Bald entscheidet die Schweiz über das Nachrichtendienstgesetz. Warum auch freiheitsliebende Schweizerinnen und Schweizer diesem Artikel zustimmen können, erläutert Andreas Britt auf finews.first.


Dieser Beitrag erscheint in der Rubrik finews.first. Darin nehmen renommierte Autorinnen und Autoren Stellung zu Wirtschafts- und Finanzthemen. Dabei äussern sie ihre eigene Meinung. Die Texte erscheinen auf Deutsch und Englisch. finews.first läuft in Zusammenarbeit mit der Genfer Bank Pictet & Cie. Die Auswahl und Verantwortung der Beiträge liegt jedoch bei finews.ch.


Terroristische Anschläge erschüttern in regelmässigen Abständen Länder von Nigeria bis Schweden und von Thailand bis in die USA. Mit den Attentaten in Paris, Nizza und in Bayern scheint sich nun die Schlinge auch um den Hals der Schweiz zusammenzuziehen, nachdem diese seit den Zeiten der Roten Armee Fraktion vom Morden mit politischen Motiven weitgehend verschont geblieben ist.

Als Antwort auf diese Häufung und auf die Brutalität der Angreifer haben viele der betroffenen Länder ihre Mittel zur Bekämpfung des Terrorismus aufgestockt – in Frankreich beispielsweise gelten nach wie vor Notstandsgesetze. Ganz zu schweigen von der mehr oder weniger unbemerkt ablaufenden Aufrüstung der Polizei – während zum Beispiel der englische Bobby traditionellerweise keinen Zugang zu einer Schusswaffe hatte, sind heute die bewaffneten, polizeilichen Kräfte in Grossbritannien massiv ausgebaut worden.

Das Schweizer Stimmvolk befindet am 25. September über das neue Nachrichtendienstgesetz (NDG). Dabei geht es im Wesentlichen um die gesetzgeberische Grundlage für die nachrichtendienstliche Tätigkeit in der Schweiz und insbesondere um die umstrittenen, zusätzlichen verdeckten Ermittlungsmöglichkeiten – so das Eindringen in Räume, in Computer und die Überwachung des Email-Verkehrs.

Der verantwortliche Bundesrat Guy Parmelin darf mit breitem Zuspruch rechnen. Die Regierung und die Räte unterbreiten der Bevölkerung ein Gesetz, das besser auf die «aktuellen Risiken» zugeschnitten ist. Wer möchte da widersprechen?

So einfach scheint es nun aber doch nicht zu werden, wenn man den jüngsten Umfragen Glauben schenken darf.

«Vertrauen sieht anders aus»

In einer ersten Umfrage des Medienkonzerns Tamedia von Anfang August bekannten sich erst 37 Prozent zu einem klaren Ja zum Gesetz, während immerhin 25 Prozent sicher dagegen stimmen wollten. Selbst unter Berücksichtigung der üblichen Entwicklungen der Meinungsbildung vor einer Abstimmung: Vertrauen sieht anders aus. Nur ein gutes Drittel ist gegenwärtig überzeugt davon, dem Nachrichtendienst des Bundes (NDB) weitere Befugnisse zu erteilen.

Angesichts der globalen Grosswetterlage mag die eher magere Zustimmung überraschen – aber nur auf den ersten Blick. Die so genannte «Fichenaffäre» ist vielen Stimmberechtigten in schlechter Erinnerung und sowieso, das Stimmvolk schränkt sich die eigene Freiheit nur ungern ein. Das NDG ist also kein Selbstläufer, weil rechte Freiheitsliebende und linke Anti-Staatsschützer eine unheilige Allianz bilden.

Die Argumente der Gegner konzentrieren sich auf die Passage des Gesetzes, welche es dem NDB erlaubt, aufgrund eines begründeten Verdachts hin verdeckt in die Privatsphäre eines Menschen einzudringen. Die Diskussion über dieses Recht ist richtig und wichtig, denn das Instrument der verdeckten Ermittlung ist ein unheimliches und eines, das beim Bürger, bei der Bürgerin ein Gefühl des «Wir-und-die-da-oben-in-Bern», also eine Distanz zwischen Bürger und Staat befördern kann.

Und die Schweiz lebt ja seit je davon, dass der Staat (mehr oder weniger) als Teil der Gesellschaft, sozusagen als administrativer Arm der Schweiz AG begriffen wird.

«Wenn wir als Land die Existenz eines Dienstes befürworten, dann in einem geordneten Rahmen»

Aber genau das Argument für einen bürgernahen Staat spricht für die Einführung des NDG. Die Mehrheit der Schweizerinnen und Schweizer und ihre gewählten Vertreter befürworten die Existenz eines Nachrichtendienstes. Seit Anfang 2010 gibt es auf der zivilen Ebene in der Schweiz statt wie im Ausland üblich zwei, nur noch einen Dienst, nämlich den NDB.

Er ist das Produkt einer Fusion zwischen DAP und SND, also zwischen dem polizeilich geprägten Inlanddienst und dem beim Militär angesiedelten Auslandnachrichtendienst. Die gesetzlichen Grundlagen der beiden aufgelösten Dienste genügten natürlich dem fusionierten Dienst nicht mehr, weshalb es überhaupt dazu kam, dass ein neues Gesetz verfasst werden musste.

Wenn wir aber als Land die Existenz eines Dienstes befürworten, dann in einem geordneten Rahmen – und dafür brauchen wir ein Gesetz. Dem Referendumskomitee kommt das Verdienst zu, dass wir über die Einführung debattieren und darüber abstimmen dürfen.

