Die Verflechtungen in der Finanzwelt werden komplexer. Ist die Souveränität der Schweiz angesichts der wachsenden Einflussnahme noch gewährleistet?

walker_65x65Für Jörg Walker (Bild), Partner und Head of Tax der KPMG Schweiz, bringt der Alleingang der Schweiz bei grenzüberschreitenden Finanzdienstleistungen sowohl Vor- als auch Nachteile: «Positiv ist, dass die Schweiz eine relativ starke und autonome Finanzpolitik mit einer eigenen Nationalbank, eigener Budgethoheit und einer starken Währung betreiben kann. Dadurch können wir uns unabhängig positionieren.»

Die Schweiz habe auch im regulatorischen Umfeld, beispielsweise bei den Steuern, viel Gestaltungsspielraum, so Jörg Walker weiter. «Und als internationaler Standort bieten wir attraktive Arbeitsplätze, und die Mitarbeitenden verfügen über ein hohes Ausbildungsniveau. Kommt dazu, dass die Schweizer traditionell eine hohe Bereitschaft aufweisen, in einem interkulturellen wirtschaftlichen Umfeld zu arbeiten», sagt Walker.

Positionen sind schwieriger durchzusetzen

Als Nachteil erachtet er, dass in einer globalen Welt die Bedeutung eines kleinen Landes eher abnehme. «Gewisse Positionen sind schwieriger durchzusetzen, und es entstehen immer mehr Rahmenbedingungen, etwa beim Bankgeheimnis oder bei der Transparenz im Kapitalverkehr, die es zu akzeptieren gilt. Es stellt sich daher die Frage, wie wir mit den Regulatorien umgehen, welche die klassische Souveränität tangieren.

Im Bereich Finanzdienstleistungen sei die Schweiz international seit einiger Zeit sehr gut positioniert, sagt Jörg Walker. Deshalb gebe es für die Banken auch kaum Probleme beim Zugang zu internationalen Märkten. «Unsere Strategien müssen allerdings international im Einklang stehen, was beispielsweise Handels-Embargos mit Iran oder Nord-Korea betrifft, an die auch wir uns nolens volens halten müssen», betont Walker.

Schweizer Versicherer benachteiligt

Im Versicherungssektor ist dies hingegen noch nicht der Fall. So hat im Januar 2010 hat die Zurich Financial Service Group die Konsequenzen aus der Benachteiligung im EU-Raum gezogen: Sie hat ihr Hauptquartier für das Schadenversicherungs-Geschäfts von Zürich nach Irland verlegt.

Auch im grenzüberschreitenden Angebot im Leben- und Nicht-Leben-Geschäft sind die Schweizer Versicherer benachteiligt. Deshalb fordert Lucius Dürr, Direktor des Schweizerischen Versicherungsverbandes (SVV), den vollen Marktzugang zur EU. Verschiedene Experten sprechen aber von der Tendenz, dass sich die Globalisierung in naher Zukunft eher rückläufig entwickelt.

Jörg Walker meint dazu: «Manche Staaten werden auf Grund der Wirtschaftskrise mit hoher Arbeitslosigkeit und zur Stützung der heimischen Wirtschaft wieder protektionistischer handeln. Sie müssen alles daran setzen, ihre Staatsdefizite zu verkleinern.»

Gross-Staaten neigen zu Machtpolitik

Auch Botschafter Anton Thalmann, stellvertretender Staatssekretär im Aussendepartement (EDA), erklärte unlängst an einer Veranstaltung der ETH zum Krisenjahr 2009, dass kleinen Staaten zunehmend ein rauerer Wind entgegenwehe. Grosse Staaten neigten gerade in Krisenzeite zu einer stärkeren Macht- und Interessenpolitik.

Thomas Held, Direktor von Avenir Suisse, ist der Ansicht, dass der Druck zum koordinierten Handeln der Schweiz in einem hochverschuldeten Europa rasch zunehmen werde. Er erwartet härtere Verteilkämpfe und Renationalisierungstendenzen. Inwieweit diese Auswirkungen auf den Finanzdienstleistungssektor haben, wird sich weisen.

Irland hat bessere Karten

Als Steuerspezialist sieht Jörg Walker im Alleingang der Schweiz viele Vorteile, die die Nachteile wettmachen: «Aber wir müssen unsere Hausaufgaben machen. Wir müssen mit der Unternehmenssteuerreform III rasch aufzeigen, wie die Schweiz mit der Besteuerung von privilegierten Gesellschaften, mit der Abschaffung der Emissionsabgabe, der Kapitalsteuer und der Holding-Besteuerung umgeht.»

In der Frage der Pauschalbesteuerung ist die Schweiz ebenfalls stark gefordert. Eine Aufwertung könnte der Forschungsstandort Schweiz erfahren, wenn forschende Firmen steuerlich begünstigt würden. Die unklare Strategie und das kontroverse Verhalten der Schweiz in den letzten ein bis zwei Jahren nagt indessen am Vertrauen der ausländischen Kunden.

«Es gibt immer noch sehr viele Faktoren, die für die Schweiz sprechen. Aber bei der KPMG spüren wir bei ausländischen Kunden eine gewisse Verunsicherung», stellt Walker fest. «Sie fragen sich, wie sich die Steuerpolitik der Schweiz entwickeln wird. Aktuell suchen amerikanische Firmen mit Standort Bermudas einen neuen Standort in Europa. Die Schweiz steht da in Konkurrenz zu Irland. Die besseren Karten hat zur Zeit Irland, das bereits ein neues Abkommen mit den USA geschlossen hat. Unseres ist hingegen immer noch in der Schwebe», unterstreicht Jörg Walker.

Entscheidungsmöglichkeiten nutzen!

Die Schweiz gerät in Sachen Steuerhinterziehung und Bankgeheimnis immer stärker in die Defensive. Walker vermisst denn auch die pro-aktive Seite in der Politik: «Wir sollten uns mehr auf die Zukunft ausrichten, uns neu positionieren und auch gewisse Veränderungen vornehmen. Wir müssen unsere Stärken hervorstreichen, denn wir haben Gestaltungsspielräume.»

Doch es gelte auch, sie zu nutzen. Zurzeit stellt sich zum Beispiel die Frage: Was ist der internationale Standard bei Amtshilfe in Steuerangelegenheiten (auf Anfrage oder automatischer Informationsaustausch), und gilt dieser für alle Staaten gleichermassen? Alle Länder stecken in einem gemeinsamen Steuerwettbewerb. Deshalb sollten die Standards auch für alle gelten, nicht nur für die Schweiz.

Beelendet vom Bundesrat

Enttäuscht vom bisherigen Agieren in Sachen Steuern und Bankgeheimnis ist auch der Freiburger CVP-Ständerat Urs Schwaller. Er erklärte an der kürzlichen ETH-Veranstaltung, es beelende ihn, mitansehen zu müssen, wie der Bundesrat nicht führe, sondern bloss reagiere und dauernd nur wortreich erkläre, warum er nicht handle.

Trotz aller negativen Anzeichen, die es derzeit gibt, ist Jörg Walker überzeugt, dass der Schweizer Finanzdienstleistungssektor weiterhin erfolgreich sein wird: «Wir müssen die moralische Souveränität wieder erlangen und erkennen, wo unsere Chancen liegen, wie wir uns positionieren wollen, wo wir Spielraum haben, und wohin wir uns entwickeln können.»

 

 

 

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