Der Slogan von 2003 des ehemaligen Berliner Bürgermeisters Klaus Wowereit «arm, aber sexy» könnte schon bald durch «reich und innovativ» abgelöst werden, schreibt Jochen Möbert auf finews.first.


Dieser Beitrag erscheint in der Rubrik finews.first. Darin nehmen Autorinnen und Autoren wöchentlich Stellung zu Wirtschafts- und Finanzthemen. Die Texte erscheinen auf Deutsch und Englisch. Die Auswahl der Texte liegt bei finews.ch.


Gerade der Jobaufbau in Zukunftsbranchen spricht für die Entstehung einer Innovations-Hochburg Berlin. Diese Entwicklung stellt eine exzellente Basis für den Wohnungsmarkt dar. Hier blicken wir auf das Jahr 2018 zurück, wir erwarten aber auch zukünftig einen lang anhaltenden Hauspreiszyklus.

Die Preise für Berliner Reihenhäuser im Bestand erreichten dank einer Steigerung von 14 Prozent gegenüber dem Vorjahr ein neues Allzeithoch und kletterten auf deutlich über 300'000 Euro. Trotz dieses kräftigen Anstiegs, der auch deutlich stärker als in den meisten anderen deutschen Metropolen war, bleibt das Niveau der Berliner Hauspreise relativ niedrig. So kostet ein Reihenhaus im Bestand in den westlichen Metropolen (A-Städte) heute rund 50 Prozent mehr als in Berlin, im Jahr 2009 kosteten die Westhäuser dagegen nur 30 Prozent mehr und in den 1990er-Jahren war das Verhältnis noch nahezu ausgeglichen.

«In Berlin ist der Mangel an Arbeitskräften ein bedeutendes Problem»

Ebenfalls kräftig mit mehr als 10 Prozent gegenüber dem Vorjahr legten die neuen Reihenhäuser zu und die Preise für Einfamilienhäuser erhöhten sich «nur» um 5 Prozent. Berliner Einfamilienhäuser kosten knapp die Hälfte der Einfamilienhäuser in den westlichen Metropolen. Die Preisentwicklung bei den Wohnungen war ganz ähnlich wie bei den Häusern. So stiegen die Preise für Bestandswohnungen um mehr als 15 Prozent und für neue Wohnungen mussten mehr als 10 Prozent mehr gezahlt werden.

Berlin ist damit laut dem Immobilien-Analyseunternehmen bulwiengesa in punkto Wohnungen im Bestand mittlerweile die elftteuerste deutsche Stadt (im Jahr zuvor noch auf Rang 15) und laut der Daten-Analyse von Numbeo mit Quadratmeterpreisen ausserhalb der Innenstadt von 3'600 Euro sogar die zwanzigstteuerste Stadt in Europa.

Auch in Berlin resultiert die starke Preisdynamik aus einer hohen Anzahl fehlender Wohnungen. Oftmals wird der Mangel an Bauland als einer der Hauptgründe für den Wohnungsmangel angeführt. Aber auch in Berlin ist der Mangel an Arbeitskräften ein bedeutendes Problem.

«Die hohe Nachfrage beruht auch auf den guten Berliner Arbeitsmarktdaten»

So war laut Berliner Landesamt für Statistik von Januar bis September im Jahr 2018 im Bauhauptgewerbe die Zahl der tätigen Personen gegenüber dem gleichen Zeitraum des Vorjahres leicht rückläufig, während die geleisteten Arbeitsstunden um fast 5 Prozent zulegten. Im Jahr 2017 (letzter verfügbarer Wert) wurden 15'700 Wohnungen und damit 0,8 Prozent des Wohnungsbestandes erneuert. Angesichts des Zuwachses der geleisteten Arbeitsstunden sind die Fertigstellungen im Jahr 2018 wohl auf über 16'000 Wohnungen respektive 0,9 Prozent des Wohnbestandes angestiegen und damit nur ein Bruchteil dessen, was angesichts des Einwohnerwachstums nötig wäre.

Zwischen 2011 und 2017 (letzter verfügbarer Wert) ist die Zahl der Einwohner um fast 290'000 und die Zahl der Haushalte um fast 200'000 gestiegen. Die hohe Nachfrage beruht dabei auch auf den guten Berliner Arbeitsmarktdaten. Das Beschäftigtenwachstum von rund 4 Prozent im Jahr 2016 und 2017 dürfte sich auch im Jahr 2018 ungebremst fortgesetzt haben. Das kumulierte Beschäftigtenwachstum seit 2009 liegt über 30 Prozent. Entsprechend ist die Arbeitslosenrate seit Jahren rückläufig und fiel im November 2018 auf 7,6 Prozent.

«Der Beschäftigungsaufbau fand vor allem im Dienstleistungssektor statt»

Der Berliner Arbeitsmarkt normalisiert sich damit im Vergleich zu anderen deutschen Städten. Wie beeindruckend die Entwicklung ist, wird erst im historischen Kontext deutlich. So lag die Arbeitslosenrate im Jahr 2003 noch bei über 20 Prozent.

Bei der Analyse des Berliner Arbeitsmarktes ist zudem die sektorale Analyse aufschlussreich. Das traditionell in Deutschland stark vertretene produzierende Gewerbe, in dem jeder vierte sozialversicherungspflichtig Beschäftigte tätig ist, spielt in Berlin eine untergeordnete Rolle. Denn hier arbeitet nur rund jeder achte sozialversicherungspflichtig Beschäftigte in diesem Sektor. Der Beschäftigungsaufbau fand also vor allem im Dienstleistungssektor statt.

