Wir kennen Goethes Zauberlehrling noch aus der Schule. Jetzt ist er in Form der die Woche eingereichten Vollgeld-Initiative auferstanden, wie Martin Hess von der Bankiervereinigung feststellt.

Martin Hess 134x192Martin Hess ist Leiter Wirtschaftspolitik bei der Schweizerischen Bankiervereinigung

Goethes Zauberlehrling ist auferstanden. So mein Eindruck nach dem Studium der eingereichten Vollgeld-Initiative. Wir erinnern uns: «Walle! Walle/Manche Strecke,/Dass, zum Zwecke,/ Wasser fliesse/Und mit reichem, vollem Schwalle/Zu dem Bade sich ergiesse.»

Auf der Homepage der Initianten steht euphorisch, dass die Erlöse aus der Geldherstellung genutzt werden sollen, damit «Steuern gesenkt, Staatsschulden abgebaut oder öffentliche Infrastruktur und die Sozialwerke mitfinanziert werden. Möglich wäre auch [...] eine jährliche Bürgerdividende von 500 bis 1’000 Franken pro Kopf ...».

Keiner wird ärmer!

Das tönt zu schön, um wahr zu sein, aber die Initianten doppeln nach: «Manche können sich die Mehreinnahmen aus der Vollgeld-Reform nicht vorstellen, da sie meinen, dass jemand entsprechende Verluste machen müsste. Sie wollen wissen: Wem wird dafür dieses Geld weggenommen? Die Antwort ist: Niemandem, keiner wird ärmer!»

Und weiter: «Die Vollgeld-Initiative verwirklicht, was sich die meisten Menschen wünschen [...]: Allein die Nationalbank erzeugt unser Geld.»

Das Perpetuum Mobile entdeckt

Mit anderen Worten: Der Zauberlehrling hat das Perpetuum Mobile entdeckt: Die Schweizerische Nationalbank (SNB) wird uns nämlich durch Gelddrucken aller Sorgen entledigen. Ausgerechnet die Initianten, die den Banken Zügellosigkeit in der Geldschöpfung vorwerfen, stellen die Weichen für ein bewährtes Rezept zur Hyperinflation. «Stehe! stehe!/Denn wir haben/Deiner Gaben/Vollgemessen! –/Ach, ich merk es! Wehe, wehe!/Hab ich doch das Wort vergessen!»

Vergessen gingen den Vollgeld-Initianten bei ihrer Zauberei diverse gravierende Nebeneffekte des vorgeschlagenen Vollgeldsystems:

1. In einer Zeit der Frankenstärke würden sich auch die Kredite für Schweizer Unternehmen massiv verteuern und der Wirtschaft Schaden zufügen. Nicht mehr die Bedürfnisse des Markts würden über das Kreditvolumen entscheiden, sondern Bürokraten.

2. In einem Vollgeld-System müssten die Banken die Ersparnisse bei der SNB zum Negativzins hinterlegen oder in Cash halten, anstatt sie zinstragend anzulegen. Sie wären gezwungen, ihren Kunden die hohen Kosten weiterzugeben. Der Einkaufstourismus im Ausland würde auch das Bankgeschäft erfassen.

Selbstbedienungs-Laden der Politik

3. Hauseigentümer würden unter teuren Hypotheken leiden, da die Banken diese nicht mehr mit günstigen Ersparnissen finanzieren dürften.

4. Die von den Initianten versprochenen Geldschöpfungsgewinne für die Bevölkerung würden nicht fliessen. Unternehmen und Banken würden verschwinden, weniger Gewinnsteuern zahlen und Geschäfte in Alternativwährungen abschliessen. Für Herr und Frau Schweizer bliebe weniger.

5. Mit der Monetativen sieht die Vollgeld-Reform neben der Regierung (Exekutive), dem Parlament (Legislative) und den Gerichten (Judikative) eine neue, vierte Gewalt im Staat vor. Durch die Begehrlichkeiten des Staats als Eigentümer in Bezug auf die Geldschöpfungs-Gewinne würde sie zum Selbstbedienungs-Laden der Politik verkommen.

Völlig unnötig

Der wahnwitzige Totalumbau unseres Schweizer Wirtschaftssystems ist völlig unnötig. Die Banken haben die Unternehmen stets mit genügend Krediten versorgt und so eine hohe Beschäftigung und den Wohlstand gefördert. Die Ursachen der Finanzkrise wurden in einem regulatorischen Marathon angegangen.

Die Schweizer Banken gehören heute weltweit zu den stabilsten. Die Geldpolitik der SNB hat sich über Jahrzehnte bestens bewährt und die Preisstabilität gesichert. Es besteht kein Bedarf, in der Geldpolitik etwas kaputtzuregulieren.

Nur die Lösung des Hexenmeisters

Mögen die akademischen Ursprünge der Vollgeld-Idee intellektuell durchaus wertvoll sein, die Schweiz des 21. Jahrhunderts verträgt es nun wirklich nicht, Geister zu rufen, die sie nicht mehr los wird. Es gibt bei der Vollgeld-Initiative nur die Lösung des alten Hexenmeisters:

«In die Ecke, Besen! Besen!/Seid's gewesen./Denn als Geister/Ruft euch nur, zu diesem Zwecke/Erst hervor der alte Meister.»