Mit dem Brexit werde die Schweiz nicht mehr der Top-Finanzakteur in Europa sein, schreibt Ingo Rauser auf finews.first. Der Fokus richte sich nun auf Grossbritannien. Was bedeutet das für die Bankbranche?


Dieser Beitrag erscheint in der Rubrik finews.first. Darin nehmen Autorinnen und Autoren wöchentlich Stellung zu Wirtschafts- und Finanzthemen. Die Texte erscheinen auf Deutsch und Englisch. Die Auswahl der Texte liegt bei finews.ch.


Der Brexit wird Herausforderungen in Bezug auf Kundenbeziehungen, Buchungsmodelle, Standortwahl, Marktzugang und Regulierung mit sich bringen. Bedenken gibt es darüber hinaus beim Datenschutz, da Daten an einzelnen Standorten gespeichert und grenzüberschreitend verarbeitet werden müssen. Die finalen Auswirkungen auf die Märkte im wirtschaftlichen und politischen Sinne sind derzeit noch schwer abzuzusehen.

Die notwendigen Transformationen sind zeitaufwendig und teuer. In den vergangenen Jahren haben Unternehmen Millionen für regulatorische Compliance ausgegeben unter der Annahme, dass das Königreich ein Standort innerhalb des Europäischen Wirtschaftsraum (EWR) bleibt. Dies kommt nun auf den Prüfstand, da der Status Grossbritanniens weiterhin unklar ist. Für die Schweiz ergeben sich folgende zentrale Punkte:

«Grossbritannien wie auch die Schweiz werden Äquivalenzfragen lösen müssen»

Grosse Schweizer Firmen mit einer Präsenz im Vereinigten Königreich haben sich bereits entschieden, Büros nach Frankfurt, Paris, Madrid oder Dublin zu verlegen. Gleichzeitig hat eine Reihe von Vermögensverwaltern ihre Präsenz in Grossbritannien erhöht. Schweizer Firmen sollten zudem dafür sorgen, dass sie den Marktzugang gegen die «Big Player» verteidigen. Angesichts der starken Konkurrenz durch Wettbewerber in der EU und in Grossbritannien müssen Schweizer Unternehmen neue Hubs und Buchungsmodelle fördern, um ihre Kunden weiterhin bestmöglich zu bedienen.

Wie stark die Liquidität in den Märkten nach dem Brexit beeinflusst wird, lässt sich noch nicht absehen. Viele europäische Handelsplätze ziehen von London in andere Finanzzentren der EU um, damit sie weiterhin ihre Kunden in Kontinentaleuropa bedienen können. Zudem haben Unternehmen begonnen, zusätzliche Buchungsmodelle zu erstellen, um ihre Handels- und Risikogesichtspunkte zu verwalten. Ebenfalls bleiben die Handelsauflagen der MiFID ein zentrales Thema für verschiedene Schweizer Wettbewerber – derzeit verhandelt die Schweiz mit der EU ihre Marktäquivalenz. Mit dem Brexit werden sowohl Grossbritannien als auch die Schweiz Äquivalenzfragen lösen müssen, um den Marktzugang für ihre Finanzprodukte zu regeln.

«Die Schweiz wird wesentlich stärker eingeschränkt sein als Grossbritannien»

Die Schweiz wird nicht mehr der unangefochtene Top-Finanzakteur in Europa ausserhalb der EU sein. Der politische Fokus bleibt auf dem Vereinigten Königreich mit einem Markt von mehr als 60 Millionen Menschen im Gegensatz zu den 8 Millionen Schweizern.

Die Schweiz wird sich gedulden und auf Grossbritannien warten müssen bis Entscheidungen hinsichtlich der «Äquivalenz» des Marktzugangs getroffen werden. Dies, um zu vermeiden, dass ein Schweizer Präzedenzfall geschaffen wird, bevor die Bedingungen klar sind. Ausserdem wird die Schweiz stärker eingeschränkt sein als Grossbritannien, da sie die bestehenden bilateralen europäischen Abkommen über den Zugang zum EWR-Markt einhalten muss. Das Vereinigte Königreich erhält die Möglichkeit, neue Vereinbarungen nach 2020 zu schliessen.

Grossbritannien wird sich aufgrund geringer regulatorischer Hürden zu einem starken Wettbewerber im Bereich der Vermögensverwaltung ausserhalb der EU entwickeln: Britische Wealth- und Assetmanager sind schon etabliert. Ein abgeschwächtes regulatorisches Regime im Vereinigten Königreich könnte diesen Unternehmen einen erheblichen Wettbewerbsvorteil verschaffen. Ganz zu schweigen von den generellen Kostenvorteilen in England, insbesondere wenn das Pfund weiter fällt, was dem Exportmarkt Auftrieb gibt.

«Unternehmen sollten schon jetzt handeln»

Unternehmen bereiten sich aktuell auf alle Optionen vor – auf einen etwaigen «harten» oder auf einen «weichen» Brexit – und sie bewerten diese Optionen entsprechend. Der primäre Fokus sollte dabei auf folgenden Aspekten liegen:

  • Minimierung von grenzüberschreitenden, operationellen und Umsetzungsrisiken von grossen Transformationsvorhaben in Grossbritannien, der EU und der Schweiz
  • Reduzierung der Kundenauswirkungen in Bezug auf Produktangebot
  • Gewährleistung des Marktzugangs für Finanzdienstleistungen der EU und Grossbritannien
  • Sicherstellen, dass die entsprechenden Service-Angebote von in Grossbritannien ansässigen Firmen nicht in absehbarer Zukunft unterbrochen werden
  • Minimierung der Auswirkungen auf die Mitarbeiter

Angesichts der Volatilität der politischen Verhandlungsfortschritte, der Unsicherheitsrisiken und eines festgesetzten Zeitplans werden Finanzinstitute Beratungsdienstleistungen benötigen, wie sie ihr Geschäft langfristig stabil und zielgerichtet weiterführen können.

Sobald mehr Klarheit herrscht, werden die Unternehmen besser in der Lage sein, sich auf die neue Realität mit allen Konsequenzen vorbereiten zu können. Da eine Vorbereitung auf einen «harten» Brexit zum jetzigen Zeitpunkt angebracht ist, sollten Finanzinstitute jetzt handeln.


Ingo Rauser ist Senior Partner bei der weltweit tätigen Bankenberatung Capco. Der Ökonom verfügt über eine 20-jährige Berufserfahrung im Bereich Financial Service Advisory. Bei Capco ist Rauser auf regulatorische Transformationsthemen im Schweizer – aber auch im internationalen – Geschäft spezialisiert.


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