Der Wirbelsturm an den Finanzmärkten hat Bankaktien abgestraft – allen voran die Titel der Credit Suisse. An Deutungsversuchen fehlt es nicht. War in der Vergangenheit einfach der Name der Bank falsch? Das fragt der in den USA lehrende Schweizer Finanzprofessor Alfred Mettler in seinem Beitrag für finews.first.


In der Rubrik finews.first nehmen renommierte Autorinnen und Autoren Stellung zu Wirtschafts- und Finanzthemen. Dabei äussern sie ihre eigene Meinung. Die Texte erscheinen auf Deutsch und Englisch. finews.first läuft in Zusammenarbeit mit der Genfer Bank Pictet & Cie. Die Auswahl und Verantwortung der Beiträge liegt jedoch ausschliesslich bei finews.ch Bisherige Texte von: Rudi Bogni, Adriano B. Lucatelli, Peter Kurer, Oliver Berger, Rolf Banz, Dieter Ruloff, Samuel Gerber, Werner Vogt, Claude Baumann, Walter Wittmann und Albert Steck.


Der Kurszerfall der Credit-Suisse-Aktien in den vergangenen Wochen und Monaten hat zu zahlreichen Deutungsversuchen geführt, in denen auch alle möglichen Schuldigen genannt wurden: Die Investmentbank, die Strategie, die US-Justiz, Ex-CEO Brady Dougan, der Verwaltungsrat, dessen Präsident Urs Rohner, etc. Sogar Tidjane Thiam, der erst seit einem halben Jahr amtierende CEO, wurde von manchen Kritikern bereits energisch hinterfragt.

Neben diesen durchaus diskutablen Punkten sei hier ein weiterer aufgeworfen: War vielleicht in der Vergangenheit der Name falsch? Hätte die Bank nicht einfach «Credit» heissen müssen, oder allenfalls «Anglo-Saxon Credit»? Wo und wie spielte «Suisse» noch eine Rolle?

In der Schweiz sind wir zu Recht stolz auf unsere offene Wirtschaft, die international vernetzten mittelständischen Unternehmen, oder die global erfolgreichen Konzerne. Den meisten Firmen gelingt dabei der Balanceakt zwischen «global» und «local» sehr gut. International besetzte Führungsetagen zusammen mit einer schweizerisch-geerdeten und gleichzeitig weltoffenen Unternehmenskultur sind offensichtlich attraktiv für Mitarbeitende, genauso wie auch für Kunden.

«Da bleibt weder für eine übergreifende noch für eine individuelle Sicht viel Spielraum»

Aber wie steht es damit bei unseren beiden Grossbanken? Sind sie global, lokal, schweizerisch? Oder sind sie einfach angelsächsisch, amerikanisch?

Was unterscheidet denn eine amerikanische von einer schweizerischen Bank? Rein operativ gesehen nicht viel. Das Bankgeschäft ist überall auf der Welt ähnlich. Die Unterschiede liegen vielmehr in der Organisation, der Kultur, und dem gesellschaftlichen Hintergrund.

Die amerikanische Mentalität des «Entrepreneurial Risk-Taking» zusammen mit der kurzfristigen Gewinnorientierung und der geringen Loyalität gegenüber dem Arbeitgeber sind bekanntlich Grundelemente des Investmentbanking. Analoges gilt für den Handel, oder – dank der Grösse der USA – für viele skalierbaren Finanz-Massengeschäfte. Checklisten, Standardisierungen, Aufsplitten der Wertschöpfungskette, delegieren an untere Einheiten, Reorganisationen... da bleibt weder für eine übergreifende noch für eine individuelle Sicht viel Spielraum.

Schweizerische Banken dagegen waren traditionell anders strukturiert: Ganzheitlicher, langfristiger orientiert, kundenbezogener, und damit klarer prädestiniert für Wealth Management, Asset Management, oder (Personal) Retail Banking.

«Die meisten amerikanischen Chefs werden zuerst einmal eigene Leute einsetzen»

Wie erkennt man nun, ob eine schweizerische Grossbank angelsächsisch geworden ist? Nein, ein amerikanischer CEO allein genügt dafür nicht, genausowenig wie einzelne amerikanische Verwaltungsratsmitglieder. Weit aussagekräftigere Indizien sind beispielsweise konstante Reorganisationen und hohe Fluktuationsraten (die allermeisten neu ernannten amerikanischen Vorgesetzten werden zuerst einmal die Struktur umkrempeln und ihre eigenen Leute einsetzen).

Oder Stellenbesetzungen respektive Beförderungen bei denen die englische Muttersprache und nicht die fachliche Kompetenz den Ausschlag gibt. Oder mehr und mehr Team-Members und Teamleiter, die nicht beim Team, sondern irgendwo in der Welt sind, und von denen niemand genau weiss, welche Rolle ihnen eigentlich zugeteilt ist.

