Anlegen ohne Mut ist nicht einträglich, wobei Anlegen ohne Disziplin gefährlich ist, schreibt Finanzexperte Didier Saint-Georges in seinen Risiko-Betrachtungen auf finews.first.


Dieser Beitrag erscheint in der Rubrik finews.first. Darin nehmen renommierte Autorinnen und Autoren Stellung zu Wirtschafts- und Finanzthemen. Dabei äussern sie ihre eigene Meinung. Die Texte erscheinen auf Deutsch und Englisch. finews.first läuft in Zusammenarbeit mit der Genfer Bank Pictet & Cie. Die Auswahl und Verantwortung der Beiträge liegt jedoch bei finews.ch.


Anleger fühlen sich unwohl, wenn es darum geht, Risiken für ihr Erspartes zu managen, die mit dem Herannahen politischer Termine verbunden sind. Die jüngste Korrektur der Märkte nach dem Referendum der Briten über den Brexit hat augenfällig die Gefahr von binären Wetten veranschaulicht, vor allem, wenn man nicht den geringsten Mehrwert daraus ziehen kann.

Nachdem der Brexit nach den letzten veröffentlichten Umfragen praktisch ausgeschlossen wurde, hatten sich sehr viele Anleger auf diese Annahme versteift. So missachteten sie gleich zwei elementare Regeln des Risikomanagements:

  • sich immer ein freies Denken zu erhalten und den Mut zu haben, gegen den Konsens zu sein.
  • sich vor sehr asymmetrischen Risiken hüten. Das Risiko im Zusammenhang mit dem Referendum war offensichtlich asymmetrisch.

Da die Märkte mittlerweile ihren kurzen spekulativen Übermut abgeschüttelt haben, wird es nun darum gehen, dieses neue Ereignis in eine objektive Risikoanalyse einzubeziehen und einzuschätzen, ob die Märkte dieses Mal nicht übertrieben blind vor Angst waren. Denn Risikomanagement besteht auch darin zu wagen, Risiken einzugehen, sei es, um die Nase vorn zu haben, sei es, um sich gelegentlich auch zu irren.

«Der Brexit hätte nicht so viel Bedeutung, wenn die Weltwirtschaft nicht so instabil wäre»

Bevor Risikomanagement zu einer Frage des technischen Know-hows wird, ist es zunächst einmal eine Sache des Urteilens und des Charakters. Bildlich gesprochen bedeutet Know-how, dass man weiss, dass die Tomate zur Familie der Nachtschatten-Gewächse gehört, Weisheit bedeutet, dass man sie nicht in einen Obstsalat mischt.

Das Votum der Briten hätte nicht so viel Bedeutung, wenn die Weltwirtschaft nicht so instabil wäre. Man sollte den Paradigmenwechsel an den Märkten nicht vergessen, auf den wir seit Juli 2015 hinweisen. Der Anstieg der weltweiten Aktienmärkte um 70 Prozent von 2011 bis 2015 trotz unveränderter Unternehmensergebnisse in diesem Zeitraum beruhte in erster Linie auf einem Glaubensakt.

Man wettete darauf, dass es nur eine Frage der Zeit sei, bis die Unternehmensergebnisse im Zuge eines stärkeren Weltwirtschafts-Wachstums und dank des beharrlichen Einschreitens der Zentralbanken steigen würden. Doch dieses Vertrauen wurde ab 2015 allmählich enttäuscht.

«Drei Schocks hat es seither gegeben»

In dem Moment, als die US-Notenbank ihren dritten Zyklus der Geldschöpfung beendete, lösten die Unternehmensergebnisse einen weltweiten Rückgang aus. Von nun an begannen die Aktienmärkte, ihre Wertzuwächse aus der Vergangenheit wieder abzugeben, und der Rückgang der langfristigen Zinsen verschärfte sich.

Die Glaubwürdigkeit der Bank of Japan (BoJ) und der Europäischen Zentralbank (EZB) begann zu bröckeln, was das schwache Wachstumsniveau, das erreicht war (fast acht Jahre nach dem Konkurs der Lehman Brothers-Bank gibt es in der Eurozone immer noch 4,5 Millionen mehr Arbeitslose als 2007), noch anfälliger für externe Impulse machte.

Drei Schocks hat es seither gegeben, nämlich die Abwertung des Renminbi im August 2015, den Einbruch der Ölpreise im Januar 2016 und nun den Brexit. Alle drei bürdeten dem weltweiten Wachstum jedes Mal eine neue Bedrohung auf und förderten die Instabilität der Märkte.

