Die starke Expansion im Luftverkehr führt zu einem problematischen Wachstum im Tourismus. Bereits wird darüber diskutiert, Urlauberströme zu begrenzen, wie Eric Heymann auf finews.first schreibt.


Dieser Beitrag erscheint in der Rubrik finews.first. Darin nehmen Autorinnen und Autoren wöchentlich Stellung zu Wirtschafts- und Finanzthemen. Die Texte erscheinen auf Deutsch und Englisch. Die Auswahl der Texte liegt bei finews.ch.


Noch vor einigen Jahrzehnten galten Flugreisen als Privileg. Heutzutage stellen sie für eine global wachsende Mittelschicht eine erschwingliche Alternative dar. Ebenfalls beigetragen haben hierzu der intensive Wettbewerb zwischen den Airlines, das leistungsfähigere Fluggerät, das steigende Angebot an Flugverbindungen, der Ausbau der Flughafen-Infrastruktur und die höhere Preistransparenz für Flugtickets durch Online-Portale. Zudem wächst der Geschäftsreiseverkehr weltweit.

In regionaler Betrachtung verzeichneten der Nahe Osten (Anstieg der Verkehrsleistung zwischen 2011 und 2018: etwa 10 Prozent pro Jahr) sowie der asiatisch-pazifische Raum (8,5 Prozent) zuletzt überdurchschnittliche Wachstumsraten.

Im Nahen Osten ist dies unter anderem auf das hohe Expansions-Tempo der Airlines aus der Golf-Region sowie der dortigen Flughäfen zurückzuführen. Der Luftverkehr im asiatisch-pazifischen Raum profitiert vor allem von steigenden Einkommen der lokalen Bevölkerung sowie vom Nachholbedarf bei Flugreisen.

«Verminderter Wettbewerb wirkt sich negativ auf das Angebot an Flugreisen aus»

Deutlich langsamer nimmt seit 2011 die Verkehrsleistung im nordamerikanischen Luftverkehr zu (gut 3 Prozent p.a.). Gerade die USA sind ein recht reifer Markt, in dem Flugreisen für breite Bevölkerungsschichten bereits seit Jahrzehnten etabliert sind.

Die geringe Dynamik in Nordamerika dürfte ferner mit der weit vorangeschrittenen Konsolidierung unter den Fluggesellschaften zu erklären sein. Denn ein verminderter Wettbewerb wirkt grundsätzlich negativ auf das Angebot an Flugreisen und reduziert den Preisdruck bei Flugtickets. Zumindest erzielten die Airlines in Nordamerika in den letzten Jahren deutlich höhere Renditen als die Konkurrenz in anderen Regionen.

In Europa steigt die Verkehrsleistung im Luftverkehr seit 2011 nur etwas weniger stark als im globalen Durchschnitt – ein beachtliches Ergebnis für den ebenfalls relativ reifen europäischen Luftverkehrsmarkt.

«Die Wachstumsschmerzen im Luftverkehr dürften die Konsolidierung beschleunigen»

Es ist offensichtlich, dass leistungsfähigere Kapazitäten im Luftverkehr notwendig sind. Trotz der stetigen und zum Teil grenzwertigen Bemühungen der Branche, die Kosten zu senken (etwa effizienteres Fluggerät, Auslagerung des fliegenden Personals in Tochtergesellschaften oder Rekrutierung in EU-Ländern mit niedrigen Personalkosten, Arbeitsverträge mit geringen Sozialstandards), wird dies einzelne Marktakteure wahrscheinlich wirtschaftlich überfordern.

Die Wachstumsschmerzen im Luftverkehr dürften daher die Konsolidierung bei den Fluggesellschaften beschleunigen. Zwar dürften die Fluggesellschaften einen Teil der steigenden Kosten über höhere Ticketpreise an die Kunden weitergeben. Aber Preiserhöhungen als Reaktion auf die steigende Nachfrage bei begrenzten Kapazitäten dürften die Ausnahme und auf Strecken mit geringer Konkurrenz begrenzt bleiben. Gegen dauerhafte Überrenditen einzelner Akteure spricht letztlich der Wettbewerb zwischen den Fluggesellschaften.