Dort wurden vom Jahr 2013 bis zum Jahr 2018 mehr als 200'000 neue Jobs geschaffen und damit mehr sozialversicherungspflichtige Arbeitsplätze, als es aktuell im produzierenden Gewerbe überhaupt gibt. Fast die Hälfte der neuen Jobs entfällt dabei auf drei Dienstleistungs-Sektoren: erstens freiberufliche, wissenschaftliche und technische Dienstleistungen, zu denen auch Dienstleistungen im Immobiliensektor gehören, zweitens sonstige wirtschaftliche Dienstleistungen und drittens – und dort war das Wachstum mit über 50 Prozent seit dem Jahr 2013 am kräftigsten – die Informations- und Kommunikationsbranche. Hier spiegelt sich Berlins Rolle als Startup-Hauptstadt wider.

«Jede zehnte Gründung eines Digitalunternehmens findet in Berlin statt»

Laut Stadt Berlin wurden im Jahr 2017 mehr als 500 Digitalunternehmen gegründet und damit mehr als in Hamburg, München und Frankfurt am Main zusammen. Zudem findet jede zehnte Gründung eines Digitalunternehmens in Berlin statt. Im Zuge dieser Entwicklung ist die Akademikerquote unter den sozialversicherungspflichtig Beschäftigten vom Jahr 2013 bis zum Jahr 2018 um mehr als 5-Prozent-Punkte auf über 26 Prozent gestiegen. Das Beschäftigtenwachstum in den eher wissensintensiven und zukunftsorientierten Sektoren spricht für ein nachhaltiges Wachstum. Daher wäre es keine Überraschung, wenn langfristig der Berliner Arbeitsmarkt die westdeutschen Metropolen nicht nur ein-, sondern gar überholte.

Diese Aufholentwicklung hatte in den vergangenen Jahren bereits positive Auswirkungen auf den Haushalt der Stadt Berlin. So stiegen vom Jahr 2014 zum Jahr 2018 die Haushaltsausgaben zwar um rund 5 Milliarden Euro auf 28,6 Milliarden Euro an. Doch trotzdem gingen die Ausgaben für Soziales (Amt für Soziales plus Jugendamt) um 1,5 Milliarden Euro zurück und der entsprechende Anteil an allen Ausgaben sank von 28 Prozent auf 24 Prozent.

«Die Stadt Berlin erwartet bis zum Jahr 2030 einen Zuwachs von mehr als 260'000 Einwohnern»

Gleichzeitig stiegen die Investitionen und öffentlichen Baumassnahmen im gleichen Zeitraum um fast eine Milliarde Euro an. Im Zuge dieser Entwicklung reduzierte Berlin seine öffentlichen Schulden von über 60 Milliarden Euro. im Jahr 2012 auf unter 55 Milliarden Euro im Jahr 2018. Weitere strukturelle Verbesserungen der Schuldenstände und des Haushalts sind angesichts des anhaltenden Immobilien- und Wirtschaftsbooms wahrscheinlich, gerade vor dem Hintergrund weiter steigender Einwohnerzahlen.

Die Stadt Berlin erwartet bis zum Jahr 2030 einen Zuwachs von mehr als 260'000 Einwohnern. Die somit kontinuierlich zunehmende Wohnnachfrage dürfte noch über Jahre auf ein eher unelastisches Wohnangebot treffen. Gerade für Berlin mit seiner besonders niedrigen Eigentümerquote (laut Zensus 2011: 15,6 Prozent, andere Metropolen über 20 Prozent und Deutschland insgesamt 45,9 Prozent) bestehen entsprechend für viele Mieter starke Anreize, Wohneigentum zu erwerben, wenngleich das Mietwachstum zumindest für Bestandswohnungen deutlich nachgab.

«Bis auf den Rückgang der Mietdynamik sprechen viele Faktoren für einen Berliner Superzyklus»

So gingen die jährlichen Mietsteigerungen auf nur noch 3 Prozent zurück, während im Jahr 2016 noch Zuwächse von 7 Prozent und im Jahr 2017 ein Sprung um 11 Prozent zu verzeichnen war. Bis auf den Rückgang der Mietdynamik sprechen weiterhin viele Faktoren für einen Berliner Superzyklus, der weit über das Jahr 2020 andauern könnte.

Berliner Wohnungen könnten im Zuge dieser Entwicklung dazu beitragen, dass Berlin zu einer der teuersten deutschen und auch europäischen Metropolen wird – und die Stadt entwickelt sich zudem zu einer der innovativsten Städte Europas. Der Slogan aus dem Jahr 2003 des ehemaligen Berliner Bürgermeisters Klaus Wowereit «arm, aber sexy» könnte also bald durch «reich und innovativ» abgelöst werden.


Jochen Möbert ist Analyst für Makroökonomie bei der Deutschen Bank. Seine Themen sind Aussenhandel/Zahlungsbilanz, Immobilien und Finanzmärkte.


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Welche Schweizer Privatbank bietet an der Börse nun das grösste Potenzial?
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  • Julius Bär, weil der Kurs seit dem Signa-Debakel genügend gesunken ist.
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  • Vontobel, weil das Unternehmen 2024 die Wende im Asset Management schaffen wird.
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  • EFG International, weil die Bank keinerlei interne Probleme bekundet und stark wächst.
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  • UBS, weil die Grossbank auch als Privatbank enormes Potenzial bietet.
    46.41%
  • Banque Cantonale Vaudoise, weil sie unter den Kantonalbanken ein grosses Private Banking anbietet.
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