Wir sind Zeugen eines Grossexperiments, dessen Verlauf niemand prognostizieren könne, findet Stefan Hoffmann von der Bankiervereinigung. Doch was bedeutet der Brexit für die Schweiz und ihren Finanzplatz?

Stefan Hoffmann 200Stefan Hoffmann ist Leiter für Europa bei der Schweizerischen Bankiervereinigung

Unsicherheit und Ungewissheit sind grösser geworden, die Märkte volatiler, die Überzeugungen bei den Anhängern beider Seiten eher noch stärker. Viele fühlen sich bestätigt – die einen in ihrer Hoffnung, die anderen in ihrer Befürchtung; man argumentiert deshalb noch lauter und hört noch weniger zu. Einigkeit, welche Möglichkeiten entwickelt werden sollen, besteht einstweilen nicht, weder bei Befürwortern noch bei Gegnern des Brexit.

Wir Schweizer sollten darin vor allem eine Chance für uns und für das Ganze erkennen und nicht Vergangenem nachtrauern: Festgefahrenes kommt jetzt in Bewegung, Blockiertes verflüssigt sich. Der Status quo der Beziehungen Schweiz – EU ist keine Option mehr.

Willkommenes Experimentierfeld

Auch die EU kann nicht weiterarbeiten, als ob nichts passiert wäre. Und sie wird es nicht. Brexit stellt manches in Frage, was bislang als sakrosankt galt, vielleicht sogar die «absolute» Personenfreizügigkeit. Wir sollten die Lernbereitschaft der EU zu unserem eigenen Vorteil nicht unterschätzen. Zumindest so lange nicht, bis das Gegenteil bewiesen ist.

Aber wir werden auch Geduld brauchen, denn die Schweiz ist jetzt noch weniger der Nabel der EU. Aber vielleicht schon bald ein willkommenes Experimentierfeld für Neues und Besseres. Unsere Verhandlungsführer sollten den Mut haben, zu neuen Ufern aufzubrechen und Bekanntes und Selbstverständliches in Frage stellen; dazu benötigen sie Phantasie und Selbstvertrauen.

Finanzen und Fussball

Letzteres aber kann nur im Vertrauen ihrer Regierung und der eigenen Bevölkerung wurzeln. Keine Fussballmannschaft der Welt schiesst jene Tore, welche die Fans dem Team gar nicht zutrauen...

Die Position Londons als globaler Finanzplatz wird durch den Brexit beeinträchtigt. Vermutlich erweisen sich manche Befürchtungen als übertrieben. London ist nicht in erster Linie der Finanzplatz der EU, sondern zusammen mit New York das globale Finanzzentrum.

In Teilen neu erfinden

Gefährdet wäre London in erster Linie durch einen anschwellenden Protektionismus. Davon aber wäre alle Volkswirtschaften, grosse und kleine bedroht – auch jene, die darin das vermeintliche Heil suchen. Und der schweizerische Finanzplatz?

Wir haben mit dem Post-Brexit-London einen Konkurrenten gewonnen, der uns gegenüber noch stärker «like-minded» respektive gleichgesinnt sein dürfte. Der Finanzplatz London muss sich in Teilen neu erfinden. Davon können wir lernen und dazu können wir geistige Inspiration und politischen Support liefern.

Ungeklärtes Verhältnis

Gewinnen könnten Banken in der Schweiz am ehesten in ihrer schon heute starken Position bei der Vermögensverwaltung. Sie profitierten dabei von ihrem Know-how und ihrer Reputation, aber auch vom Status der Schweiz als «save haven».

Allerdings sollte man dies nicht überschätzen. Für manche Bankgeschäfte macht es wenig Sinn, sie vom nicht mehr EU-Mitgliedstaat Grossbritannien in den nicht EU-Mitgliedsstaat Schweiz zu verschieben. Kommt dazu, dass auch das künftige Verhältnis der Schweiz zur EU einstweilen ungeklärt bleibt, vor allem im Hinblick auf die Umsetzung der Masseneinwanderungs-Initiative und folglich den bilateralen Abkommen.

FC Basel gewinnt Champions League trotzdem nicht

Schliesslich, London und Zürich spielen nun einmal nicht in derselben Liga. Oder, um es nochmals fussballerisch zu wenden: Auch ein geschwächter FC Barcelona führt wahrscheinlich nicht dazu, dass der FC Basel Sieger der Champions League wird...