Die Expansion im Luftverkehr hat auch in verwandten Sektoren zu höheren Kapazitätsauslastungen geführt. Exemplarisch sei die Tourismusbranche genannt. In besonders beliebten Tourismuszielen – darunter auch eine Reihe europäischer Grossstädte – scheinen die Grenzen des (gesellschaftlich akzeptierten) Wachstums erreicht zu sein. Das Schlagwort lautet Overtourism.

«Neben dem Luftverkehr tragen auch andere Faktoren zum Phänomen des Overtourism bei»

In diesen touristischen Hotspots wird inzwischen eher diskutiert, wie man Touristenströme umlenken oder die absolute Zahl der Besucher verringern kann, weil ein wachsender Teil der lokalen Bevölkerung nicht mehr länger bereit ist, die negativen lokalen Folgen des Tourismus zu tragen.

Overtourism ist unter anderem auf die Verfügbarkeit günstiger Flugtickets zurückzuführen. Anfang 2018 entfielen rund 30 Prozent aller Flüge im innereuropäischen Luftverkehr auf Low-Cost-Carrier, gegenüber 24 Prozent Anfang 2011. Neben dem Luftverkehr tragen auch andere Faktoren zum Phänomen des Overtourism bei.

«Kreuzfahrt-Urlauber werden in beliebten Küstenstädten skeptisch angesehen»

Dazu zählt die Vermittlung von privaten Übernachtungsmöglichkeiten über spezialisierte Online-Portale. Sie haben die verfügbaren Bettenkapazitäten in vielen Städten bei recht günstigen Preisen deutlich erhöht, zugleich aber auch Engpässe im lokalen Wohnungsmarkt verschärft. Hinzu kommt die wachsende Zahl an Kreuzfahrt-Urlaubern, die in beliebten Küstenstädten wegen der schieren Masse an Touristen bei gleichzeitig relativ geringen Konsumausgaben an Land skeptisch gesehen werden.

Das Bestreben, Touristenströme in ihrem Wachstum zu bremsen oder diese gar zurückzudrängen, ist aus ökonomischer Sicht für die betreffenden Städte und Regionen ein schmaler Grat. Denn auf den Urlaubs- und Geschäftsreiseverkehr entfällt in vielen Städten ein hoher einstelliger oder gar zweistelliger Anteil des lokalen Bruttoinlandprodukts (BIP), wie das World Travel & Tourism Council analysiert hat. Zudem ist sie ein wichtiger Arbeitgeber. Es wird daher nicht einfach sein, die Interessenkonflikte zwischen der lokalen Tourismuswirtschaft und der über Overtourism klagenden Bevölkerung auszugleichen.

«Bislang ist die Politik nicht bereit, diese Konsequenz ihrer Wählerschaft zu vermitteln»

Das erwartete Wachstum im Luftverkehr und im Tourismussektor steht im Widerspruch zu den internationalen Klimaschutzzielen, zumindest solange es auf den aktuell verfügbaren Technologien basiert. Würde die Politik ihre Klimaziele wirklich ernst nehmen, müsste sie eigentlich das Wachstum des Luftverkehrs viel stärker eindämmen. Bislang ist die Politik jedoch nicht bereit, diese Konsequenz ihrer Wählerschaft zu vermitteln.

Hierbei spielt natürlich eine Rolle, dass die CO2-Emissionen aus dem internationalen Luftverkehr nicht einzelnen Staaten zugeordnet werden. Letztlich wäre es nicht wirklich populär, Flugreisen etwa so stark zu verteuern, dass sich diese nur wohlhabende Bevölkerungsschichten leisten können. Ausserhalb von Europa finden sich bislang jedenfalls kaum regulatorische Massnahmen, die die negativen ökologischen Effekte des Luftverkehrs vermindern sollen.

  • Eine längere Version dieses Beitrags mit diversen Grafiken findet sich unter diesem Link.

Eric Heymann ist Analyst bei der Deutschen Bank in Frankfurt. Seine Fachgebiete sind Automobil, Industrien, Klimapolitik, Verkehr.


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