Kryptowährungen hätten das Potenzial, den Dollar als weltweite Transaktionswährung zu ersetzen, schreibt die Finanzexpertin Brigitte Strebel in ihrem exklusiven Essay für finews.first.


Dieser Beitrag erscheint in der Rubrik finews.first. Darin nehmen Autorinnen und Autoren Stellung zu Wirtschafts- und Finanzthemen. Dabei äussern sie ihre eigene Meinung. Die Texte erscheinen auf Deutsch und Englisch. finews.first läuft in Zusammenarbeit mit der Schweizer Privatbank Pictet & Cie. Die Auswahl der Beiträge liegt bei finews.ch.


Zwar hat die US-Währung gleich nach der Wahl von Donald Trump zum Höhenflug angesetzt. Aber die Experten sind sich einig: Falls Trump seine angekündigte Wirtschaftspolitik umsetzt, werden nicht nur die Zinsen in den Vereinigten Staaten steigen, sondern auch das Budget- und Ertragsbilanzdefizit.

Irgendwann wird sich dies trotz höherer Zinssätze auch im Aussenwert des Dollars manifestieren. Das US-Twin-Defizit lässt sich aber nur durch die global akzeptierte Transaktionswährung Dollar finanzieren. Zusammen mit der angekündigten protektionistischen Wirtschaftspolitik von Präsident Trump macht dies die US-Weltwährung noch schwankungsanfälliger und zunehmend unzuverlässiger. Bisher fehlten valable Alternativen: Weder Euro, Pfund, Yen oder Yuan haben das Format einer weltweiten Handelswährung.

Kryptowährungen, die auf der Blockchain-Technologie basieren, haben durchaus das Potenzial, den Dollar als weltweite Transaktionswährung zu ersetzen und damit die Welt von der US-Wirtschaftspolitik unabhängiger zu machen.

«Den Notenbanken droht, die Kontrolle über die nationale Geldpolitik zu entgleiten»

Laut coinmarketcap.com existieren bereits 705 verschiedene Kryptowährungen mit einer Marktkapitalisierung von 12,6 Milliarden US-Dollar. Weitaus das grösste Volumen davon beansprucht Bitcoin, nämlich 10,7 Milliarden Dollar. Der Markt wird entscheiden, welche dieser Kryptowährungen sich durchsetzt.

Im Gegensatz zum Dollar, der vom US-Notenbanksystem herausgegeben wird und vom Schuldner zum Gläubiger via das nationale oder internationale Bankensystem transferiert wird, kann Bitcoin vom Käufer direkt über dezentrale Datenbanken (Distributed Ledger) an den Empfänger überwiesen werden.

Genau so wie Online-Shopping Gross- und Detailhandel in Bedrängnis bringt, wird diese Entwicklung gravierende Auswirkungen haben auf den nationalen und internationalen (SWIFT) Zahlungsverkehr der Banken. Bill Gates und seine Aussage: «Banking is essential, banks are not» ist weiterhin aktuell und behält ihre Gültigkeit. Aber nicht nur: Den Notenbanken droht, die Kontrolle über die nationale Geldpolitik zu entgleiten.

«Ähnlich wie das Internet ist auch die Blockchain-Technologie dezentral und vernetzt»

Denn für die Notenbanken gilt dasselbe wie für die Banken: Sie müssen sich dieser Herausforderung stellen. Wie so oft bieten solche Gefahren auch reelle Chancen: Zum Beispiel ein Ausweg aus der Sackgasse der überbordenden Geldschwemme, wenigstens was die Wechselkurs-Politik betrifft. Falls sich eine oder mehrere Kryptowährungen (es muss nicht unbedingt Bitcoin sein) zu einer globalen Transaktionswährung mausern, dann könnten sie sogar das Nord-Süd-Gefälle in der Europäischen Union überbrücken.

Ähnlich wie das Internet ist auch die Blockchain-Technologie dezentral und vernetzt. Griechenland hätte plötzlich die Chance, seinen nationalen Euro gegenüber Bitcoin abzuwerten. In Deutschland würde der Euro hingegen aufgewertet. Damit wäre ein Grossteil der Diskrepanzen innerhalb des Euroraums auch ohne Fiskalunion auf einen Schlag gelöst. Und die EU hätte ihr Gesicht wenigstens formell und die europäische Einheitswährung gewahrt.

«Die Blockchain-Technologie hat dieselbe Sprengkraft wie das Internet»

Dies hat Konsequenzen für traditionelle Geldinstitutionen wie Börsen, Clearing- und Settlement-Organisationen: Als eigentliche Intermediäre zwischen Investoren und Schuldnern stecken sie im Grosshandels-Dilemma. Sie betreiben als General Ledger die typischen zentralen Datenbanken. Wollen sie überleben, müssen sie ihr Geschäftsmodell frühzeitig ändern und sich nach der neuen dezentralen Technologie ausrichten. Mitmachen oder verlieren, das gilt auch für die Banken. Selbst die Notenbanken kommen nicht ungeschoren davon. Wer rechtzeitig die Weichen richtig stellt, dem eröffnen sich neue Möglichkeiten.

Eine Vollgeld-Initiative wie sie vor kurzem in der Schweiz eingereicht worden ist, liegt angesichts der rasanten technologischen Entwicklung ziemlich schräg in der Landschaft. Aber eines ist klar: Die neue Technologie hat dieselbe Sprengkraft wie das Internet. Sie wird nicht nur das Bankensystem, die Finanz- und Devisenmärkte verändern, sondern auch die Politik.

Die Blockchain-Technologie stellt wie das Internet längst kein «Tool» mehr dar: Sie verändert die Geschäftsmodelle, die Finanzindustrie und die Geldpolitik!


Brigitte Strebel-Aerni besitzt ein Börsenhändler-Diplom der Schweizer Börse SIX. Nach Abschluss ihres Studiums der Wirtschaftspolitik an der Universität St. Gallen war sie als wissenschaftliche Mitarbeiterin der Konjunkturforschungsstelle (ehemals Institut für Wirtschaftsforschung) an der ETH Zürich und danach in der Wirtschaftsredaktion der «Neuen Zürcher Zeitung» tätig. Während 16 Jahren zeichnete sie als Chefredaktorin für das Bankenmagazin «Schweizer Bank» verantwortlich. Später übernahm sie die Chefredaktion des Magazins «ICT in Finance».


Bisherige Texte von: Rudi Bogni, Adriano B. Lucatelli, Peter Kurer, Oliver Berger, Rolf Banz, Samuel Gerber, Werner Vogt, Walter Wittmann, Alfred Mettler, Robert Holzach, Thorsten Polleit, Craig Murray, David Zollinger, Arthur Bolliger, Beat Kappeler, Chris Rowe, Stefan Gerlach, Marc Lussy, Samuel Gerber, Nuno Fernandes, Claude Baumann, Beat Wittmann, Richard Egger, Didier Saint-Georges, Dieter Ruloff, Marco Bargel, Steve Hanke, Urs Schoettli, Maurice Pedergnana, Stefan Kreuzkamp, Katharina Bart, Oliver Bussmann, Michael Benz, Peter Hody, Albert Steck, Andreas Britt, Martin Dahinden, Thomas Fedier, Alfred Mettler und Frédéric Papp.

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