Oder immer mehr Sitzungen bei denen die Teilnehmenden konstant wechseln, oft unvorbereitet sind, und deshalb stets wieder von Neuem begonnen werden muss. Oder Diskussionen, bei denen ein wichtiges Argument in durchaus gutem, aber schweizerisch eingefärbtem Englisch gegenüber dem wortreich, schnell und direkt gesprochenen «American English» keine Chance hat.

«Swiss Banking kann man nicht als angelsächsische Bank betreiben»

Das sicherste Zeichen jedoch dass man angelsächsisch geworden ist: Wenn der/die oberste HR-Verantwortliche der schweizerischen Grossbank einzig und allein Englisch spricht, keinerlei Anstalten macht, sich mit Kultur oder Sprachen des Landes zu befassen, und niemandem wirklich klar ist, wie und wieso diese Stelle überhaupt so besetzt wurde.

Muss es denn ein Problem sein, wenn eine schweizerische Grossbank angelsächsisch ist? Im Prinzip nein, aber man muss wissen, was man will. «Swiss Banking» kann man nicht als angelsächsische Bank betreiben, Investmentbanking dagegen sehr wohl. Ganz am Schluss muss man sich für ein «Package» entscheiden.

Das schweizerische, mit Aspekten wie Zuverlässigkeit, Solidität, Perfektionismus, Stabilität, Ganzheitlichkeit, Langfristigkeit, Bescheidenheit, Diskretion, Duldsamkeit, hohem Ausbildungsniveau, wäre nach wie vor prädestiniert für den Erfolg in vielen Bereichen des Finanzdienstleistungs-Geschäfts. Kann und will man dazu jedoch Ja sagen, dann darf man die entscheidenden obersten Fäden nicht grundlos aus der Hand geben.

Bei der UBS scheint man dies schon vor einiger Zeit realisiert zu haben, während bei der Credit Suisse das angelsächsische Element (zu) lange (zu) übermächtig war.

«Vielleicht müsste man sich als Gesellschaft einmal genauer hinterfragen»

Die Schweiz ist im vergangenen Jahrzehnt zu einem Magnet für internationale Arbeitskräfte geworden, und sie kann – trotz allen Abstimmungen der letzten Jahre – stolz auf ihre offene und pluralistische Gesellschaft sein. Dass man dabei die Zuwanderung kritisch betrachtet und es den Zugewanderten nicht immer leicht macht, sich zu integrieren, ist bekannt. In den diesbezüglichen Diskussionen kann man immer wieder kritische Stimmen gegen bestimmte Herkunftsländer hören.

Aber vielleicht müsste man sich als Gesellschaft einmal genauer hinterfragen, wer denn eigentlich tatsächlich wie viel Wert kreiert. Ohne verallgemeinern zu wollen, seien nachfolgend drei exemplarische Beispiele genannt: Erstens, der portugiesische oder spanische Student in der Schweiz. Er lernt die Sprache, schliesst das Studium ab, findet einen Job, und arbeitet sich hoch.

Zweitens: Die deutsche Ärztin im schweizerischen Spital. Sie ist gut ausgebildet und sorgt dafür, dass die medizinische Grundversorgung in der Schweiz überhaupt noch gewährleistet werden kann.

Drittens: Der amerikanische «College Graduate» in der Schweiz, von den Zeitungen und HR-Abteilungen gerne pauschal als «Hochschulabsolvent» bezeichnet (da das US-Ausbildungssystem aber ein komplett anderes ist, kann sein Abschluss unter Umständen weit weg von einem schweizerischen Uni-Abschluss liegen). Dank seinem «native English» wird er bei einer «angelsächsisch geführten» Firma angestellt, hat jedoch keinerlei Ambitionen, sich mit einer neuen Kultur, Sprache oder Gesellschaft tiefer auseinanderzusetzen.


Alfred Mettler ist Finanzprofessor an der Georgia State University in Atlanta (USA) und Adjunct Professor am Swiss Finance Institute.

Er wuchs in der Schweiz auf und war bis zu seinem Umzug in die USA am Swiss Banking Institute der Universität Zürich tätig. Seit 1998 lehrt und forscht er in Atlanta. Seine akademischen Interessen liegen in den Bereichen des International Banking und Finance, des Risikomanagements von Finanzinstitutionen, der globalen Finanzarchitektur, und der Ausbildung im Finanzbereich. Er ist in verschiedenen Executive Programs in Europa und den USA engagiert und übt eine rege Referenten-, Beratungs- und Schulungstätigkeit aus.

Daneben befasst er sich sich seit langem mit wirtschaftlichen, politischen, und gesellschaftlichen Fragestellungen in den USA, der Schweiz, und Europa und äussert sich regelmässig in den schweizerischen und amerikanischen Medien. Zusammen mit seiner Frau schreibt er zur Zeit an einem Buch über die USA.

 

Welche Schweizer Privatbank bietet an der Börse nun das grösste Potenzial?
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