«Der ausbleibende Erfolg in Europa könnte eine Zunahme der Unzufriedenheit nähren»

Der Mangel an Wirtschaftswachstum beginnt erkennbare politische Effekte zu erzeugen. In den USA fördert die Stagnation der durchschnittlichen Reallöhne seit 2000 die Popularität der populistischen und protektionistischen Haltung von Donald Trump, umso mehr, als das Quantitative Easing (QE) weitgehend den besser gestellten Haushalten zugutegekommen ist.

In Europa spielten die schwachen Wirtschaftsaussichten in der EU eine bedeutende Rolle bei der Unfähigkeit von David Cameron, eine Mehrheit der britischen Wähler davon zu überzeugen, ihr Schicksal mit ihr zu verbinden. Dieselben Ursachen erzeugen dieselben Wirkungen.

Der ausbleibende wirtschaftliche Erfolg in Europa könnte eine weitere Zunahme der Unzufriedenheit nähren. Die Proteststimmen werden bei den nächsten Wahlen zunehmen, wenn Europa nicht zum Wachstumskurs zurückfindet, und werden damit das Gespenst eines Zerfalls heraufbeschwören.

So wird es nachvollziehbar, dass die Märkte beginnen, sich für die nächste Phase zu positionieren, die in der Erkenntnis der ökonomischen Ineffizienz der Geldpolitiken bestehen dürfte.

«Die Suche nach Performance beginnt natürlich mit einem Wagnis»

Wird die «traditionelle» politische Klasse, nachdem sie gespürt hat, dass der Schuss sie nur knapp verfehlt hat, zu einem unverhofften Aufspringen in der Lage sein? In jedem Fall könnten die gemässigteren, der Rhetorik eines Bruchs nicht ganz abgeneigten Wähler an der politischen, wenn nicht wirtschaftlichen Krise, in die sich Grossbritannien verrannt hat, besser erkennen, wie gefährlich es ist, mit dem Feuer zu spielen.

Die Kapitulation von Boris Johnson wenige Tage nach dem Triumph seiner Kampagne könnte auch den kritischen Geist im Hinblick auf die groben demagogischen Argumente anregen. Unter diesem Gesichtspunkt sind die schwächer als erwartet ausgefallenen Ergebnisse der Bewegung Unidos Podemos bei den jüngsten Parlamentswahlen in Spanien, die unmittelbar nach dem Brexit-Votum stattfanden, ermutigend.

Bis auf Weiteres ist es zumindest wahrscheinlich, dass die Unterstützung seitens der Zentralbanken bestätigt oder kurzfristig gar verstärkt wird. Die Bank of England hat es bereits mitgeteilt, und in den USA wird die Federal Reserve voraussichtlich von nun an noch zögerlicher sein, die Geldpolitik zu straffen.

«Dieses Ziel ist ganz und gar nicht banal»

In einem Umfeld von Nullzinsen oder sogar negativen Zinsen wäre es mehr denn je verlogen zu behaupten, man könne eine langfristige Performance erzielen, ohne Risiken einzugehen. Die Suche nach Performance beginnt natürlich mit dem Wagnis und mit dem Bemühen darum, im Durchschnitt häufiger richtig als falsch zu liegen.

Trotz seiner scheinbaren Offensichtlichkeit ist dieses langfristige Ziel ganz und gar nicht banal, denn unabhängige Analysen zeigen, dass die langfristig besten Verwaltungen einen Anteil guter Entscheidungen von etwa 60 Prozent aufweisen. Doch nicht alle Fehler sind gleich.

So haben beispielsweise allein die fünf schlechtesten Monate den Index S&P 500 in zwanzig Jahren 50 Prozent seiner Performance gekostet (die von +560 Prozent auf +236 Prozent fiel). Anlegen ohne Mut ist nicht einträglich, wobei Anlegen ohne Disziplin gefährlich ist.

Risikomanagement bedeutet, peinlich genau auf asymmetrische Risiken zu achten und sich ständig der Verantwortung bewusst zu sein, die man im Hinblick auf das Vertrauen der Kunden hat. Ermöglicht wird dies durch die Freiheit des Denkens.


Didier Saint-Georges ist Mitglied des Investmentkomitees und Managing Director beim französischen Fondshaus Carmignac Gestion.


Bisherige Texte von: Rudi Bogni, Adriano B. Lucatelli, Peter Kurer (zweimal), Oliver Berger, Rolf Banz, Dieter Ruloff, Samuel Gerber, Werner Vogt, Walter Wittmann, Alfred Mettler, Peter Hody, Robert Holzach, Thorsten Polleit, Craig Murray, David Zollinger, Arthur Bolliger, Beat Kappeler, Chris Rowe, Stefan Gerlach, Marc Lussy, Samuel Gerber, Nuno Fernandes, Thomas Fedier, Claude Baumann, Beat Wittmann, Richard Egger und Maurice Pedergnana.

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