Seit März haben die Aktienmärkte massiv zugelegt. Es wäre eine fatale Illusion, nun einfach zur Tagesordnung zurück zu kehren, schreibt Erwin Heri.

Erwin W. Heri ist Professor für Finanztheorie an der Universität Basel und Verwaltungsratspräsident der Valartis Group.

Erwin_Heri_2

Die Aktienmärkte haben seit Anfang März weltweit teilweise über 50 Prozent gewonnen, die Gewinnausweise der Unternehmen waren schon im 2. und sind nun im 3. Quartal wiederum viel besser als erwartet, die Banken machen schon wieder Milliardengewinne, und auch die US-Rezession scheint bereits vorbei zu sein.

Natürlich spürt man vielerorts noch die Auswirkungen der jüngsten Rezession. In vielen (Bank-)Bilanzen sind die Bereinigungen noch nicht abgeschlossen, und der Arbeitsmarkt wird noch eine Weile unter den Restrukturierungen der letzten Monate zu leiden haben.

Trügerischer Optimismus

Aber allenthalben werden Rufe laut, man solle jetzt nach vorne schauen und die Erschütterungen der Finanzkrise sollen einem Optimismus Platz machen, der quasi die konjunkturellen Selbstheilungskräfte aus der Reserve locken soll.

Ich habe schon mehrfach darauf aufmerksam gemacht, dass die Finanzkrise ein nicht zu vernachlässigendes konjunkturelles Element enthält. Und dass der Aufschwung immer zuerst im Kopf beginnt, wissen wir auch nicht erst seit dem berühmt gewordenen Ausspruch von Ex-Bundespräsident Adolf Ogi.

Einfach wieder zur Tagesordnung übergehen?

Jetzt aber plötzlich zur Tagesordnung übergehen zu wollen und zu meinen, was in den letzten 18 Monaten im Finanzbereich und auf der Konjunkturseite geschehen ist, sei einfach einer dieser zyklischen Ausschläge gewesen, wie wir sie in den letzten Jahrzehnten ab und zu gesehen haben («die Wirtschaft ist halt zyklisch ...»), wäre eine fatale Illusion.

Die Finanzkrise hat Strukturschwächen aufgedeckt, die – wenn sie nicht radikal ausgemerzt werden – über kurz oder lang in einem riesigen Schlamassel enden werden. Nicht wenige Beobachter der Szene befürchten schon seit Ausbruch der Finanzkrise, dass man die entsprechenden Lehren nicht wird ziehen wollen.

Vielmehr will man – nun da die gigantischen Konjunkturprogramme langsam zu greifen beginnen und sich die Situation etwas erhellt – so schnell wie möglich zur Tagesordnung übergehen. Natürlich will man gleichzeitig ein wenig an den Strukturen herumdoktern. Ein wenig Blabla bezüglich neuer Remunerationskonzepte, ein paar Fernsehauftritte von Politikern, die mit Abzockersprüchen Wahlkampf betreiben, und etwas mehr Personal für die Aufsichtsbehörden und schon meint man, die Probleme seien gelöst.

Man meinte, man sollte, man wollte

Dabei war man sich doch eigentlich einig, «so etwas» dürfe nie mehr passieren. Und beim «so etwas» meinte man nicht den Konkurs von Lehman Brothers oder ähnliches. Ganz im Gegenteil. Man meinte, die Anreiz- und Regulierungsstrukturen müssten dergestalt umgebaut werden, dass kein Einzelunternehmen mehr eine Marktmacht aufbauen könne, mit welcher es de facto ganze Volkswirtschaften (oder noch mehr) erpressen kann.

Man meinte, man solle sich beim Managen der Finanzmarktrisiken nicht mehr einfach an irgendwelche statistisch/mathematischen Modelle halten, sondern viel umfassendere Beurteilungen vornehmen. Und man wollte die Principal-Agent- und Moral-Hazard-Problematik auf der politischen Agenda endlich dorthin bringen, wo sie eigentlich hingehört: ganz nach oben.

Die Macht einzelner Bankinstitute ist grösser als vorher

Zugegeben: nicht ganz triviale Vorsätze. Und wo sind wir ganze sechs Monate (und ein paar Dutzend Prozente zusätzlicher Börsenkapitalisierung) später? Die Macht einzelner Bankinstitute ist grösser als vorher, die Regulierungsbehörden stellen noch mehr Mathematiker ein, um die Risikomodelle jetzt zu verstehen, die schon vorher nicht funktioniert haben, und die Politiker sind froh, dass man hinten im Konjunkturtunnel schon langsam wieder Licht sieht (in der Hoffnung, es sei nicht der Scheinwerfer einer Lokomotive).

Und was bringen wir den künftigen Generationen bei? Was lernen unsere Studenten aus der gegenwärtigen Krise? Dass man Risiken am besten in Grossunternehmen fährt und dort mit der grossen Kelle anrührt.

Der Keim der nächsten Krise

Wenn es gut geht, wird man zum Helden und wenn es schief geht, wird der Laden verstaatlicht. Natürlich ist das alles etwas plakativ und böse. Wenn wir aber die Vorsätze, die wir noch vor wenigen Monaten mit angstverzerrter Miene getroffen haben, nicht umsetzen, dann säen wir den Keim der nächsten Krise.

Nicht in einem Jahr, auch nicht in zwei oder drei. Aber dann, wenn Frau und Mann auf der Strasse das gegenwärtige Debakel vergessen haben werden und unsere Studenten – die dannzumaligen CEOs – sich an das zurückerinnern, was wir ihnen heute beibringen.

PRIVATE_Titel_6_2009Dieser Beitrag wurde erstmals publiziert in PRIVATE 6/2009 – Das Magazin für private und institutionelle Investoren.


Erwin Heri, geboren 1954, stammt ursprünglich aus dem Berner Jura und hat in Basel Ökonomie studiert. Von 1987 bis 1994 war er für den Schweizerischen Bankverein tätig, zuletzt als Leiter Private Banking International und Asset Management. Von 1994 bis 2002 arbeitete er für die Winterthur-Versicherung, die ab 1997 zur Credit Suisse gehörte; ab Mitte 2000 war Heri Finanzchef der Credit Suisse Financial Services. Seit 2002 ist ist er Verwaltungsratspräsident der Valartis Gruppe.

 

 

War die Übernahme der Credit Suisse durch die UBS rückblickend gesehen die beste Lösung?
War die Übernahme der Credit Suisse durch die UBS rückblickend gesehen die beste Lösung?
  • Ja, es gab keine andere, wirtschaftlich sinnvolle Alternative.
    26.33%
  • Nein, man hätte die Credit Suisse abwickeln sollen.
    19.21%
  • Nein, der Bund hätte die Credit Suisse übernehmen sollen.
    27.97%
  • Man hätte auch ausländische Banken als Käufer zulassen sollen.
    9.3%
  • Man hätte eine Lösung mit Schweizer Investoren suchen sollen.
    17.2%
pixel