Deutsche Forscher können errechnen, was sich im Innern eines Schwarms abspielt – und noch einiges mehr. Ihr nächstes Ziel wirft bange Fragen zum Herdenverhalten an der Börse auf.

Die «Crowd» ist auch in der Finanzindustrie längst zum Schlagwort avanciert. Sei es vermittels Crowdlending, Crowdinvesting oder schlicht Crowdfinance: der Schwarm soll schaffen, was dem Einzelnen im Finanzwesen versagt bleibt. In der Schweiz haben selbst so bodenständige Marktteilnehmer wie die Luzerner Kantonalbank, die «Hypi» Lenzburg oder die Post-Tochter Postfinance entsprechende Angebote lanciert.

Doch nicht nur Banker interessieren sich für das Wesen der Massen. Forscher an der Technischen Universität München (TUM) haben sich im Rahmen des Projekts «High-Dimensional Sparse Optimal Control» intensiv mit dem Herdentrieb auseinandergesetzt.

Menschen wie Gasmoleküle

Noch mehr: sie entwickeln nicht nur die Werkzeuge, um menschliches Verhalten zu berechnen. Sondern auch, um dieses zu beinflussen.

Das alles leisten sollen mathematische Formeln, wie aus einer Mitteilung der Hochschule vom Montag hervorgeht. «Analog zu den Anziehungskräften zwischen Molekülen eines Gases können wir generalisierte Verhaltensmuster als wechselseitige Kräfte zwischen einzelnen Agenten beschreiben und sie so in mathematischen Gleichungen abbilden», beschreibt Forschungsleiter Massimo Fornasier seine Vorgehensweise.

Vorwort von Aldous Huxley

In einem nächsten Schritt können er und seine Mathematiker-Kollegen dann auch Vorhersagen über künftiges Verhalten treffen, so Fornasier weiter. «Wenn wir das Verhalten einer Gruppe vorausberechnen können, ist es nur noch ein kleiner Schritt, sie auch steuern zu können.»

Das erinnert unangenehm an die totalitären Kontroll-Visionen im Werk «Schöne neue Welt» des Briten Aldous Huxley. Nicht von ungefähr leitete Fornasier seine Forschungsarbeit mit einem Huxley-Zitat ein. «Bei allen denkbar positiven Anwendungsmöglichkeiten stellt sich natürlich auch die Frage des Missbrauchs», gibt Fornasier zu.

Die TUM-Forscher betonen denn auch, ihre Kontroll-Algorithmen nur für gute Zwecke einsetzen zu wollen. Etwa, um die Sicherheit bei Grossveranstaltungen zu erhöhen oder Evakuierungen effizienter zu gestalten.

Noch mehr Macht den Maschinen?

Noch ein fruchtbares Feld kommt den Wissenschaftlern in den Sinn. «Wir können unsere Ergebnisse aber auch auf andere interessante gesellschaftliche Bereiche übertragen, beispielsweise auf das Verhalten von Investoren auf den Finanzmärkten», so Fornasier. Dort können durch genau abgestimmte Aktivitäten grosser Investoren erhebliche Marktbewegungen ausgelöst werden, weiss er.

Bereits jetzt befinden sich die Algorithmen an den Finanzmärkten auf rasantem Vormarsch. Führende Banken wie die Schweizer UBS und Credit Suisse setzen auf so genannte Quant-Investmentstrategien, Finanzprofis sind vom Siegeszug der «Systeme» überzeugt. Und nachdem bereits mehr als die Hälfte des US-Aktienhandels von Maschinen betrieben wird, stellt sich die bange Frage, was wäre, würden Computer-basierte Systeme auch noch die Herde der Investoren vor sich her treiben.

Das dies gar nicht so abwegig ist, zeigt ein weiterer Forschungs-Befund Fornasiers. «Gut funktioniert die Vorhersage dort, wo eine Gruppe generalisierte Verhaltensmuster zeigt.»

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