Der Brexit beschleunigt den Umbruch in der Finanzlandschaft. Die Kluft zwischen den grossen Gewinnern und Verlierern im Asset Management wird grösser, schreibt Beat Wittmann für finews.first.


Dieser Beitrag erscheint in der Rubrik finews.first. Darin nehmen renommierte Autorinnen und Autoren wöchentlich Stellung zu Wirtschafts- und Finanzthemen. Dabei äussern sie ihre eigene Meinung. Die Texte erscheinen auf Deutsch und Englisch. finews.first läuft in Zusammenarbeit mit der Genfer Bank Pictet & Cie. Die Auswahl und Verantwortung der Beiträge liegt jedoch bei finews.ch.


Diese Woche hat der Brexit eine neue Runde an massiven Kurseinbrüchen in den Aktien europäischer Finanzwerte eingeläutet. Zahlreiche Titel notieren inzwischen auf dem tiefsten, jemals erreichten Kurs-Buchwert-Verhältnis, und ebenso viele Banken weisen mittlerweile einen akuten Kapitalbedarf auf, weil sie ausser Stande sind, die nötigen Erträge zu generieren.

Schlimmer noch – obschon manche Institute in letzter Zeit ihr Eigenkapital im Durchschnitt um das Vierfache erhöht haben, ist keine Remedur in Sicht, da in den meisten Fällen bloss «gutes Geld» schlechtem nachgeworfen wurde; oder anders formuliert: Vielen Banken ist es nicht gelungen, ihr Geschäftsmodell und ihre Strategie grundlegend zu erneuern.

«In Europa blieben solche Massnahmen bis heute aus»

Daraus lässt sich unschwer ableiten: Selbst acht Jahre nach der grossen Finanzkrise von 2008 bestehen unverändert enorme Überkapazitäten im europäischen Finanzsektor. Anders als in den USA, wo über das Wochenende vom 13. und 14. September 2008 die massgeblichen Behörden (Notenbank, Schatzamt und Börsenaufsicht) den Führungsverantwortlichen der grössten US-Banken unmissverständlich darlegten, was nun zu tun sei, blieben in Europa solche Massnahmen bis heute aus. Als Folge davon weisen die meisten europäischen Volkswirtschaften bestenfalls ein schwaches –blutleeres – Wachstum aus, das alles andere als förderlich ist für die Gesundung sowie für die weitere Wettbewerbsfähigkeit der Banken.

Was die Positionierung und das Wertversprechen – Neudeutsch auch Value Proposition genannt – angeht, so könnte der Finanzsektor einiges von der Konsumgüter-Industrie und der Airlines-Branche lernen – gerade was die Ausgestaltung eines Produkts betrifft.

«Die Rahmenbedingungen haben sich drastisch verändert»

Wer beispielsweise in Erwägung zieht, eine Rolex oder eine Swatch zu kaufen, entscheidet sich im einen Fall für ein höchst prestigeträchtiges Objekt zu einem ansehnlichen Preis, oder aber für eine vergleichsweise preiswerte Qualitätsuhr. Ähnliches lässt sich am Beispiel der Airline-Industrie illustrieren: Wer auf «Premium» Wert legt, wählt die Swiss, bei Billig-Flügen entscheidet man sich eher für EasyJet.

Dass die Finanzindustrie ganz anders funktioniert, hat vor allem damit zu tun, dass die Branche über Jahrzehnte höchste Gebühren für einen durchschnittlichen Service und austauschbare (Finanz-)Produkte verlangen konnte. Begünstigt wurde dies noch dadurch, dass für allfällige Konkurrenten die Eintrittsbarrieren zu hoch waren, und andererseits, dass die Banken nahezu dreissig Jahre lang von einem historisch einzigartigen Zinssenkungs-Zyklus’ profitieren konnten, der wiederum die Entwicklung risikoreicher Anlagen begünstigte.

Inzwischen haben sich die Rahmenbedingungen aber drastisch verändert und zu einem scharfen Wettbewerb unter den Anbietern geführt; allerdings fehlt vielen Unternehmen ein Alleinstellungsmerkmal – Neudeutsch Unique Selling Proposition, USP, genannt –, was unweigerlich zur Konsolidierung und Zerrüttung der Branche führt, wie wir sie nun erleben.

«Selbst eine so gut positionierte UBS ist nicht in der Lage, sich dieser Entwicklung zu entziehen»

Die Asset-Management-Branche veranschaulicht besonders gut die rasant wachsende Kluft zwischen den Gewinnern und den Verlierern in diesem Metier. Es schälen sich dabei zwei Gruppen von Gewinnern heraus: Erstens grosse Unternehmen wie Vanguard, die unnachgiebig ihren Fokus auf tiefe Kosten setzen, und zweitens spezialisierte Firmen wie Oaktree Capital, Partners Group oder Finanz-Boutiquen, die mit assoziierten Investment-Experten, wie dies beispielsweise bei der Affiliated Managers Group (AMG) der Fall ist, überdurchschnittliche Erträge für ihre Kunden respektive Aktionäre erzielen.

