Während israelischen Unternehmern die Schweizer Erfahrung fehlt, sind sie eher bereit, Risiken einzugehen. Diese komplementären Merkmale stellen ein riesiges Potenzial dar, schreibt Shaul Lifshitz.


Dieser Beitrag erscheint in der Rubrik finews.first. Darin nehmen Autorinnen und Autoren wöchentlich Stellung zu Wirtschafts- und Finanzthemen. Die Texte erscheinen auf Deutsch und Englisch. Die Auswahl der Texte liegt bei finews.ch.


Nicht weniger als 6’000 Jungunternehmen (Startups) existieren heute in Israel. Diese Zahl ist noch beeindruckender, wenn man sich die Dimensionen dieses kleinen Landes vor Augen hält – auf gerade einmal 20'000 Quadratmeter leben 8,4 Millionen Einwohner. Vor diesem Hintergrund erklärt sich auch, weshalb Israel als Startup-Nation gilt und die Stadt Tel Aviv als Startup-City bezeichnet wird.

Wie fortgeschritten diese Szene ist, zeigt sich auch an folgendem Beispiel: Obwohl es in Israel keinen einzigen Autohersteller und bechränkte Wasserressourcen gibt, ist die israelische Technologiebranche auf beiden Gebieten innovativ führend: So wurde der Jerusalemer Zulieferer für Autosensoren, Mobileye, unlängst für 15 Milliarden Dollar an den US-Technologiekonzern Intel verkauft, und die in der Tropfbewässerung tätige Firma Netafim ging für 1,5 Milliarden Dollar an das mexikanische Unternehmen Mexichem.

«Israel entwickelt sich zunehmend von einer Startup-Nation zu einer Scale-up-Nation»

Die Organisation «Ecosystem 2.0» beschreibt die Entwicklung der israelischen Startup-Szene treffend, wenn sie feststellt, dass sich das Land von einer Startup-Nation nun zu einer Scale-up-Nation wandelt, indem viele Firmengründer jetzt ihr zweites oder gar drittes Jungunternehmen aus der Taufe heben. Das wiederum verhilft der ganzen Branche zu einem neuen Reifegrad und zieht so auch neue Finanzmittel an.

Wie jüngste Zahlen zeigen, vereinigten die 500 führenden israelischen Startups im ersten Halbjahr 2018 rund 150 Millionen Dollar der total 3,2 Milliarden Dollar auf sich, die in israelische Technologie investiert wurden. Viele Herausforderungen bleiben indessen bestehen, zumal die Banken und Aufsichtsbehörden erst begonnen haben, sich mit der Fintech-Entwicklung zu befassen. So ist dieses Ökosystem immer noch überschaubar, bisweilen auch etwas kleinräumig.

«Rund 70 Prozent der israelischen Fintechs suchen heute im Ausland nach Investoren»

Vor diesem Hintergrund darf es nicht erstaunen, dass 70 Prozent der israelischen Fintechs heute vor allem im Ausland nach neuen Partnerschaften und Investoren suchen, um so über den heimischen Markt hinaus zu expandieren. Insofern bietet Israel ein enormes Potenzial – gerade für den bedeutenden und vor allem international ausgerichteten Schweizer Finanzsektor mitsamt seinen Investoren in den Bereichen Private Equity, Family Offices oder Venture Capital.

In meiner mittlerweile 15-jährigen Tätigkeit als Vermittler internationaler Geschäftsbeziehungen, hauptsächlich zwischen Israel und Tschechien, stelle ich immer wieder grosse Unterschiede in der jeweiligen Unternehmenskultur fest, und wie wichtig entsprechend die Rolle eines Mittelmannes ist, der den Aufbau von Kontakten erleichtern und bei der weiteren Entwicklung beratend beistehen kann.

«Das lähmt den Fortschritt und bereitet den Schweizer Fintechs frustrierende Erfahrungen.»

Ein Schlüsselfaktor, der mich in diesem Zusammenhang immer wieder fasziniert, ist der Altersunterschied der Firmengründe. In Israel sind Jungunternehmer in der Regel in ihren Zwanzigern – dies nach drei Jahren Pflichtwehrdienst und oft noch vor dem Abschluss ihres Hochschulstudiums. Im Gegensatz dazu sind viele Entrepreneurs in der Schweiz bereits in ihren Vierzigern und haben schon eine erfolgreiche Berufskarriere hinter sich.

Schweizer Fintechs geniessen noch einige weitere Privilegien, wie die sogenannte Sandbox-Politik der Behörden, die darauf abzielt, dass sich Jungunternehmen unter erleichterten Rahmenbedingungen entwickeln können. Ausserdem existiert zwischen Zürich, Genf oder Basel ein grosser Talent-Pool; zumeist sind es ehemalige Bankangestellte oder andere Finanzexperten. Zum Ökosystem zählen aber auch die vielen renommierten Banken, und das Land ist mit seiner äusserst dynamischen Wirtschaft wahrlich gesegnet sowie mit hervorragend ausgebildeten und digital weit fortgeschrittenen Konsumenten.

Darüber hinaus konnte sich die Schweiz in den vergangenen zwei Jahren als sogenannte Krypto-Nation positionieren, so dass sie heute als globales Zentrum für Blockchain- und Krypto-Firmen gilt. Allerdings kennt das Land auch Schwächen: etwa die vergleichsweise hohe Risikoaversion vieler Entscheidungsträger. Das lähmt den Fortschritt und bereitet den Schweizer Fintechs frustrierende Erfahrungen.

