Ob in Peking oder in Neu Delhi, die wirtschaftliche Entwicklung in den USA und Europa wird scharf beobachtet, sagt Asien-Experte John Llewellyn.

John_Llewellyn_1Der gebürtige Neuseeländer John Llewellyn (Bild) ist Ökonom und zählt weltweit zu den führenden Kennern Asiens. Im Auftrag des japanischen Finanzkonzerns Nomura veröffentlichte er unlängst die Studie «The Ascent of Asia». Vor kurzem unterhielt er sich exklusiv mit finews.ch.

Herr Llewellyn, vom Aufstieg Asiens ist schon lange die Rede. Was soll diesmal anders sein?

Die asiatischen Staaten haben die Finanzkrise besser gemeistert als der Westen. Zwar waren die staatlichen Eingriffe ebenfalls enorm, doch die grossen Ländern haben es verstanden, den Exportrückgang durch die inländische Nachfrage zu kompensieren. Dadurch geht Asien gestärkt aus der Krise und übernimmt eine noch wichtigere Rolle in der Weltwirtschaft. So besehen ist es diesmal tatsächlich anders.

Bleibt Asien nicht entscheidend von der wirtschaftlichen Entwicklung im Westen abhängig?

Doch, in gewisser Weise schon. Die Exporte sind immer noch sehr wichtig. Aber Länder wie China und Indien haben heute eine rasant wachsende Mittelschicht, die ein enormes Marktpotenzial für den Binnenmarkt darstellt. Allein die Mittelklasse Indiens ist heute grösser als diejenige Frankreichs. Unter diesen Prämissen wird es davon abhängen, wie Asien sein Dienstleistungs- und Güterangebot in der eigenen Hemisphäre kanalisiert.


«Sie sollten die Ökonomen und Zentralbanker Asiens nicht unterschätzen»

Indien ist zwar ein demokratischer Staat, wo die Entscheidungswege aber extrem lang sein können. China entspricht mit seiner Planwirtschaft nicht dem westlichen Verständnis. Besitzen diese Länder wirklich das Know-how für eine nachhaltige Wirtschaftspolitik?

Sie dürfen die Geschäftsleute, Ökonomen und Zentralbanker in diesen beiden Ländern nicht unterschätzen. Sie sind enorm intelligent und auch sehr erfahren. Gerade in China verfolgt man die Entwicklungen im Westen genauestens. Viele Entscheidungsträger haben in den USA oder in Europa studiert. Sie kennen die Verhältnisse bei uns bestens. Die jüngsten Finanzmarkt-Exzesse in der westlichen Welt geben den Asiaten sehr zu denken. Die Asiaten sind sich bewusst, dass allzu kurzfristiges Denken und Handeln keine Früchte trägt.

Trotzdem, die politische Situation in China irritiert viele Leute im Westen. Manche sehen darin eine Bedrohung, vor allem wenn das Reich der Mitte weiter an wirtschaftlicher wie auch geopolitischer Macht zulegt. Welche Veränderungen erwarten Sie?

Es ist schwierig, sich ein anderes System für China vorzustellen. Doch es wird sich entwickeln, zumal auf Grund des Wachstums und der wirtschaftlichen Entwicklung neue Interessengruppen entstehen. Indien hat ein anderes politisches Modell – die grösste Demokratie der Welt ist oftmals auch nur ein Wirrwarr an Meinungen. Aber irgendwie funktioniert das System. Für demokratische Modelle wie bei uns im Westen ist es in Asien wohl noch zu früh, zumal ein solches System für Milliarden von Menschen funktionieren müsste.


«Die asiatischen Länder sind untereinander gut vernetzt»

Welche anderen Länder Asien verfügen ebenfalls über ein grosses wirtschaftliches Potenzial?

Indonesien und Vietnam haben beide ein enormes wirtschaftliches Potenzial und könnten in den nächsten Jahrzehnten sehr wohl noch an Bedeutung gewinnen – unabhängig vom jeweiligen politischen System. Mit anderen Worten: Asiens Zukunft wird sich weniger wegen des politischen Systems als auf Grund der wirtschaftlich getroffenen Entscheidungen entwickeln. Zwischen verschiedenen asiatischen Staaten existieren bereits bilaterale Verträge, was das wirtschaftliche Wachstum zusätzlich beschleunigen wird.

Das ist im Westen kaum bekannt.

Richtig. Durch diese Vernetzung können sich manche Staaten zu mittelgrossen Volkswirtschaften entwickeln und dadurch in der Zukunft weniger von den Exporten in den Westen anhängig sein. Bereits jetzt machen die kleinen und mittelgrossen Staaten Asiens rund 6 Prozent des globalen Bruttoinlandprodukts aus.


