All diese Probleme engen den Handlungsspielraum vieler Notenbanken ein, die mit ihrer Tiefzinspolitik ohnehin kaum noch konjunkturelle Impulse auslösen können. Sie sind praktisch gezwungen, ihre Leitzinsen tief zu halten und weiterhin Staatsanleihen aufzukaufen. Andere Notenbanken wie die SNB oder die Bank of Japan intervenieren in noch nie erlebtem Ausmass an den Devisenmärkten, um ihre Exportwirtschaft vor einem Kollaps zu bewahren.

Die Verpflichtung der Euro-Länder, die jährliche Defizitquote nicht über 3 Prozent ansteigen zu lassen und die Schuldenlast auf 60 Prozent des BIP einzudämmen, wurde bereits 2002 erstmals durch Deutschland und Frankreich gebrochen. Damit wurde ein Dammbruch provoziert. Heute stellt sich die Defizitquote der EU-Länder auf 6 bis 7 Prozent und die Verschuldung liegt über 90 Prozent des BIP. Einige Länder weisen jedoch wesentlich höhere Defizit- und Verschuldungsquoten auf. Sie werden trotz staatlichen Sparprogrammen nicht in der Lage sein, ihre Verschuldungsprobleme zu bewältigen, denn seit Ausbruch der Finanzkrise sind die Anleger skeptischer geworden. Sie sind nicht mehr bereit, maroden Staaten mit unglaubwürdigen Regierungen ihre Spargelder anzuvertrauen.

Gegen 10 Milliarden Schulden, Tag für Tag

Die Verschuldungsproblematik der Industrieländer ist aber nicht nur eine Folge der Finanzkrise. Im Durchschnitt der G-7 Länder stieg die Staatsverschuldungsquote seit 35 Jahren an. In den 1950er und 1960er Jahren nahmen die Verschuldungsratios dank starkem Wirtschaftswachstum signifikant ab und erreichte in den G-7 Ländern 1974 ein Tief von 35 Prozent. Der starke Anstieg der Staatsausgaben zwischen 1965 und 1985 reflektiert eine Abkehr vom einem Staat, der nur Kernfunktionen wahrnahm, hin zu einem Vollkasko- und Umverteilungsstaat. Bis vor der Krise stieg die Verschuldung der G-7 Länder auf 80 Prozent des BIP an. Ende 2010 werden sie bei 110 Prozent angekommen sein. Jeden Tag wächst die US-Staatsverschuldung um 4 Milliarden Dollar, jene der EU-Länder um rund 1 bis 2 Milliarden Euro, jene Japans um rund 3 Milliarden Euro. Wenn die Regierungen nichts unternehmen, werden die Verschuldungsquoten gemäss IWF bis 2030 auf 200 Prozent, bis 2050 sogar auf 440 Prozent ansteigen.

Um die Staatsverschuldung zu stabilisieren, müssten die Staaten ihre Haushalte um rund 6½ BIP-Prozentpunkte verbessern; das sind rund 14 Prozent der Staatshaushalte. Dies entweder über Ausgabenkürzungen oder Einnahmensteigerungen.

Der IWF-Perspektivstudie vom 1. September 2010 zur Staatsverschuldung ist zu entnehmen, dass eine weitere Zunahme der Staatsschulden um 40 Prozent in den G-7-Ländern in den nächsten Jahren realistisch erscheint. Diese Schuldenexplosion könnte nach Ansicht des IWF die realen Zinsen um rund 2 Prozent in die Höhe treiben, woraus eine jährliche Wachstumseinbusse von 0.5 Prozent resultieren würde. Mit jedem Prozent Zinsanstieg wird der Sparbedarf der Staaten zur Stabilisierung der Schulden um 1 BIP-Prozentpunkt zunehmen. Ohne Reform der Altersvorsorge werden jedoch die Ausgaben bis 2030 um weitere 3-BIP-Prozentpunkte ansteigen.

