In der Finanzindustrie habe sich eine Sprache entwickelt, die oft nicht vermuten lasse, dass man Menschen betreue, schreibt Susanna Gopp in einem Essay für finews.ch.


Dieser Beitrag ist Teil der Serie «Eine Zukunftsvision für die Vermögensbetreuung». Bisher erschien «Vermögensschutz im dritten Jahrtausend»; der nächste Beitrag folgt am 14. Januar 2016.


Im Verlauf dieses Jahres machte ich eine denkwürdige Erfahrung. Ich sass mit einer Freundin im Café, und wir sprachen über Gott und die Welt. Plötzlich fragte sie mich: «Du, jetzt erklär' mir doch mal, was es mit diesem UHNWI auf sich hat!» Ich sah sie überrascht an und fragte zurück, wie Sie denn nun darauf käme?

Sie meinte: «Letzthin war ich in der Stadt, und beim Mittagessen hörte ich eine Unterhaltung mit, bei der zwei Personen ausgiebig über die Performances ihrer UHNWI diskutiert haben. Und da Du ja auch in der Finanzbranche arbeitest, dachte ich mir, dass ich Dich bei Gelegenheit darauf ansprechen muss. Also, was bedeutet das nun?»

Menschen – als wären sie irgendein Produkt

Ich erklärte ihr, dass dies als Abkürzung für ‹Ultra High Networth Individuals› stehe, und dass es sich dabei um eine Bezeichnung für sehr vermögende Kunden handle. Sie schaute mich an und antwortete lapidar: «Ha, da redet man von Menschen als wären sie irgendein Produkt.»

In der Tat hat sich in der Finanzindustrie über die vergangenen Jahrzehnte eine Sprache entwickelt, die oft nicht vermuten lässt, dass man Menschen betreut. Die Sprache dreht sich überwiegend um Zahlen, Performance-Entwicklung, kreativ klingende Finanzinstrumente, Verträge oder Mandate; und um das Vermögen von so genannten Kunden. Doch was bedeutet das Wort «Kunde» denn eigentlich?

Eine recht interessante Variante

Dazu liefert, zumindest im deutschsprachigen Raum, das Wirtschaftslexikon Gabler eine relativ nüchterne Definition: «Tatsächlicher oder potenzieller Nachfrager auf Märkten. Kunden können Einzelpersonen oder Institutionen (organisationales Kaufverhalten) mit mehreren Entscheidungsträgern sein. Sog. Schlüsselkunden sind aus der Anbietersicht aufgrund ihres Kaufvolumens oder anderen Merkmalen von bes. Bedeutung (Key Account Management).»

Das Online-Nachschlagewerk Duden hingegen eine recht interessante Variante: «1. jemand, der (regelmässig) eine Ware kauft oder eine Dienstleistung in Anspruch nimmt (und daher in dem Geschäft, in der Firma bekannt ist) oder 2.a. (Gaunersprache) Landstreicher oder 2.b. (umgangssprachlich, oft abwertend) Kerl, Bursche.»

Menschliches in den Hintergrund gedrängt

Angesichts solcher sprachlicher Deutungsmöglichkeiten darf es denn auch nicht verwundern, wenn das Menschliche ab und zu in den Hintergrund gedrängt wird.

Diejenigen, die Vermögen verwalten und betreuen, sind sich oftmals wenig bewusst, dass sie es nicht einfach nur mit irgendwelchen Papierhaufen, Sachwerten oder Zahlen zu tun haben, sondern mit realen Menschen. Hinter jedem Vermögen, Vertrag oder Finanzprodukt steht eine Geschichte, die von Menschen und deren höchstpersönlichen Lebensumständen handelt.

Unterschiedliche Kundenprofile

Das kann der Kunde X sein, der in seinem Leben ein erfolgreicher Manager und Familienvater ist. Und es für wichtig erachtet, dass alle Familienmitglieder, auch die zukünftigen, die bestmögliche Erziehung und Ausbildung erhalten und dass sein schwerbehindertes Kind lebenslang gut versorgt ist.

Oder die Kundin Y, die eine junge Unternehmerin ist und von ihrem Vater eine international tätige Unternehmensgruppe anvertraut bekommen hat. Und die es nun als Pflicht sieht, verantwortungsvoll mit diesem Erbe umzugehen.

