über die Gesellschaft und Wirtschaft zu führen. In dem Institut blieb ich bis zur Samtenen Revolution im November 1989.

Haben Sie gespürt, dass es zu einer politischen Wende kommen würde?

Bestimmt! In der zweiten Hälfte der achtziger Jahre dreht sich alles nur noch um die Frage, wann bringt ein einziger Tropfen das ganze Fass zum Überlaufen. Unsere Generation, die schon den Prager Frühling in den 1960er-Jahren erlebt hatte, war mit dieser Situation vertraut. Im Jahr 1989 wagte sich kaum jemand mehr in die Ferien, um den Umbruch ja nicht zu verpassen.

Was machte Sie damals so sicher?

Bereits in den frühen 1980er-Jahren war der Kommunismus sehr geschwächt, fragil. Niemand in der ČSSR glaubte mehr an dieses System.

«Es gab mehr Kommunisten in Kalifornien»

Schon 1980 fragte mich ein amerikanischer Wissenschaftler von der University of California, Berkeley, wie viele Leute in der Tschechoslowakei noch an den Marxismus und Kommunismus glaubten, und ich antwortete ihm: Ich bin überzeugt, dass es an Ihrer Hochschule mehr Marxisten und Kommunisten hat als in diesem Land.

War eine Emigration nie eine Option für Sie?

Der Kommunismus war eine Realität für meine Generation, und mir war immer klar, dass ich zu diesem Land gehörte. Als die Warschauer Pakttruppen im August 1968 einmarschierten, war ich zufälligerweise an einer Tagung in Österreich, ich kehrte jedoch wenige Tage später zurück nach Prag, und im Jahr danach hielt ich mich zu Studienzwecken an der Cornell Universität in den USA auf.

«Ich hätte in den USA ein ruhiges Leben als Professor führen können»

Dort hätte ich problemlos bleiben und ein ruhiges Leben als Professor aufnehmen können. Aber auch in diesem Fall kehrte ich in meine Heimat zurück. Rückblickend bin ich sicher, dass ich richtig gehandelt habe.

Was hielt Sie im innersten davon ab, in den Westen zu fliehen?

Das Leben im Kommunismus war gewiss kompliziert. Ich konnte zwanzig Jahre lang auch nicht in den Westen reisen, zumal meine Schwester 1968 in die Schweiz emigriert war. Dennoch war der Alltag in der Tschechoslowakei der 1970er- und 1980er-Jahre nicht so deprimierend wie in den 1930er-Jahren oder in der Sowjetunion.

«Es gab Literatur, Filme und Jazz»

Wer sich bemühte, kam an westliche Literatur heran, konnte sich verbotene Filme ansehen, und es gab etwa auch eine interessante Jazz-Szene. Das Leben war vielschichtiger als man sich das heute vielleicht vorstellt. Ich hatte auch viel Zeit, mich um unsere Kinder zu kümmern. Viele meiner Kollegen im Westen, die Karriere gemacht haben, haben dieses Privileg nie gekannt.

Was hat Sie nach der Wende bewogen, Finanzminister zu werden?

Ich bin Makroökonom. Geldpolitik, Finanzwesen, Staatshaushalt, Inflation, das sind Themen, mit denen ich mich Zeit meines Lebens auseinander gesetzt habe, so dass ich ein durchaus logischer Kandidat war.

Haben sich die berühmten Dissidenten und Künstler um Václav Havel auch für die freie Marktwirtschaft interessiert?

Kaum. Sie standen am linken Rand des politischen Spektrums, und es mangelte ihnen an ökonomischer Kompetenz.

Václav Havel war der Freiheitsheld und Sie sozusagen die Reizfigur. Wie geht man damit um?

Václav Havel verkörperte eine theoretische, um nicht zu sagen leere Definition des Liberalismus’. Für ihn standen politische und kulturelle Ziele im Vordergrund, ökonomisch gesehen blieb er stets ein Sozialist, der gegen die freie Marktwirtschaft war. Als Wirtschaft definierte er vor allem die kleinen Krämerläden um die Ecke.

«Ich habe zehn Jahre im Streit mit Václav Havel verbracht»

Daraus resultierte eine permanente Konfrontation zwischen uns beiden. Ich habe mehr als zehn Jahre im Streit mit ihm verbracht.

Der Neubeginn nach der Samtenen Revolution Ende 1989 war zunächst aber höchst vielversprechend. Sie haben in ihrer Funktion als Finanzminister dazu beigetragen, ganze Wirtschaftsbereiche zu liberalisieren. Trotzdem hat dies dem Land nicht den erhofften Aufschwung gebracht. Warum?

Tatsächlich ist es uns damals gelungen, die Voraussetzungen für eine parlamentarische Demokratie rasch zu schaffen und einen fundamentalen Systemwechsel hin zur Marktwirtschaft zu vollziehen. Radikal und ohne unnötige Verzögerungen haben wir die Wirtschaft dereguliert, von Subventionen befreit und privatisiert. Leider war diese Entwicklung nicht nachhaltig.

Warum?

Einerseits führten innenpolitische Gründe zu einem Status quo, andererseits haben die Bestrebungen, der EU beizutreten, vieles von dem wieder zunichte gemacht, was wir zunächst erreicht hatten. Bald einmal setzte ein Umkehrprozess ein.

