Wer dieser Tage nach London kommt, reibt sich die Augen. Es sieht aus, als hätte die Branche nichts aus der Krise gelernt, berichtet Martin Hüfner.

Martin_Hfner_qMartin Hüfner, Chefökonom der Schweizer Aquila-Gruppe, früher Senior Economist bei der HypoVereinsbank und der Deutschen Bank. Er ist Autor des Bestsellers «Achtung: Geld in Gefahr!».

Risikoneigung, Investmentbanking, Boni und auch die generelle Stimmung der Banker sind fast schon wieder so wie vorher. Das einzige, was noch an die Krise erinnert, sind einige leere Büros. Diese «Rückkehr zur Normalität» fällt umso mehr auf, als sich das politische und gesellschaftliche Umfeld der Banken in der Zwischenzeit um 180 Grad gedreht hat.

Es gibt andere Prioritäten. Bekannte Phänomene werden in neuem Licht gesehen. Anleger sind verunsichert. Sie haben die erlittenen Verluste nicht vergessen und wollen das nicht noch einmal erleben.

Verschärfte Kritik der Öffentlichkeit

Die Gegensätzlichkeit der Entwicklung innerhalb und ausserhalb der Finanzbranche kann nicht so weitergehen. Einerseits verschärft sie die Kritik der Öffentlichkeit an den Banken, die an den Pranger gestellt werden und als die Unverbesserlichen gelten.

Das ist keine gute Basis für neues Geschäft. Andererseits verführt sie Investoren zu falschen Entscheidungen, wenn sie die Trends nicht frühzeitig identifizieren. Wir müssen uns daher mit der neuen Umwelt beschäftigen.

Sieben wichtige Punkte

Banken und Anleger müssen sich anpassen. Noch ist es schwierig, die Veränderungen in vollem Umfang wahrzunehmen. Auch kommt immer wieder Neues dazu, und anderes fällt weg. Es gibt aber einige Hinweise. Hier sind sieben Punkte, die mir bedeutsam erscheinen:

Erstens, die Staatsverschuldung: Sie wird kaum mehr auf das frühere Niveau zurückkommen. Derzeit beläuft sie sich in Deutschland auf 76 Prozent des Bruttoinlandprodukts. Anfang der siebziger Jahre waren es erst 18 Prozent.

Schon das erschien damals beunruhigend; denn es untergräbt das Zukunftsvertrauen. Es verlangt grössere Vorsicht bei der Bewertung von Risiken. Auch Staaten können bankrott gehen oder zahlungsunfähig werden (siehe Dubai).

Noch nie habe ich so viele besorgte Fragen nach einer Währungsreform gehört wie in diesen Tagen. Zudem verschiebt sich die Balance auf den Kapitalmärkten. Staatspapiere nehmen einen immer grösseren Raum ein, Aktien verlieren. Schon jetzt machen Aktien in den USA nur rund 30 Prozent der gesamten Marktkapitalisierung aus, in Japan 22 Prozent und in Euroland 20 Prozent.

Zweitens, die Liquidität: Natürlich werden die Geldpolitiker alles tun, die hohe Liquidität in den Bilanzen der Notenbanken wieder einzusammeln. Das wird aber lange dauern, zumal die Fehlentwicklung nicht erst mit der Krise begonnen hat.

Vor allem in den USA geht sie bis Mitte der neunziger Jahre zurück. Zudem ist das Einsammeln zeitraubender und schwieriger als die vorherige Ausweitung. Das heisst, dass Kapitalmärkte noch eine Weile in Liquidität «schwimmen» werden. Die Kurse von Aktien und Bonds werden von Liquidität getrieben. Fundamentale Bewertungsfaktoren treten in den Hintergrund.

Drittens, der Staat: Die grössere Rolle des Staates gegenüber der Wirtschaft. Die Krise hat das Selbstbewusstsein der Politiker gegenüber der Wirtschaft mächtig gestärkt. Sie werden in Zukunft weniger Hemmungen haben, in die Marktkräfte einzugreifen. Es wird mehr Regulierungen geben.

Der Staat wacht über die Bezahlung der Manager. Er regelt die Anlageberatung, und er bittet Aktionäre stärker zur Kasse. Sogar die eingefleischten Marktwirtschaftler in Grossbritannien und den USA entdecken ein Faible für den französischen Weg der Industriepolitik. Damit gewinnen politische Risiken an Gewicht.

Die Politik wird auch diskretionärer und damit schwerer vorhersehbar. Viele Prinzipien der Marktwirtschaft sind über Bord geworfen worden. Banken wurden nationalisiert. Einige Zentralbanken haben Staatspapiere gekauft.