«Die Chinesen haben keine Interesse, dass der Dollar kollabiert»

Wo herrscht der grösste Handlungsbedarf für eine gute Zukunft in Asien?

Die Behörden sind in vielfacher Hinsicht gefordert. Je grösser der Wohlstand wird und gesichert werden soll, desto mehr Regeln und Bestimmungen werden nötig sein; auf dem Arbeitsmarkt, im Sozialwesen und vor allem in Umweltbelangen. Da herrscht ein enormer Nachholbedarf. Parallel zum horrenden Wachstum hat man in Sachen Umweltschutz leider zu wenig unternommen. Ein weiteres Augenmerk muss der Währungspolitik gelten.

Kommt es zu einem Kräftemessen zwischen dem Dollar und dem Renminbi?

Diesen Eindruck könnte man haben, angesichts der anhaltenden Turbulenzen. Allerdings gibt es immer wieder neue Entwicklungen, die man zuvor ignoriert hat, wie die Euro-Schwäche , die dem Dollar nun wieder Auftrieb gibt. Wichtig ist: Trotz Rivalitäten zwischen dem Reich der Mitte und den USA dürften die Chinesen kein Interesse haben, dass der Greenback kollabiert. Dafür sind sie zu stark in Kapitalanlagen auf Dollar-Basis investiert. Entsprechend hoch sind denn auch die Anforderungen an die chinesischen Währungshüter, eine umsichtige Währungspolitik zu betreiben.


«Heute sind die USA und Europa bereits stark in China investiert»

Eine ähnliche Situation bestand bereits in den achtziger Jahren mit den Japanern, die mit ihrer damaligen Wirtschaftsmacht ebenfalls massiv Druck auf den Dollar und die USA ausübten.

Richtig. In langwierigen Verhandlungen zwischen den beiden Staaten setzte sich aber die Einsicht durch, dass die Dominanz eines Landes im Export – damals ging es um japanische Autos – auf Dauer nicht förderlich sein kann. Auch diesmal erwarte ich, dass man sich einigen wird – selbst wenn mit Drohgebärden nun vorerst einmal das Gegenteil signalisiert wird. Kommt hinzu, dass die USA und Europa heute stark in China investiert sind, so dass es überall Verfechter eines freien Welthandels gibt. Das war im Fall Japans in den achtziger Jahren kaum der Fall.

Mit der Finanzkrise hat der Einfluss des Staates weltweit massiv zugenommen. Der Ruf nach einer Bändigung des Finanzkapitalismus‘ manifestiert sich in der (politischen) Absicht, viele neue Regeln und Gesetze einzuführen. Wird damit nicht auch die wirtschaftliche Entwicklung in Asien torpediert?

Zuviel Regulierung ist gewiss nicht gut. Dass jedoch Regeln bestehen müssen, ist unter Ökonomen unbestritten. Ich vergleiche die Situation mit dem Geschehen im Sport. Da ist man sich ebenfalls einig, dass es Regeln braucht und diese respektiert werden müssen, selbst wenn man um jeden Preis gewinnen will. Setzte man sich über diese Bestimmungen hinweg, wäre das Spiel, das die Zuschauer sehen wollen, sogleich zu Ende. So muss auch die Wirtschaft funktionieren. Es braucht Regeln. Doch ihr Zweck sollte darauf abzielen, dass das «wirtschaftliche Spiel» im Sinne der Gesellschaft abläuft: Die Regeln sollten nicht willkürlich oder unnötig einschränkend sein.


John_Llewellyn_2John Llewellyn: Der Neuseeländer studierte Wirtschaftswissenschaften in Wellington und doktorierte an der Universität von Cambridge in England.

In der Folge arbeitete er zehn Jahre in Hochschulkreisen, bevor er 17 Jahre bei der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) in Paris leitende Funktionen übernahm. Von 1995 bis 2008 arbeitete er als Ökonom für Lehman Brothers.

Seit 2009 betreibt er ein eigenes Beratungsunternehmen namens Llewellyn Consulting, das auf makroökonomische Themen spezialisiert, insbesondere auch auf den Einfluss des Klimawandels auf die Wirtschaft. Auf Mandatsbasis arbeitet Llewellyn für den japanischen Finanzkonzern Nomura, der im Herbst 2008 verschiedene Geschäftsteile der kollabierten Investmentbank Lehman Brothers übernahm. In diesem Kontext ist John Llewellyns neuste Studie «The Ascent of Asia» erschienen.

 

 

 

 

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