Die nächste Fehlallokation

Die Industrieländer stehen deshalb vor einer extremen Herausforderung, weil sie eine Korrektur ihrer Überschuldung ausgerechnet zu einem Zeitpunkt in Angriff nehmen sollten, wo neue Lasten seitens der Altersvorsorge und der Gesundheitskosten auf sie zukommen. Länder, die eine politische Radikalkur nicht wagen und die nötigen Abstriche an den zu stark ausgebauten Staatsgebilden und Sozialwerken nicht durchsetzen, werden früher oder später in die Schuldenfalle geraten und ihre Zinsen nur noch durch Neuschulden bezahlen können. Dies führt zu Zinssteigerungen, Abwertungen und Wohlstandsverlusten.

Die Markteingriffe der Notenbanken und der Regierungen haben dazu geführt, dass viele Bereiche des Kapitalmarktes heute künstlich von der Politik und nicht mehr durch Angebot und Nachfrage bestimmt werden. Wenn aber Marktpreise nicht mehr Angebot und Nachfrage reflektieren, kann es rasch zu immensen Fehlallokationen von Kapital kommen. Dies war ja schon zu Beginn der Hypothekenkrise in den USA der Fall. Der Herdentrieb der Schuldenmacherei wurde durch die staatsnahmen Pfandbriefbanken Fannie Mae und Freddie Mac und durch die Tiefzinspolitik des US-Fed anlässlich der New Economy Krise gefördert.

1900 Milliarden Euro: die grosse Renten-Lücke

Die Tiefzinspolitik mag zwar vielen verschuldeten Unternehmen willkommen sein, und auch viele Staaten können die zusätzlichen Kosten der Neuverschuldung dank tieferen Zinsen gegenüber der Steuerzahlern vertuschen. Leidtragende sind die Altersvorsorgewerke, die ihre Rentenversprechen mit höheren Renditen an den Kapitalmärkten budgetiert haben. Wenn diese Renditen von 4 bis 5 Prozent in der Schweiz, in den USA oft von 6 bis 8 Prozent nicht erzielt werden, dann entstehen Deckungslücken, die vor allem die aktive Bevölkerung trifft, weil diese die Löcher der Rentnerkassen decken müssen.

Die Tiefzinspolitik trifft aber auch die private Altersvorsorge. Experten der europäischen Versicherungsindustrie haben Ende September eine Studie veröffentlicht, die aufzeigt, dass alleine in der EU jährlich rund 1'900 Milliarden Euro mehr für das Alter gespart werden müssten, um im Pensionsalter den heutigen Wohlstand zu halten. Und selbst diese Berechnungen basieren noch auf der gewagten Annahme, dass die Erträge auf den Altersguthaben 5 Prozent betragen werden. Selbst wenn diese Prognose zutrifft, stellt sich das jährliche Sparmanko auf rund 16 Prozent des BIP 2010. Auf die Staatsfinanz- und Währungskrisen dürfte somit die Sozialwerkkrise folgen.

Was sind die Folgen?

Einige Staaten haben zwar schon begonnen, die nicht mehr finanzierbaren Leistungen ihrer Sozialwerke zu reduzieren, indem sie eine Erhöhung des Rentenalters oder einen Verzicht auf Teuerungsanpassungen der Renten ankündigten. Leistungskürzungen werden aber zusehends auf politischen Widerstand stossen. Deshalb ist nicht auszuschliessen, dass sich daraus letztlich Staatskrisen mit sozialer Unrast entwickeln könnten.

Der vorgezeichnete Weg ist alles andere als erfreulich und letztlich ist die heutige desolate Situation auf die globale Schuldenmacherei zurückzuführen. Diese Aussage betrifft nicht nur die Privaten, sondern auch die Staaten.

Welche Schlüsse kann man aus dem geschilderten Trends ziehen? Zusammengefasst bedeutet dies: «fasten your seatbelts».

1. Wir müssen uns in den Industrieländern auf ein geringeres Wirtschaftswachstum einrichten, wobei diese Durststrecke durchaus 10 Jahre und mehr anhalten kann.