Das Gros europäischer Asset Managers bilden aber nach wie vor noch die jeweiligen Abteilungen in den diversen Grossbanken. Trotz ihrer an sich lukrativen firmeneigenen Vertriebskanäle müssen sie seit Jahren jedoch enorme Abflüsse beklagen, zum einen, weil offenbar Angebot und Leistung nicht stimmen, und zum andern, weil es ihnen nicht gelingt, dem Trend steigender Kosten und rückläufiger Erträge entgegenzuwirken.

Selbst eine sonst so gut positionierte UBS ist nicht in der Lage, sich dieser Entwicklung zu entziehen. Unter diesen Prämissen braucht es nicht viel Fantasie, um sich vorzustellen, wie es vielen anderen Asset-Management-Abteilungen grosser Banken ergeht.

«Der zweite Trend ist die Ablösung teurer, aktiv verwalteter Finanzprodukte»

Zwei zentrale Entwicklungen werden den epochalen Wandel der traditionellen Geschäftsmodelle in der europäischen und damit auch in der schweizerischen Asset-Management-Industrie noch beschleunigen: Die erste ist die anstehende Einführung der EU-Richtlinie MiFID II zur Harmonisierung der Finanzmärkte im europäischen Binnenmarkt.

Die zweite und weitaus wichtigere ist der Trend hin zur Ablösung teurer, aktiv verwalteter Finanzprodukte, die ihrem Leistungsversprechen nicht mehr gerecht werden, zu Gunsten kosteneffizienter passiver Anlageinstrumente. Da Europa bei der Marktdurchdringung mit passiven Produkten gegenüber den USA noch weit im Rückstand ist, liegt der Schluss nahe, dass die grossen amerikanischen Anbieter auch hierzulande ihre Marktanteile noch signifikant ausbauen werden.

Dies bekräftigt bloss zusätzlich die Annahme, dass in der Asset-Management-Industrie die führenden Anbieter passiver Produkte sowie spezialisierte Boutiquen mit einem überdurchschnittlichen Leistungsausweis als Gewinner der Transformation hervorgehen werden.

«Diese Vergleiche sagen mehr als tausend Worte»

Im Gegensatz dazu dürften die Asset-Management-Abteilungen grosser Banken auf der Verliererseite verharren – gerade weil sie mit ihren austauschbaren Wertversprechen nie das organische Wachstum erreichen werden, das sie anstreben (müssten). Zudem steht ihnen der Wandel vom transaktionsgetriebenen Produkteverkauf hin zu einem treuhänderischen und beratenden Umgang mit den Kunden noch ins Haus.

In der klassischen Bankenwelt ist unschwer auszumachen, dass es ebenfalls amerikanische Häuser sind, die zu den Gewinnern zählen, zumal sie schon jetzt ihren Marktanteil in Europa rasant ausbauen. Im Gegensatz zu ihren europäischen Konkurrenten haben sie ihre Bilanzen «rehabilitiert» und sind auf klar positionierte Geschäftsmodelle sowie konsistente Strategien umgestiegen. J.P. Morgan oder Deutsche Bank? Goldman Sachs oder Credit Suisse? Allein diese beiden Vergleiche sagen mehr als tausend Worte.


Beat Wittmann ist seit exakt einem Jahr Chairman und Partner der in Zürich ansässigen Finanzberatungs-Gesellschaft Porta Advisors. Der Bündner blickt auf eine mehr als 30-jährige Karriere im Schweizer Bankwesen zurück, die ihn unter anderem zu den beiden Schweizer Grossbanken UBS und Credit Suisse sowie zu Clarien Leu und Julius Bär führte. Zwischen 2009 und 2015 war er zunächst selbständig und danach unter dem Dach der Schweizer Raiffeisen-Gruppe im Asset Management tätig.


Bisherige Texte von: Rudi Bogni, Adriano B. Lucatelli, Peter Kurer (zweimal), Oliver Berger, Rolf Banz, Dieter Ruloff, Samuel Gerber, Werner Vogt, Claude Baumann, Walter Wittmann, Alfred Mettler, Peter Hody, Robert Holzach, Thorsten Polleit, Craig Murray, David Zollinger, Arthur Bolliger, Beat Kappeler, Chris Rowe, Stefan Gerlach, Marc Lussy, Samuel Gerber, Nuno Fernandes, Thomas Fedier und Claude Baumann.

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