«Seit vielen Jahren versuchen gewisse Kreise den Schweizer Finanzplatz zu sabotieren. Es sind keine Alt-Marxisten, Jungsozialisten oder besserwisserische Ethiker, sondern Finanzminister», schreibt Beat Kappeler in seinem Essay auf finews.first.


Dieser Beitrag erscheint in der Rubrik finews.first. Darin nehmen renommierte Autorinnen und Autoren wöchentlich Stellung zu Wirtschafts- und Finanzthemen. Dabei äussern sie ihre eigene Meinung. Die Texte erscheinen auf Deutsch und Englisch. finews.first läuft in Zusammenarbeit mit der Genfer Bank Pictet & Cie. Die Auswahl und Verantwortung der Beiträge liegt jedoch bei finews.ch.


Unablässig versuchten gewisse Kreise seit genau 50 Jahren, den schweizerischen Finanzplatz zu sabotieren. Es sind nicht verbohrte Alt-Marxisten, keine Jungsozialisten, keine besserwisserischen Ethiker, keine Bombenwerfer. Sondern vier Finanzminister versuchten es, und sie brachten kräftige Einbussen fertig. Zum Glück aber waren die tapferen Bankiers vitaler und retteten den grossen Rest.

Das meiste blieb ziemlich geheim, zumindest einem breiten Publikum.

Finanzminister Roger Bonvin, ein Walliser Ingenieur, setzte mit dem Anlagefondsgesetz 1967 die Abwanderung der Fonds nach Luxemburg in Gang. Sie lässt sich in den stark rückläufigen Anteilscheinen der schweizerischen Fonds nach jenem Jahr belegen, vor allem aber im sensationellen Aufschwung Luxemburgs.

Da die zuströmenden Vermögen aus aller Welt die Sicherheit, nicht Dunkelheit suchten und die inländischen Sparer weiterhin hohe Kapitalien anzulegen hatten, führten die hiesigen Banken zwar viele Fonds, bis heute, doch die eigentlich Verwaltung liegt in Luxemburg, die Arbeitsplätze ebenfalls.

«Die Geschäfte kamen nicht mehr zurück, sie waren nach London abgewandert»

Die Vollziehungsverordnung des Gesetzes schikanierte die ausländischen Fonds in Artikel 6 ganz direkt. Zusätzlich vertrieb die 1966 auch auf ausländischen Fonds erhobene Stempelsteuer diese ebenfalls, aber auch viel wichtigere Bankgeschäfte eines an sich internationalen Finanzplatzes, nämlich die enorm gesteigerten Obligationenanleihen, die europäische Banen in Dollar für internationale Schuldner vermittelten (Eurodollar-Markt).

Der Finanzminister, der solches nicht merkte, war Nello Celio, ein Tessiner Advokat für viele Dinge. Die EWG hatte ausländische Obligationen nämlich schon 1969 von solchen Steuern befreit, die hastige Schweizer Revision brachte nach 1973 die Geschäfte nicht mehr zurück, sie waren nach London abgewandert, die Gewinne und Arbeitsplätze auch, allgemein und über die dort tätigen Schweizer Grossbanken.

Dritter Saboteur war der ehemalige Bibliothekar aus Lausanne, Georges-André Chevallaz, der am letzten Amtstag als Finanzminister 1979 eine Verordnung unterzeichnete und den Goldhandel der Warenumsatzsteuer von etwa 8 Prozent (!) unterwarf – die Weltgeltung Zürichs als Goldhandelsplatz war innert Tagen zugunsten Londons ruiniert. Bald wurde die Steuer hastig abgeschafft, aber der Handel kam nicht zurück.

«Die Schweiz wurde von den USA hereingelegt»

Schliesslich trat Bundesrätin Eveline Widmer-Schlumpf, eine frühere Lokalpolitikerin aus Graubünden, auf den Plan, klappte in vorauseilendem Gehorsam vor den Fiskalisten aller Welt zusammen und lieferte das Bankkundengeheimnis ohne Vorwarnung ans Messer, viele Bankiers und Kunden damit.

Sie verlangte offenbar nicht einmal, dass die konkurrierenden Finanzplätze mit ihren ähnlichen oder gar weicheren Steuerregeln vorausgingen oder wenigsten mitzogen. Deshalb wurde sie, also die Schweiz, von den USA schlicht hereingelegt. Nachdem die USA und die OECD die Meldepflicht ausländischer Konti durchgesetzt und von Schweizer Banken Milliardenbussen kassiert hatten, signierten die USA die OECD-Regelung nicht und bieten heute das neue Bankgeheimnis der Welt.