«Israelis lassen sich leichter auf Experimente ein und bewältigen Misserfolge konstruktiver»

Anders in Israel: Während vielen, dort tätigen Unternehmern die erwähnten Schweizer Rahmenbedingungen und Erfahrungen fehlen, sind sie umso hungriger und eher bereit, Risiken einzugehen. Israelis lassen sich leichter auf Experimente ein, zumal sie Misserfolge konstruktiver bewältigen und diese vor allem als neue Chance betrachten.

Insofern eröffnen die sich ergänzenden Merkmale in der Schweiz und Israel ein enormes Potenzial, sowohl für die israelische als auch für die schweizerische Fintech-Branche. Israelischen Akteure können sich über die Schweiz den Zugang zu neuen europäischen Märkten erschliessen, während Schweizer Firmen ihre Entwicklungen einer bedeutenden Zahl von Wagniskapital-Gebern schmackhaft machen können und so möglicherweise auch einen Zugang zum US-Markt finden, da dieser sehr eng mit der israelischen Technologiewelt verbunden ist.

Auch in politischer Hinsicht tut sich zwischen Israel und der Schweiz einiges. Die Schweizer Wirtschafts- und Finanzminister unterzeichneten 2017 mit den israelischen Behörden eine Absichtserklärung zur weiteren Förderung von Fintech-Innovationen. Und Bundesrat Ueli Maurer, seines Zeichens Schweizer Finanzminister, wird im kommenden September Israel erneut besuchen.

«Auch im Zeitalter der Digitalisierung geht nichts über persönliche Kontakte»

Bemerkenswert ist in diesem Zusammenhang auch, dass die Schweizer Botschaft in Tel Aviv eine Stelle für Innovationen geschaffen hat, was wiederum die Bedeutung Israels als Entwicklungszentrum unterstreicht, und wo bereits mehr als 360 multinationale Konzerne mit eigenen Innovationsabteilungen präsent sind.

Doch selbst im Zeitalter der Digitalisierung geht nichts über direkte und persönliche Kontakte. Das makroökonomische Umfeld in der Schweiz und Israel ist sehr ähnlich, was den Aufbau von Partnerschaften und Kooperationen sicherlich erleichtert. Aufgrund meiner bisherigen Tätigkeit im Rahmen meines eigenen Unternehmens «ScoutX» ist mir das tschechische Finanzökosystem sehr vertraut. Die dortigen Banken sind sehr liquide, und vor allem unterhält Tschechien bereits eine vielschichtige Zusammenarbeit mit Israel.

Vor diesem Hintergrund ist es an der Zeit, dass auch Schweizer Unternehmer und Investoren mit Israel ins Gespräch kommen und Partnerschaften anstreben, die neue Geschäftsmöglichkeiten eröffnen. Mit guten Beziehungen lassen sich solche Initiativen einfacher und effektiver gestalten.


Shaul Lifshitz ist ein israelisch-schweizerischer Staatsbürger und Unternehmer. Er lebte acht Jahre in Prag, bevor er 2010 nach Israel zurückkehrte und bis 2018 die Israelisch-tschechische Industrie- und Handelskammer gründete und leitete. Er lebt inzwischen in Zürich. Sein Unternehmen «ScoutX» fördert Geschäftsbeziehungen im Fintech-Bereich zwischen Israel, der Schweiz und Tschechien und vermittelt dabei auch Investitionen in dieser Branche.


Bisherige Texte von: Rudi BogniOliver BergerRolf BanzWerner VogtWalter WittmannAlfred Mettler, Robert HolzachCraig MurrayDavid ZollingerArthur BolligerBeat KappelerChris RoweStefan GerlachMarc Lussy, Nuno FernandesRichard EggerDieter RuloffMarco BargelSteve HankeUrs Schoettli, Maurice PedergnanaStefan Kreuzkamp, Oliver BussmannMichael BenzAlbert Steck, Andreas BrittMartin DahindenThomas FedierAlfred MettlerBrigitte Strebel, Mirjam Staub-Bisang, Thorsten PolleitKim IskyanStephen DoverDenise Kenyon-RouvinezChristian DreyerKinan Khadam-Al-JameRobert HemmiAnton AffentrangerYves Mirabaud, Hans-Martin KrausGérard GuerdatDidier Saint-GeorgesMario BassiStephen ThariyanDan SteinbockRino BoriniBert FlossbachMichael HasenstabGuido SchillingWerner E. RutschDorte Bech VizardAdriano B. LucatelliKatharina BartMaya BhandariJean TiroleHans Jakob RothMarco MartinelliBeat WittmannThomas SutterTom KingWerner PeyerThomas KupferPeter Kurer, Arturo Bris, Frédéric Papp, James Syme, Peter Hody, Dennis Larsen, Bernd Kramer, Ralph Ebert, Marionna Wegenstein, Armin JansNicolas Roth, Hans Ulrich Jost, Patrick Hunger, Fabrizio QuirighettiClaire Shaw, Michael A. WeltiPeter FanconiAlex Wolf, Dan Steinbock, Patrick Scheurle, Claude Baumann, Sandro OcchilupoClaudia Kraaz, Will Ballard, Michael Bornhäusser, Nicholas Yeo, Claude-Alain Margelisch, Jean-François Hirschel, Jens Pongratz, Samuel Gerber, Philipp Weckherlin, Michel Longhini, Anne Richards, Antoni Trenchev, Benoit Barbereau und Pascal R. Bersier.
 

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