Der Schweizer Finanzplatz will seine Beziehungen in Asien ausbauen. Gleichzeitig eröffnen sich mit dem Brexit neue Chancen in London, sagt Staatssekretär Jörg Gasser im Interview mit finews.ch.  

Der höchste Finanzdiplomat der Schweiz empfängt finews.ch in seinem geräumigen Büro im Bernerhof, einem einstigen Luxushotel aus dem 19. Jahrhundert, das eine wunderbare Aussicht auf die Aare bietet und heute das Eidgenössische Finanzdepartement beherbergt.

Der 47-jährige Ökonom und frühere IKRK-Delegierte Jörg Gasser ist gerade von einer Asienreise zurückgekehrt, die ihn mit Bundesrat Ueli Maurer und einer hochkarätigen Delegation an Vertretern des Schweizer Finanzplatzes von Peking via Schanghai nach Singapur und Hongkong führte, wie auch finews.ch berichtete.

Der Staatsbesuch diente zum einen der Verstetigung der Beziehungen zu China, nachdem Staatspräsident Xi Jingping im vergangenen Januar der Schweiz eine historische Visite abgestattet hatte; zum andern ging es in Fernost darum, die wirtschaftlichen Banden in der Region zu stärken und die Schweiz als attraktive Finanzdrehscheibe zu präsentieren.

Von einer Krise in die andere

Wie es sich für einen Diplomaten gehört, wirkt Gasser sehr ruhig und bescheiden, vom «Starstatus» seiner Vorgänger scheint er weit entfernt: Michael Ambühl, der das UBS-Steuerabkommen mit den USA aushandelte, und Jacques de Watteville, einem Veteranen im Dienst, der nach Stationen in Damaskus und Peking in die Verhandlungen für einen Beitritt der Schweiz zum EWR involviert war, was dann aber 1992 vom Schweizer Volk abgelehnt wurde.

Es ist nicht übertrieben zu sagen, dass die Schweizer Finanzbranche in den vergangenen zehn Jahren mehr oder weniger von einer Krise in die andere torkelte – auf die kostspieligen Steuerabkommen mit den USA folgten Razzien und Datendiebstähle bei Schweizer Banken, und als ob das alles nicht genügte, forderten diverse europäische Regierungen Entschädigungen dafür, dass die Schweiz aus deren Sicht über Jahrzehnte hinweg als internationale Hochburg für Steuerhinterziehung gedient hatte.

Gottlieber Hüppen und Erdnussbutter

Aber selbst jetzt, da Gasser seit bald einem Jahr als Staatssekretär für internationale Finanzfragen (SIF) amtet, ist die Schweiz vielfachen Herausforderungen ausgesetzt; die Beziehungen zur EU sind derzeit alles andere als harmonisch. Doch der Diplomat sieht in seinem Job eher die vielen Möglichkeiten, Allianzen zu schmieden, als «Brände» zu bekämpfen.

Trotz seiner regen Reisetätigkeit scheint Gasser keinerlei Ermüdungserscheinungen zu verspüren. Er offeriert Kaffee, Schweizer Schokolade und Gottlieber Hüppen sowie Erdnussbutter-Pralinen – ein Mitbringsel von seinem kürzlichen Trip zum Jahrestreffen des Internationalen Währungsfonds in Washington D.C.

Fintech, London und Donald Trump

Im nachfolgenden Interview mit finews.ch spricht Gasser über die pulsierende Fintech-Szene in Asien, die Schweizer Versuche, eine Allianz mit dem Londoner Finanzplatz zu schmieden und über den Umgang mit der noch «jungen» Administration von US-Präsident Donald Trump. Dies ist der erste Teil des Gesprächs. Die beiden weiteren Teile folgen in den nächsten Tagen.

Herr Gasser, Sie reisten kürzlich mit einer hochrangigen Schweizer Finanzdelegation nach Asien. Mit welchen Vorstellungen gingen Sie los?

Ich hatte vor dieser Reise keinerlei Erwartungen oder spezifische Traktanden, die ich besprechen wollte. Doch ich war bald überrascht, wie empfänglich und reaktionsfreudig die Behördenvertreter, namentlich in China, waren. Nicht nur in Bezug auf Bankthemen, sondern generell bei strategischen Fragen, Ansichten, Themen und Herausforderungen, mit denen China heute konfrontiert ist.

Diese Offenheit hat mich erstaunt, und dürfte teilweise ein Resultat von Xi Jinpings offiziellem Staatsbesuch im vergangenen Januar in der Schweiz gewesen sein.

Schweizer Fintech-Firmen haben moniert, dass sie auf dieser Asienreise nicht berücksichtigt wurden. Zu Recht?

Die Idee war, Vertreter von Schweizer Finanzunternehmen einzuladen, die bereits in Asien tätig sind und gleichzeitig unseren Finanzplatz repräsentieren. In Sachen Fintech besuchten wir in China den Alibaba-Konzern sowie in Singapur den Fintech-Hub Lattice80. Abgesehen von ein paar Erwähnungen da und dort, war Fintech ein vergleichsweise kleines Thema auf dieser Reise.

