Artikel zum Coronavirus gibt es jetzt im Übermass. Neil Shearing fasst in seinem Beitrag auf finews.first die Fakten sowie die potenziellen Auswirkungen auf die Weltwirtschaft aussergewöhnlich unaufgeregt und konzise zusammen. Darum ist sein Text so lesenswert.


In dieser Rubrik nehmen Autorinnen und Autoren Stellung zu Wirtschafts- und Finanzthemen.


Die rasante Ausbreitung des Wuhan-Virus' hat Ökonomen und Anleger gezwungen, sich eine Reihe von Fragen zu stellen, die kaum zu beantworten sind. Gleichzeitig hat diese Epidemie das Potenzial, schwere wirtschaftliche Verwerfungen auszulösen. Das Ausmass dieser Auswirkungen wird letztlich davon abhängen, wie sich das Virus ausbreitet und entwickelt, sowie davon, wie die Regierungen reagieren.

Wenn sich die Epidemiologen nicht sicher sind, wie sich die Ereignisse entwickeln werden, dann sollten Sie jedem Wirtschaftswissenschaftler, der behauptet, es besser zu wissen, skeptisch gegenüberstehen. Zum jetzigen Zeitpunkt gibt es meiner Meinung nach drei wichtige Dinge, die wir über die potenziellen wirtschaftlichen und marktbezogenen Auswirkungen sagen können.

«Das Potenzial für das Virus, eine bedeutende Marktkorrektur auszulösen, ist heute wesentlich grösser»

Das Erste ist, dass die vergangenen Epidemien zwar einige Anhaltspunkte für die möglichen wirtschaftlichen Auswirkungen bieten, die Parallelen aber ungenau sind. Auch auf die Gefahr hin, das Offensichtliche festzustellen, kein Virus gleicht dem anderen. Auch der wirtschaftliche Hintergrund des aktuellen Wuhan-Virus' unterscheidet sich von früheren Epidemien. Während es verlockend ist, Vergleiche mit der SARS-Epidemie von 2003 anzustellen, ist Chinas Wirtschaft heute viel grösser und enger in die globalen Lieferketten integriert. Ein wirtschaftlicher Schock in China breitet sich nun viel schneller auf den Rest der Welt aus.

Auch das Marktumfeld ist anders. Das SARS-Virus kam in einer Zeit auf, als die globalen Aktienmärkte nach dem Platzen der Dot-Com-Blase die Talsohle zu durchbrechen begannen. Das Wuhan-Virus hingegen folgt auf eine zehn Jahre lang Hausse an den Aktienmärkten. Da die Bewertungen nicht mehr billig und in einigen Fällen sogar etwas gedehnt sind, suchen die Anleger nun eher nach einem Vorwand, um zu verkaufen als zu kaufen. Das Potenzial für das Virus, eine bedeutende Marktkorrektur auszulösen, ist heute wesentlich grösser als damals.

«Die Kosten von Reiseverboten werden in der gesamten Region zu spüren sein»

Der zweite Punkt ist, dass die Massnahmen zur Eindämmung des Virus' – und nicht das Virus selbst – den grössten wirtschaftlichen Schaden verursachen. Es ist bezeichnend, dass die Reaktion der chinesischen Regierung sowohl schneller als auch umfassender heute ist sie es bei SARS war. Die Feiertage zum chinesischen Neujahr wurden für den grössten Teil des Landes verlängert, so dass Fabriken und andere Arbeitsplätze geschlossen blieben. Es wurden ausserdem weitreichende Reisebeschränkungen verhängt, Transportdienstleistungen reduziert und allen Touristengruppen die Ausreise ins Ausland untersagt. Das Ausmass der Reaktion ist vielleicht ein Grund dafür, dass die Betroffenheit bereits grösser ist als seinerzeit bei SARS.

Der dritte Punkt, der betont werden muss, ist, dass sich die vom Virus verursachten wirtschaftlichen Verwerfungen im Laufe der Zeit über die verschiedenen Sektoren ausbreiten werden. Dies wird zwangsläufig Auswirkungen auf den Rest der Welt haben. Die anfängliche Störung konzentrierte sich auf den Reise- und Tourismussektor. Die Passagierzahlen sind im Vergleich zum chinesischen Neujahr 2019 um 55 Prozent zurückgegangen. Und da chinesische Touristen viel Zeit in anderen asiatischen Ländern verbringen, werden die Kosten von Reiseverboten in der gesamten Region (insbesondere in Kambodscha, Thailand und Hongkong) markant zu spüren sein.

«Beim Stand der Dinge ist alles andere nur Spekulation»

Die Störung greift nun auch auf die einheimische Industrie über, da Fabriken, die nach den Neujahrsfeiertagen hätten wieder geöffnet werden sollen, weiterhin geschlossen bleiben. Da China jetzt im Zentrum vieler globaler Lieferketten steht, wird dies Auswirkungen auf die ganze Welt haben. Die Volkswirtschaften in Asien (insbesondere Vietnam und Taiwan) scheinen am anfälligsten zu sein. Aber je grösser die Störung, desto grösser ist auch die Gefahr, dass sie sich auf weiter entfernte Volkswirtschaften auswirkt, darunter Rohstoffproduzenten wie Chile und Australien und Hersteller wie Südkorea, Japan und Deutschland.

Was können wir aus all dem schöpfen? Das Beste, was wir aus den vergangenen Epidemien ableiten können, ist, dass wir im ersten Quartal 2020 mit einer erheblichen Beeinträchtigung der Aktivitäten in China rechnen müssen, gefolgt von einem Wiederanstieg der Produktion, sobald das Virus unter Kontrolle gebracht ist. Solange Fabrikschliessungen nicht zu Arbeitsplatzverlusten führen, wird sich das Niveau des Bruttoinlandprodukts (BIP) im nächsten Jahr um diese Zeit kaum von dem unterscheiden, was es ohne Virus gewesen wäre. Wir haben gerade unsere Prognose für das Wachstum im ersten Quartal 2020 von 5,5 Prozent im Jahr auf etwa 3,0 Prozent im Jahr gesenkt. Aber wir gehen davon aus, dass die Produktionsverluste im Laufe des restlichen Jahres wieder aufgeholt werden.

«Es gibt drei Auswirkungen auf den Rest der Welt»

  • Erstens werden die Auswirkungen auf die Weltwirtschaft angesichts der Grösse und Bedeutung der chinesischen Wirtschaft wahrscheinlich bedeutender sein als bei früheren Epidemien (einschliesslich SARS).
  • Zweitens: Je grösser die Störungen in China sind, desto wahrscheinlicher ist es, dass sie sich auf das Ausland ausbreitet.
  • Drittens ist angesichts der Tatsache, dass wir uns seit mehr als zehn Jahren in einem globalen Aktien-Bullenmarkt befinden, das Potenzial für das Virus, eine bedeutende Marktkorrektur auszulösen, jetzt viel grösser ist als während früherer Epidemien. Soviel wissen wir. Beim derzeitigen Stand der Dinge ist alles andere nur Spekulation.

Eine eben lancierte Webseite fasst alle aktuellen Entwicklungen zum Thema zusammen.


Neil Shearing ist Chefökonom der Capital Economics Group. Davor war er für die Märkte der Schwellenländer zuständig. Vor seiner Tätigkeit bei Capital Economics arbeitete er im britischen Finanzministerum, wo er als Wirtschaftsberater unter anderem auf die Themen Finanzpolitik und Weltwirtschaft spezialisiert war. Er hat einen Abschluss in Wirtschaftswissenschaften der Universität von York und der Universität von London und ist Fellow der Royal Society of Arts.


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