Oder der Unternehmer, der dank seines kreativen Erfindergeistes zu Reichtum und gesellschaftlicher Anerkennung gekommen ist und nun von verschiedenen Seiten Neid und Begehrlichkeiten erfährt.

Auf etwas vertrauen können

Diese Menschen haben Fragen, Erwartungen und Hoffnungen im Hinblick auf ihre Vermögen. Und sie möchten darauf vertrauen können, dass sie in ihren individuellen Bedürfnissen wahrgenommen werden. Denn entgegen der von der Konsum- und Medienindustrie verbreiteten Vorstellung bedeuten grosse Vermögen nicht ein überschäumendes Dolce far niente, sondern in erster Linie Verantwortung. Verantwortung gegenüber sich selbst, der Familie, den Arbeitnehmern oder der Gesellschaft an sich.

Wenn die, die Vermögen betreuen und verwalten, zu erkennen beginnen, welche familiären, wirtschaftlichen, politischen oder gesellschaftlichen Fallstricke sich hinter einem verwalteten Vermögen verbergen, dann wird sich die innere Haltung zu diesem Vermögen verändern. Dann ist da plötzlich nicht mehr nur der fein säuberlich aufgebaute Zahlenkuchen, der sich präsentiert und mitunter das Gefühl aufkommen lässt, dass man auch gerne ein Stück davon hätte.

Höchst persönliche Lebensgeschichte

Sondern eine höchst persönliche Lebensgeschichte, an der man Anteil nimmt und zu deren positiven Entwicklung man einen wesentlichen Beitrag leisten kann. Das Kernstück der Wealth Preservation ist der Mensch und seine individuelle Vermögenssituation. Die zentrale Frage lautet, wie das materielle und auch das immaterielle Vermögen strukturiert, veranlagt, vermehrt, verwaltet oder weitergegeben werden kann.

Und zwar so, dass sich damit ein langfristiger und oft über mehrere Generationen hinweg ausgerichteter Zweck erfüllen lässt. Und das Interessante daran ist, dass jeder Teilbereich der Finanzindustrie ein elementares Puzzlestück der Wealth Preservation sein kann.

Es gibt diesen altbekannten Ausspruch, dass das Glück in uns selbst liegt. Umgelegt auf die Finanzindustrie liesse sich dieser Ausspruch so deuten, dass das Glück in der Kultur liegt, die in den dort tätigen Unternehmen herrscht. Und damit in den Werten, auf denen diese Kultur fusst.

Ein People's Business

Werte beeinflussen die Kultur und Sprache einer Branche ganz entscheidend. Der Weg zu einem nachhaltigen Erfolg in der Finanzindustrie kann demnach fast nur über ideelle Werte führen. Werte wie Integrität, Verantwortungsbewusstsein und Respekt gegenüber den Menschen, die hinter den verwalteten Vermögen stehen.

Entgegen aller Unkenrufe ist und bleibt die Finanzindustrie ein Peoples‘ Business, das von einer Haltung des Dienens und des Leistens geprägt sein muss. Und wer weiss, mitunter könnte eine Rückkehr zu solchen Werten mittelfristig auch ein probates Mittel gegen die zunehmende Regulierung der Finanzindustrie sein.


Mag. (FH) Susanna Gopp arbeitet seit 10 Jahren für Industrie- und Finanzkontor Etablissement. Zuerst in der Kundenbetreuung tätig, wurde sie 2008 vom Verwaltungsrat mit dem Auf- und Ausbau der Stabsstelle Kommunikation betraut. Sie absolvierte Masterstudien in Internationaler Unternehmensführung und im Kommunikationsmanagement.

Der Industrie- und Finanzkontor, gegründet 1948, ist ein unabhängiges, liechtensteinisches Treuhandunternehmen mit internationaler Ausrichtung und beschäftigt rund 50 Mitarbeitende. Das Unternehmen ist spezialisiert auf den langfristigen und generationenübergreifenden Vermögenserhalt (Wealth Preservation), insbesondere von Familien und Unternehmern. Die Wurzeln liegen im Hause Liechtenstein.

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