2. Die Geld- und Fiskalpolitik entfallen weitgehend als Konjunkturinstrumente. Im Gegenteil. Sie werden in Zukunft eher als Bremsklötze wirken, wenn Sparprogramme und allenfalls wieder höhere Zinsen wirksam werden.

3. Höhere Steuern stehen bevor, denn die Regierungen werden die notwendigen Sparmassnahmen im Staatshaushalt und bei den Sozialwerken politisch nicht durchsetzen können. Die Steuerlast wird von immer weniger Unternehmen und Gutverdienenden getragen werden müssen.

4. Die von den Regulierungsbehörden geforderte Aufstockung der Eigenkapitalbasis der Banken, die Reprivatisierung der Staatsbeteiligungen an Finanzinstituten und die Neuverschuldung der Staaten wird die Kapitalmärkte derart stark belasten, dass die Privatwirtschaft verdrängt wird.

5. Je länger die Tiefzinspolitik anhält, um so gravierender werden die Ertragsprobleme der Altersvorsorgewerke. Massive Nachfinanzierungen oder Rentenkürzungen werden den Privatkonsum und die Unternehmen treffen. Auch ohne Anlageprobleme werden die Kosten der Altersvorsorge, des Gesundheitswesens und der Pflegeversicherung in den kommenden Jahrzehnten massiv zunehmen. Insgesamt erwartet die EZB für die OECD-Ländern weitere 9 Prozente des Bruttosozialproduktes, die dafür aufzuwenden sind.

6. Gesund finanzierte Unternehmen mit grosser Innovationskraft und hoher Produktivität in unregulierten Sektoren werden als Sieger hervorgehen. Gemessen an der Börsenkapitalisierung der grössten 1200 Weltkonzerne sind heute schon fast 50 Prozent der Grossunternehmen vom Staat direkt oder indirekt reguliert. Sobald regulierte Unternehmen vermeintlich übermässige Gewinne erzielen, versucht der Staat diese abzuschöpfen, sei es mit Sondersteuern für Atomkraft, für Bankdienstleistungen et cetera. Solche Regulierungen und Sondersteuern hemmen das Unternehmertum.

7. Deflation wird ein Thema werden, und die Notenbanken und Regierungen verfügen kaum über Instrumente, um eine Spirale sinkender Preise zu bekämpfen. Rentenversprechen von Pensionskassen und Lebensversicherungen werden in einem deflationären Umfeld schwerlich einzuhalten sein.

8. Die Gefahr von Staatspleiten wird zunehmen; und in Europa wird das Währungskorsett Euro, das den Handlungsspielraum der Regierungen einengt, in Frage gestellt werden. Führende US-Ökonomen wie Nouriel Roubini, rechnen innerhalb der nächsten 5 Jahre mit einem Zerfall des Euro-Verbundes. Die finanzielle Situation der grossen Emerging Markets ist viel komfortabler. Ab 2011 erscheint ein weiterer Schuldenabbau realistisch. Die westlichen Industrieländer, vorab die USA, werden immer stärker von ausländischen Geldgebern aus Fernost abhängig.

9. Die anhaltenden Ungleichgewichte der globalen Wirtschaft mit den USA als Konsument auf Pump und den Fernostländern als Sparer, Produzenten und Exporteure werden sich akzentuieren und Protektionismus, Währungskrisen und Aufkäufen von Rohstoffreserven durch die Handelsüberschussländer führen. China und andere Exportnationen werden auf Dauer nicht bereit sein, sich mit Dollars bezahlen zu lassen, dessen Kaufkraft über Abwertungen schwindet. Sie werden, wie bereits in Ansätzen erkennbar, diese Dollars in Sachwerte umtauschen, wozu nebst Rohstoffreserven auch Unternehmen und Know-how des Westens zählen.

10. Die Weltwirtschaft inklusive Finanzindustrie wird sich beschleunigt weg von den traditionellen Industrieländern nach den Wachstumsmärkten in Fernost verschieben. Unternehmen mit Verbindungen zu diesen Märkten werden profitieren, die übrigen werden mit einer demographisch bedingten Nachfragerückgang zu kämpfen haben.

 

 

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