Nun in London «herumzuweibeln», bringe wenig, findet Thomas Ulrich. Vielmehr gehe es darum, die wertschöpfungsintensiven Jobs in der Schweiz zu behalten, sagt der Präsident des Zürcher Bankenverbands.  


Herr Ulrich, überraschend viele Zürcher Bankangestellten haben an der kürzlichen Umfrage über die Befindlichkeit in der Finanzbranche mitgemacht. Wie erklären Sie sich die grosse Resonanz?

Ich muss zugeben, ich war völlig überrascht, auch vom positiven «Spirit», der dabei zum Ausdruck kam.

Wie meinen Sie das?

Die mehr als 750 Teilnehmer haben sich enorm viel Mühe gegeben, um die Fragen zu beantworten und darüber hinaus konstruktive Empfehlungen und Verbesserungsvorschläge abgegeben. Das waren keine anonymen Kommentarschreiber, die auf manchen Blogs notorisch über die Bankbranche herziehen.

Was sind die wichtigsten Erkenntnisse, die Sie aus dieser Umfrage ziehen?

Sicherlich die Tatsache, dass die Bankangestellten keine Verweigerungshaltung gegenüber der Digitalisierung des Bankgeschäfts einnehmen. Das hätte man annehmen können, zumal es oft heisst, der technologische Fortschritt sei ein Job-Killer in der Bankbranche.

Das stimmt nicht?

Ich würde es anders formulieren: Natürlich verschwinden Jobs, aber es gibt auch neue – gerade dank Fintech entstehen ganz neue Berufsbilder. Mobile App-Entwickler beispielsweise gab es vor einigen Jahren noch nicht, und heute ist das eine unverzichtbare Arbeit.

«Es muss in unserem ureigenen Interesse sein, eine agile Fintech-Branche hier zu haben»

Ganz allgemein müssen wir Acht geben, dass die interessanten und wertschöpfungsintensiven Jobs in der Schweiz bleiben. Das ist sozusagen unser Rohstoff.

Rohstoff wozu?

Eine Bank ist nichts anderes als die Verbindung von Humankapital und Technologie. Darum muss es in unserem ureigenen Interesse sein, die besten Leute sowie eine vielseitige und agile Fintech-Branche hier zu haben und nicht in London oder Berlin.

Wie kriegt man das hin?

Unter anderem durch Ausbildung, Know-how-Austausch und Veranstaltungen. Um dies zu unterstützen, haben wir unlängst den Verband «Swiss Fintech Innovations» gegründet, der die hiesigen Kräfte in der Digitalisierung bündelt und das mit Erfolg.

«Allgemein ist weniger «herumweibeln» angesagt als eine kluge Wahrnehmung unserer Interessen»

Fintech ist ein Wettbewerbsfaktor, um sozusagen die schnellere Bank zu sein. Am Beispiel von Twint und Paymit hat sich gezeigt, wie wir durchaus in der Lage sind, unsere Kräfte zu bündeln, unser Know-how auszuspielen und so aus dem Ausland getriebene Produkte wie Apple Pay eigene Lösungen entgegen zu stellen.

Müsste der Finanzplatz Zürich mit dem Brexit nicht in London herumweibeln und schauen, dass manche Geschäfte in die Limmatstadt gelangen?

Der Brexit bietet zweifellos auch Chancen, die es zu nutzen gilt. Diese sehe ich allerdings nicht nur in einer Stärkung der Position gegenüber London, sondern auch im Aufbau von gemeinsamen Positionen. Denn der Zugang zum europäischen Markt ist für beide Finanzplätze entscheidend. Allgemein ist weniger «herumweibeln» angesagt als eine konsequente, kluge Wahrnehmung unserer Interessen.

«Wir haben bewiesen, auch in nachteiligen Situationen erfolgreich zu sein»

Im Übrigen rechne ich mit langwierigen Verhandlungen zwischen Grossbritannien und der EU. Darum wird sich kurzfristig vermutlich weniger ändern, als man gemeinhin annimmt.

Warum?

Die Schweiz ist das beste Beispiel dafür, wie man als Finanzplatz auch ohne EU-Pass erfolgreich sein kann. Das wissen die Briten. Darum werden sie alles daran setzen, ihre Attraktivität nicht zu verlieren.

Aber es ist schon so, dass wir nun gute Chancen haben, uns international besser zu positionieren. Wir haben ein gutes Standing, wir sind stark und können vieles, was andere nicht können. Wir haben enorm viel Erfahrung, gut ausgebildete Bankleute und immer wieder bewiesen, auch in nachteiligen Situationen erfolgreich zu sein.

Wie kann sich Zürich gegenüber London besser positionieren?

Es ist nicht unser Ziel, das Investmentbanking von der Themse an die Limmat zu holen, im Glauben, wir könnten jetzt das «big business» machen. Sowas wäre naiv. Doch wir können im Private Banking und im Asset Management – also in der Produktentwicklung und -gestaltung – unsere Stärken ausspielen und die entsprechenden Geschäftsbereiche in der Schweiz ausbauen.

Die Umfrage hat allerdings auch gezeigt, dass sich Zürich als Finanzplatz nach aussen sehr schlecht verkauft.

Das stimmt. Das ist ein Weckruf. Er stösst bei uns auf offene Ohren, denn genau das haben wir uns zum Ziel gesetzt, als wir den Zürcher Bankenverband im Jahr 2010 neu ausgerichtet haben. Wir wollen dazu beitragen, dass der Bankenplatz mit mehr Selbstbewusstsein auftritt.

«Wir wollen am Thema bleiben»

Als kleiner Milizverband wirken wir aber in erster Linie im Inland, gegenüber Öffentlichkeit Politik und Meinungsbildnern. Im Vergleich zu konkurrierenden ausländischen Finanzplätzen hält sich die liberale Schweiz mit staatlicher Standortförderung sehr zurück.

Die kantonale Standortförderung des Amts für Wirtschaft und Arbeit sowie die öffentlich-private Stiftung Greater Zurich Area sind beides Institutionen, die auch andere Branchen fördern. Aber wir setzen alles daran, unsere Kräfte zu bündeln, die Aktivitäten zu koordinieren und schlagkräftige Partnerschaften zu bilden.

Wie weiter?

Nach dem grossen Rücklauf aus der Umfrage wollen wir am Thema bleiben und versuchen, die vielen Anregungen aufzugreifen. Wir werden sie im Vorstand und in den Ausschüssen thematisieren, geeignete Massnahmen ergreifen und diese verstärkt kommunizieren.

Was sind die Themen?

Eine massvolle Regulierung, keine überbordende Administration, mehr Unternehmertum und Eigenverantwortung in der täglichen Arbeit und zugegebenermassen auch eine langfristig ausgerichtete Geschäftspolitik als dies mancherorts bisher der Fall war.


Der 52-jährige Thomas Ulrich ist seit sechs Jahren Präsident des Zürcher Bankenverbands, dem rund 40 Banken sowie die wichtigsten Versicherungen angeschlossen sind. Der promovierte Ökonom startete seine Banklaufbahn in den 1980er-Jahren beim Schweizerischen Bankverein (SBV) und hat seither diverse Funktionen im Privat- und Firmenkundengeschäft der UBS ausgeübt. Heute ist er Regionaldirektor und Leiter Wealth Management für die Region Zürich.