Bedauerlicherweise hat sich die Sozialdemokratische Partei auf die Seite der Gegner des Gesetzes geschlagen und wirbt für ein Nein am 25. September, unter dem Titel «Nein zum Schnüffelstaat». Die SP schreibt, dass die Terroristen, welche in Europa Anschläge verübt haben, bei den entsprechenden Sicherheitsbehörden registriert waren und trotzdem nicht von ihren Taten abgehalten werden konnten.

Das mag vielleicht so sein, aber heisst dies, dass die europäischen Staaten darauf verzichten sollten, in präventiver Absicht Terroristen aufzuspüren? Sollen sie aufhören, die Namen und die Aktivitäten zu registrieren und, noch viel wichtiger, untereinander auszutauschen? Nein, natürlich nicht, sie sollen noch viel energischer werden, und sie sollen es gezielt tun.

«Die internationale Zusammenarbeit ist gewiss kein Wunschkonzert»

Das NDG wird den Terrorismus nicht verhindern. Es ist ein Gesetz, welches die Mittel benennt und die nachrichtendienstliche Tätigkeit definiert. Das Gesetz ist kein Anti-Terror-Gesetz. Natürlich ist der Terrorismus eine Kernaufgabe des NDB, aber nicht nur. Der Kampf gegen den Terrorismus kann nur in Zusammenarbeit mit allen Staaten geführt werden und das Gesetz regelt eben diese Zusammenarbeit.

Die internationale Zusammenarbeit aber ist kein Wunschkonzert – Nachrichtendienst wird in der Schweiz mit oder ohne Gesetz getätigt. Es ist aber sicher sinnvoller, wenn die Schweiz diese Tätigkeit im Inland nach Möglichkeit selber ausübt, statt dass die grossen Dienste aus dem Ausland ein entsprechendes Vakuum in der Schweiz ausfüllen.

Die Gegner des neuen Gesetzes, respektive der neu definierten Mittel der verdeckten Überwachung, haben recht, wenn sie sich gegen eine flächendeckende Massenüberwachung wehren. Aber diese geht sicher nicht vom NDB oder anderen Institutionen der Schweiz aus. Der schweizerische Zentralstaat und die Kantone verfügen nicht über die Mittel, um eine Massenüberwachung zu organisieren und eine solche zu nutzen.

Die grössten Dienste dieser Welt haben hunderttausende von Mitarbeitenden (!). Der Dienst hierzulande hat hunderte. Die Aufgabe des Bundes ist es, diese wenigen Mittel gezielt einzusetzen, damit Gefahren erkannt werden und damit diese im Sinne einer Prävention mit dem Ausland ausgetauscht werden können.

«Diskrete Nachforschungen in einem frühen Stadium können schlimmeren Schaden abwenden»

Der Dienst ist aber nicht nur eine Anti-Terror-Einheit. Er beschäftigt sich auch mit Bedrohungen durch wirtschaftliche Spionage, Sabotage (Hacker) und unerlaubte Spionage (beispielsweise zum Schutz der internationalen Organisationen). Er muss im weiteren dem Bundesrat ohne Vorlaufzeit Einschätzungen über Problemzonen dieser Welt liefern können – sei es in Schwarzafrika, dem Nahen Osten oder in Pakistan.

Wozu braucht der Dienst dann verdeckte Mittel zur Abwehr von wirtschaftlicher Spionage? Auch hier gilt: Diskrete Nachforschungen in einem frühen Stadium können schlimmeren Schaden abwenden, falls gut ausgeführt. Hier gilt, dass die Wirtschaft sich der Gefahren bewusst ist und auch selber Anstrengungen zum eigenen Schutz unternimmt.

«Beim NDB würde man sich die Wunden lecken und über die Linken schimpfen»

Was passiert, wenn der Souverän das Gesetz am 25. September versenkt? Ein abgeschwächtes Gesetz, also ohne die kritisierten Instrumente, müsste geschrieben werden und würde wohl im Parlament abgesegnet – und auch kaum zu einem neuen Referendum führen. Beim NDB würde man sich die Wunden lecken und über die «Linken» schimpfen.

Aber wirklich wichtig wäre die Reaktion der Dienste im Ausland. Es wäre wenig erstaunlich, wenn die grossen Organisationen sich des Themas annehmen würden – und diese Aktivitäten wären dann definitiv nicht bewilligungsfähig.

Die Prognose fällt mir einfach: Am 25. September wird die Mehrheit dem Bundesrat und Parlament folgen. Das Argument, dass die Schweiz einen effizienten Nachrichtendienst braucht, um Bedrohungen wie den islamistischen Terror und wirtschaftlichen Nachrichtendienst zu bekämpfen, wiegt zu schwer.


Andreas Britt ist Publizist und Redaktor bei finews.ch. Er studierte politische Wissenschaften an der London School of Economics und arbeitete danach als Redaktor bei der internationalen Nachrichtenagentur «Bloomberg News» in Zürich und Stockholm, wo er sich vor allem mit politischen und makroökonomischen Themen befasste. Bevor er 2015 zu finews.ch stiess, arbeitete Britt während acht Jahren als Politologe und Führungskraft in der Bundesverwaltung in Bern.


Bisherige Texte von: Rudi Bogni, Adriano B. Lucatelli, Peter Kurer, Oliver Berger, Rolf Banz, Samuel Gerber, Werner Vogt, Walter Wittmann, Alfred Mettler, Robert Holzach, Thorsten Polleit, Craig Murray, David Zollinger, Arthur Bolliger, Beat Kappeler, Chris Rowe, Stefan Gerlach, Marc Lussy, Samuel Gerber, Nuno Fernandes, Thomas Fedier, Claude Baumann, Beat Wittmann, Richard Egger, Maurice Pedergnana, Didier Saint-Georges, Dieter Ruloff, Marco Bargel, Peter Hody und Steve Hanke.

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