Ich habe jedoch die Absicht, im kommenden November am «Singapore FinTech Festival» teilzunehmen und dabei auch einige Schweizer Fintech-Vertreter einzuladen.

Die Fintech-Branche könnte Ihnen unterstellen, Sie lebten noch in einer «alten» Finanzwelt.

Genau genommen bewegen wir uns tatschlich noch in der «alten Welt», in der unsere Grossbanken nach wie vor den wichtigsten Bestandteil unseres Finanzplatzes darstellen. Aber eine Absicht unserer Asienreise war, den Singapurer Fintech-Hub Lattice80 davon zu überzeugen, als europäischen Standort die Schweiz zu wählen. Und wie gesagt werden wir im November einige Fintech-Repräsentanten nach Singapur einladen. Die Stunde der Fintechs wird schon noch schlagen.

Als eine seiner letzten grossen Amtshandlungen initiierte der frühere Bankierpräsident Patrick Odier die «F4»-Initiative, wonach der Schweizer Finanzplatz enger mit London, Singapur und Hongkong kooperieren soll. Haben Sie dazu Fortschritte erzielt?

Wir stehen in einem regelmässigen Dialog mit London, allerdings immer mit der sogenannten Mind-the-Gap-Strategie im Hinterkopf, was soviel bedeutet, dass wir nicht in eine rechtliche Grauzone geraten wollen, sobald Grossbritannien die EU verlassen hat.

Danach richtet sich unsere künftige Beziehung zum Vereinten Königreich und somit auch jedes weitere multilaterale Abkommen, das wir abschliessen würden und zu denen auch «F4» gehören könnte.

Mit anderen Worten, «F4» ist derzeit kein Thema?

Es hat im Moment sicherlich keine Priorität für die Briten. Wir können durchaus über spezifische Themen diskutieren, wie den Automatischen Informationsaustausch (AIA) oder unsere Beziehung zur EU oder Fragen zur Datensicherheit auf multilateraler Ebene erörtern. Aber das alles wird nicht an einer grossen Konferenz der Schweiz mit London, Hongkong und Singapur geschehen.

Warum nicht?

Unsere vorhin erwähnten «Mind-the-Gap»-Analysen sind Teil einer generellen Bestandesaufnahme der Berührungspunkte mit Grossbritannien. Das hat zum Ziel, die wichtigsten Elemente in bilaterale Abkommen zu überführen, nahtlos zu Austritt Grossbritanniens aus der europäischen Staatengemeinschaft. Selbstverständlich spielt die Finanzbranche in diesen Abklärungen eine sehr grosse Rolle.

Wichtig ist aber auch zu wissen, dass Grossbritannien keine bilaterale Abkommen vereinbaren kann, solange der Austritt (Brexit) nicht vollzogen ist.

Stimmen Sie die bisherigen Gespräche mit Ihren britischen Amtskollegen optimistisch?

Ja, durchaus. Unsere Beziehungen zu Grossbritannien waren schon immer sehr gut, so dass ich davon ausgehe, dass der weitere Dialog mit der selben Intensität erfolgen wird. Vorläufig ist es noch nicht klar, ob Grossbritannien einen eher angelsächsischen Kurs – zusammen mit den USA – einschlagen wird, oder einen europäischen Fokus beibehält.

Klar ist hingegen, dass wir Schweizer bereits Erfahrungen haben, was es bedeutet, ein «Drittland» zu sein. Das verleiht unseren Gesprächen mit Grossbritannien sicherlich mehr Gehalt.

Zum Stichwort USA: Welchen Schluss ziehen nach den ersten 100 Tagen der Trump-Administration in Bezug auf die Finanzbranche?

Der Newsflow war in den vergangenen Monaten tatsächlich enorm. Doch es bleibt schwierig, die Stossrichtung der neuen Administration zu deuten. Manche meiner Amtskollegen in den USA sind noch nicht bestimmt worden, so dass noch einiges offen ist. Ideen wie die 15-prozentige Unternehmenssteuer, das Fatca-Regelwerk zu entschärfen, oder Grenzausgleichsabgaben müssen erst noch weiter konkretisiert werden.


Jörg Gasser hat sein Amt als Staatssekretär für internationale Finanzfragen im Eidgenössischen Finanzdepartement (EFD) am 1. Juli 2016 angetreten. Seine berufliche Karriere begann er beim Internationalen Komitee vom Roten Kreuz (IKRK). Von 1996 bis 2007 verantwortete er anspruchsvolle Verhandlungen, etwa als stellvertretender Chefdelegierter in Pakistan und im Irak, später als Abteilungsleiter am Sitz des IKRK in Genf.

Im Jahr 2008 wechselte er ins Eidgenössischen Justiz- und Polizeidepartement (EJPD) und ab Anfang 2011 ins Eidgenössischen Finanzdepartement (EFD). Er war an allen wichtigen internationalen finanz-, steuer- und währungspolitischen Geschäften beteiligt. Gasser hat einen Master-Abschluss der Universität Zürich in Volkswirtschaft und Internationalen Beziehungen.

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