Ausserdem beantragte Widmer-Schlumpf unsinnige, geschäftsschädigende Regulierungen von Banken, Finanzgesellschaften, Rohstoffgesellschaften, Vermögensverwaltern, die wenigsten teilweise dann vom nüchternen Parlament abgefangen wurden.

«Der Rest war diesen schweizerischen Steuervögten egal»

Eine Reihe eher unfähiger Finanzminister, Dilettanten aus branchenfremden früheren Tätigkeiten führten Regie über einen der besten, vertrauenswürdigsten Finanzplätze der Welt.

Die Fondsgesellschaft Intrag beklagte das provinzielle Motiv dieser Finanzminister in ihrem Jubiläumsband 1988: «Während ausländische Staaten im Verlauf der letzten Jahre die Attraktivität ihrer Finanzplätze durch fiskalpolitische Massnahmen verbessert haben, hat der schweizerische Gesetzgeber die Bankkunden vor allem als Fiskalobjekte verstanden.» – Auf Deutsch: als Milchkühe. Der Rest war diesen schweizerischen Steuervögten egal.

Wir versuchen das Geheimnis zu lüften, warum in einem Land mit liberal eingestelltem Volk, bürgerlichem Parlament diese Finanzminister ihr unheilvolles Werk vollbringen konnten.

«Dass das Kapital des In- wie des Auslands ein flüchtiges Reh ist, wird nicht berücksichtigt»

Diese Faktoren spielten mit: Politiker aller Schattierungen ziehen gerne Steuern ein. Erweisen sich laufende Steuern, wie damals Stempelsteuer, Verrechnungssteuer, als schädlich, müssten sie durch andere Steuern oder, Horror, durch Einsparungen kompensiert werden – geht nicht, alle sind Fiskalisten.

Zweitens wissen viele Bundesräte sowie die meisten Parlamentarier kaum, was im Ausland vor sich geht. Sie verstehen auch Bankgeschäfte wenig, und künftige Bankgeschäfte können sie vollends nicht abschätzen. Drittens sind Banken offenbar ertragsreich, also kann man sich ungeniert bedienen, ohne Schaden.

Dass das Kapital des In- wie des Auslands ein flüchtiges Reh ist, wird nicht berücksichtigt. Schliesslich kommt bei den Banken Geld aus Geld, was von minderer Qualität als Geld aus dem Fleiss des Schlossers, dem Schweiss des Bauarbeiters oder aus dem Ackerbau erscheint.

«Aber die Bankiers können wandern, und das Geld ihrer Kunden wandert noch schneller»

Das ist populär – es bleibt vielen ein Geheimnis, dass in der Ökonomie von der wir leben, alles eine Wertschöpfung ist, was den Kunden den Preis wert ist, Bankgeschäfte vermitteln Sparkapital an jene Stellen, wo damit produziert wird, wo es Nutzen stiftet. Diese Vermittlung hat ihren Wert, hat ihren Preis, und das ist der Gewinn des Bankiers.

Letzte Erklärung, aus politischer Lehre: Die Bankiers sind wenig zahlreich, ihr Protest füllt keine Wahl- und Abstimmungsurnen. Um diese Fallmasche jeder Demokratie zu meiden, müssen die Wähler sich selber zügeln, das Ganze sehen, sonst beutet die grosse Mehrheit einfach die kleinen Minderheiten reihum aus. Aber die Bankiers können wandern, nach London oder Luxemburg, und das Geld ihrer Kunden wandert noch schneller.


Staatsgeheimnisse 500Beat Kappeler, geboren 1946, studierte politischen Wissenschaften und Wirtschaft in Genf und Berlin. Ab 1972 war er freier Wirtschaftsjournalist, ab 1977 Sekretär des Schweizerischen Gewerkschaftsbundes, betraut mit Liberalisierungsdossiers in Wettbewerbs-, Welthandels- und Wirtschaftspolitik. Von 1996 bis 2000 arbeitete er als aussordentlicher Professor für Sozialpolitik an der Universität Lausanne, seit 2002 ist Kolumnist bei der «NZZ am Sonntag» und Autor zahlreicher Bücher. Der vorliegende Text ist ein Auszug aus Beat Kappelers neustem Buch «Staatsgeheimnisse», erschienen im Verlag Neue Zürcher Zeitung.


Bisherige Texte von: Rudi Bogni, Adriano B. Lucatelli, Peter Kurer (zweimal), Oliver Berger, Rolf Banz, Dieter Ruloff, Samuel Gerber, Werner Vogt, Claude Baumann, Walter Wittmann, Alfred Mettler, Peter Hody, Robert Holzach, Thorsten Polleit, Craig Murray, David Zollinger und Arthur Bolliger.

 

Welche Schweizer Privatbank bietet an der Börse nun das grösste Potenzial?
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