Die Haftung der Unternehmen für Fehlentscheidungen wurde in Teilen ausser Kraft gesetzt. Damit wurden Grenzen überschritten, die lange Zeit tabu waren. In der Krise war das nötig, es wird aber weiter wirken. Die Politik wird in Zukunft weniger Skrupel haben einzugreifen, auch wenn es keine grosse Krise gibt. Man sollte drei Mal nachdenken, bevor man gewisse Ereignisse ausschliesst.

Viertens, der Finanzsektor: Er wird sich verändern. Bisher konnte man den Eindruck haben, als sei es als Folge der Krise mit ein paar verschärften Vorschriften für die Eigenkapitalunterlegung, das Risikomanagement und die Liquiditätsvorsorge getan.

Das löst aber nicht das Problem der so genannten systemischen Banken, die man nicht insolvent gehen lassen kann. Sie sind ein Fremdkörper in einer Marktwirtschaft, weil hier die Haftung als Grundelement unternehmerischen Handelns ausser Kraft gesetzt ist. Zwar gibt es viele Vorschläge, wie das Problem gelöst werden kann. Es ist aber noch nicht erkennbar, welcher Weg beschritten wird.

Fünftens, das Wirtschaftswachstum: Als Folge all dieser Veränderungen wird es sich verlangsamen. Der Wettbewerbsdruck verringert sich, die Innovationskraft sinkt, auch vom Finanzsektor gehen nicht mehr so viele Neuerungen aus.

Zudem fällt in der Weltwirtschaft der amerikanische Konsument als wichtige Triebkraft der Nachfrage aus. Er kann sich nicht mehr so viel leisten. Die neuen Verbraucher aus den Schwellenländern werden aber nicht so schnell seinen Platz einnehmen können. Das belastet die Unternehmenserträge – und natürlich die Aktien.

Sechstens, die Inflation: Es wird auf absehbare Zeit keine grösseren Preissteigerungen geben, die Menschen werden aber gleichwohl Inflationsängste haben. An sich ist das ein Widerspruch. Irgendwann wird er sich auch in der einen oder anderen Richtung auflösen (ich vermute, dass wir eher in ein inflationäres Umfeld zurückkehren).

Das dauert aber seine Zeit. So lange werden die Kapitalmärkte mit der Ambivalenz leben, sowohl Produkte zur Inflationsabsicherung wie auch zum Schutz gegen Deflation anbieten zu müssen.

Siebtens, der Dollar: In der Weltwirtschaft wird der Dollar nicht mehr die überragende Rolle spielen. Das hängt zum Teil mit der Finanzkrise zusammen, die von den USA ausging. Zum Teil ist es aber nur ein Vorwand für Schwellenländer, ihre Abhängigkeit von Amerika zu lockern.

In jedem Fall bleibt der Dollar schwach. Aber Vorsicht: Wenn die Federal Reserve die Zinsen erhöht und die Carry-Trades auf der Basis Dollar unattraktiv werden, wird eine starke Nachfrage nach der US-Währung einsetzen, die den Wechselkurs temporär nach oben treibt.

Für den Anleger: Sie müssen sich auf das neue Umfeld einstellen. Wir haben zunehmend eine staatlich gesteuerte Marktwirtschaft. Es gibt nicht mehr so viele Privatisierungen. Aktien werden nicht mehr die dominante Rolle spielen. Die Kapitalmärkte werden von Staatsanleihen überflutet.

Ein langer Weg für Bankaktien

Die Renditen der gesamten Portfolios werden tendenziell nicht mehr so hoch sein. Die Zukunft wird schwerer vorhersehbar. Anlegen und Anlageberatung werden «bürokratischer». Es wird lange dauern, bis Bankaktien wieder zu den alten Kursniveaus zurückkehren.

 

 

Welche Schweizer Privatbank bietet an der Börse nun das grösste Potenzial?
Welche Schweizer Privatbank bietet an der Börse nun das grösste Potenzial?
  • Julius Bär, weil der Kurs seit dem Signa-Debakel genügend gesunken ist.
    20.28%
  • Vontobel, weil das Unternehmen 2024 die Wende im Asset Management schaffen wird.
    8.77%
  • EFG International, weil die Bank keinerlei interne Probleme bekundet und stark wächst.
    14.91%
  • UBS, weil die Grossbank auch als Privatbank enormes Potenzial bietet.
    46.28%
  • Banque Cantonale Vaudoise, weil sie unter den Kantonalbanken ein grosses Private Banking anbietet.
    9.74%
pixel