Die gegenwärtige Staatschuldenkrise in Europa wird häufig mit der Pleite von Lehman Brothers vor eineinhalb Jahren verglichen. Zu recht?

Martin_Hfner_qMartin Hüfner ist Chefökonom der Schweizer Aquila-Gruppe, war früher Senior Economist bei der HypoVereinsbank und der Deutschen Bank. Er ist Autor des Bestsellers «Achtung: Geld in Gefahr!».

Auch damals waren die Aktienmärkte nervös. In den ersten zwei Wochen nach der Insolvenz von Lehman Brothers hielten sie sich zwar noch ganz stabil. Dann aber stürzten sie richtig ab. Ist diesmal Ähnliches zu befürchten?

Zunächst: Auch nach dem grossen Rettungsprogramm vom vergangenen Wochenende ist die Krise noch nicht vorbei. Die Rally, die am letzten Montag sowohl bei den Aktien als auch beim Euro/Dollar-Kurs einsetzte, war nur Ausdruck der Erleichterung.

Europa kann handeln

Die Europäische Union und die Europäische Zentralbank haben gezeigt, dass sie handeln können und dass sie alles tun, um den Euro zu retten. Sie haben dem Markt Liquidität zugeführt (dies zumindest versprochen).

Die Probleme, die zu der Krise geführt hatten, sind dadurch aber natürlich noch nicht gelöst. Insbesondere bestehen die Defizite der südeuropäischen Staaten fort.

Mehr ist noch nötig

Griechenland muss sein hartes Konsolidierungsprogramm gegen heftige gesellschaftliche Widerstände durchsetzen. Ob das gelingt, ist noch keineswegs sicher.

Portugal und Spanien haben gegenüber ihren Partnern kleine fiskalpolitische Einsparungen zugesagt. Hier muss aber noch sehr viel mehr getan werden.

Reputation verloren

Die Kredite und Garantien der EU-Mitglieder belasten die bonitätsmässig noch guten Staaten der Union. Sie müssen ebenfalls Budgetkonsolidierungen vornehmen, um nicht in den Strudel hineingezogen zu werden.

Zudem hat die Europäische Zentralbank durch die vielen unterschiedlichen Ankündigungen der letzten Zeit Reputation verloren. Sie muss alles tun, um sie wiederzugewinnen. Schliesslich wird der Markt die anderen hoch verschuldeten Industrieländer (vor allem Japan, Grossbritannien und die USA) in den kommenden Monaten kritischer unter die Lupe nehmen.

Finanzwerte in Gefahr

All das kann in nächster Zeit zu erheblichen Belastungen der Aktienmärkte führen. Vor allem Finanzwerte könnten stärker betroffen sein, da Banken zur Liquiditätsbeschaffung erfahrungsgemäss grosse Bestände an Staatspapieren halten.

Gleichwohl glaube ich nicht, dass es einen so starken Einbruch wie nach der Lehman-Pleite geben wird. Hier die Gründe.

Aktienkurse heute nicht hoch

Gemessen an den erwarteten Gewinnen, sind die Aktienkurse heute nicht zu hoch. Im Herbst 2008 bewegten sie sich zwar in etwa auf dem gleichen Niveau. Das Kurs-/Gewinn-Verhältnis war aber wegen der niedrigeren Erträge schlechter.

Die Geldpolitik ist heute sehr viel lockerer als zur Zeit der Lehman-Pleite. Damals betrugen die amerikanischen Leitzinsen 2 Prozent und wurden erst in den Folgemonaten auf Null gesenkt.

Reichlich Liquidität

In Europa lag der Hauptrefinanzierungssatz im September 2008 sogar noch bei 4,25 Prozent (er war erst kurz zuvor auf dieses Niveau angehoben worden). Das ist mit den heutigen Verhältnissen nicht zu vergleichen.

Die Geldmärkte haben sich in den letzten Tagen zwar angespannt. Sie sind aber gleichwohl insgesamt in einer viel besseren Verfassung als nach der Lehman-Pleite. Die Liquidität der Banken ist heute reichlicher. Damit sind auch die Anlagemöglichkeiten und der Anlagedruck grösser.

Ein anderer Zyklus jetzt

Der wichtigste Unterschied besteht aber in der zyklischen Situation der Wirtschaft. Die Konjunktur befand sich damals auch unabhängig von der Bankenkrise in einem Abschwung. Jetzt ist sie wieder auf Erholungskurs.

In den Schwellenländern hat das Wachstum bereits das Vorkrisenniveau erreicht. In China gibt es schon Ängste vor einer Überhitzung.

Erste positive Anzeichen in den USA

In den USA zeigen sich erste Anzeichen, dass der Aufschwung sich auch ohne Hilfen staatlicher Ankurbelungsprogramme wieder selbst trägt. Die Investitionen ziehen deutlich an. Der Konsum hält sich stabil.

In Europa ist die Konjunktur, auch unabhängig von den jüngsten Vorgängen, noch nicht in einer so guten Verfassung. Zwar profitiert der Export vom steigenden Welthandel und vom schwächeren Euro.

Alles blickt auf die Unternehmensgewinne

Die Investitionsneigung als Zeichen für das Zukunftsvertrauen der Unternehmen ist aber schwach. Der private Verbrauch ist nicht schlecht, aber auch nicht besonders dynamisch.

Die Südeuropa-Krise wird das Wachstum in den kommenden Monaten dämpfen. Wichtig für die Aktienmärkte ist aber, dass die Unternehmensgewinne so gut sind wie schon lange nicht mehr.

Kosteneinsparungen zahlen sich aus

Die Firmen profitieren nicht nur von der steigenden Kapazitätsauslastung. Ihrer Ertragskraft kommt auch zugute, dass sie in der Krise erhebliche Kosteneinsparungen vorgenommen haben. Das beginnt sich jetzt auszuzahlen.

All das hilft den Aktienmärkten und wird sie vor einem Absturz wie nach der Lehman-Pleite bewahren. Freilich gibt es einen Wermutstropfen.

Konsolidierung ist fällig

Die Aktienkurse in vielen Industrieländern sind seit März 2009 – also seit mehr als zwölf Monaten – fast ohne Unterbrechung gestiegen. Beim DAX liegen sie mehr als 50 Prozent über dem damaligen Niveau. Eine Konsolidierungspause ist fällig.

Unabhängig von den jüngsten Ereignissen, war sie auch erwartet worden. Nach einer so langen Rally könnte diese Konsolidierung durchaus stärker ausfallen als sonst üblich.

Belastungen im Anzug

Für den Anleger: Vorsicht bei Aktien zum gegenwärtigen Zeitpunkt. Aktien haben ein paar schwierige Wochen vor sich. Zwar werden sie nicht so stark fallen wie nach der Lehman-Pleite.

Es sind jedoch noch einige Belastungen zu erwarten. Zudem ist eine Konsolidierung nach dem starken Anstieg der letzten 14 Monate fällig.

 

 

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