Was lief schief?

Als die Menschen im November 1989 auf die Strasse gingen, lautete der Slogan: «Zurück nach Europa». Nach fast fünfzig Jahren im Kommunismus wollten die Tschechen wieder eine ganz normale europäische Nation sein. Das war die Idee. Tschechien war immer ein Stück Europas gewesen, und das wollten wir wieder sein.

«Bald hiess es: Avanti in die EU»

Doch bald nach der Revolution hiess es nur noch «Avanti in die EU». Europa und die EU, das sind jedoch zwei paar Schuhe. Doch wie wollen Sie Millionen von Menschen, die jahrzehntelang grosse Entbehrungen hinnehmen mussten, erklären, dass dies der falsche Weg ist? Daraus resultierte dieser Streit um liberale Prinzipien und zentralistische Ideen, den ich jahrelang ausgefochten habe.

Sie haben sich nicht durchsetzen können.

Das war nicht so einfach. Permanent kam es zu Kompromissen. Als Konsequenz kehrten wir zu post-demokratischen Verhältnissen zurück. Bald war unsere Wirtschaft wieder hochgradig reguliert und subventioniert. Geradezu destruktiv wurde der souveräne Nationalstaat zu Gunsten der EU geschwächt. Noch heute glauben viele Tschechen, dass sie nach Europa zurückgekehrt sind, dabei sind sie bloss in der EU gelandet.

Ist die Schweiz in Ihren Augen eine Alternative zur EU?

Die Schweiz ist ein gutes Beispiel für den Föderalismus. Die Bedeutung, die den Kantonen und Gemeinden zukommt, ist bemerkenswert. Allerdings fürchte ich, dass sich auch in der Schweiz zunehmend zentralistische und EU-freundliche Tendenzen durchsetzen.

«Ich war in Genf und wirklich schockiert»

Im vergangenen November nahm ich aus Anlass des 25. Jahrestages seit dem Ende des Kommunismus’ an einer Tagung an der Universität von Genf teil. Dort traf ich Genfer Professoren, die mich von ihrem Denken her an die Zeit der 1980er-Jahre in der Tschechoslowakei erinnerten. Ich war wirklich schockiert.

Worauf gründet eigentlich Ihre radikale Kritik an der EU?

Das Integrationsprojekt der EU, dessen Ursprünge bis in die 1950er-Jahre zurückreichen, ist in den vergangenen zwanzig oder dreissig Jahren zu einem zentralisierten, bürokratischen und extrem standardisierten System verkommen, das bloss noch der Gleichmacherei huldigt. Ich würde sogar behaupten, die heutige EU bringt uns ab vom Kapitalismus und führt uns zurück zu einer modernen Form von Sozialismus – zu einer administrierten Gesellschaft, die sich immer weniger von jenem System unterscheidet, das sich vor 25 Jahren selber diskreditiert hat.

Ihr Urteil fällt harsch aus.

Beängstigend ist, dass sich die EU durch alle Probleme «durchwurstelt», weil niemand gewillt ist, unpopuläre Massnahmen zu treffen. Dieser Staatengemeinschaft mangelt es an resoluten und charismatischen Führungspersönlichkeiten.

«Das sind die Helden von heute»

Statt an Hayek, Mises oder Friedman orientiert man sich an fehlgeleiteten Professoren linker Provenienz wie Stieglitz, Krugman oder Rogoff. Das sind die «Helden» von heute.

Welches Fazit ziehen Sie aus Ihrer politischen Erfahrung?

Meine Generation hat eine entbehrungsreiche Zeit im Kommunismus durchmachen müssen. Letztlich haben wir davon aber auch profitiert. Denn der Alltag in der damaligen Tschechoslowakei bot uns einen einzigartigen Anschauungsunterricht, wie es ist, in einem zentralistischen und unfreien Land zu leben. Und seit zwanzig Jahren müssen wir zusehen, wie sich die EU zu einem neuen solchen System wandelt.


Der 72-jährige Václav Klaus studierte Wirtschaftswissenschaften in Prag und arbeitete in der Folge in verschiedenen Behörden, bevor er sich nach der Wende von 1989 politisch engagierte. Bereits im Dezember 1989 war er in der ersten nichtkommunistischen Regierung tschechoslowakischer Finanzminister, 1991 wurde er stellvertretender Premierminister. Von 1992 bis 1998 war er tschechischer Ministerpräsident. Im Februar 2003 wurde zum Präsidenten Tschechiens gewählt, ein Amt, das er bis 2013 inne hatte.

Er gilt als der wichtigste Mann hinter den Reformen zur Einführung der freien Marktwirtschaft in Tschechien. Klaus sieht sich selber als einen klassisch Liberalen im Sinne von Friedrich August von Hayek oder Ludwig von Mises. Mit seinen Positionen stand er stets in deutlichem Gegensatz zu seinem Vorgänger im Präsidentenamt, Václav Havel (1936-2011), der einer seiner schärfsten Kritiker war. Heute betreibt Klaus einen eigenen Think Thank.

Das Interview mit Václav Klaus fand anlässlich der 11. Gottfried-von-Haberler-Konferenz am 29. Mai 2015 in Vaduz statt.

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