Unterhält man sich mit Investoren darüber, wo sie auf der Suche nach den vielversprechendsten Wachstumsfirmen fündig werden, dann fällt nur selten der Name der SIX oder einer anderen Börse in Europa, stellt Ebrahim Attarzadeh in seinem Beitrag für finews.first fest. Die Gründe.


In dieser Rubrik nehmen Autorinnen und Autoren Stellung zu Wirtschafts- und Finanzthemen.


Zugegeben, es gibt auch in unseren Breitengraden potenzielle Wachstumschampions. Doch entweder sie wandern zum Börsengang in die USA ab, oder aber sie bleiben und verpassen den Sprung zu echter Grösse – zumindest in globalen Massstäben.

Die Liste der Emigranten ist vor allem in Zukunftsbranchen wie der Biotechnologie schmerzlich lang. Schweizer Unternehmen wie Crispr Therapeutics, AC Immune oder ADC Therapeutics haben in den vergangenen Jahren eine Börsenkotierung in New York gewagt. Sie konnten also offenbar hierzulande nicht die Investorenbasis finden, um das angestrebte Wachstum zu verwirklichen.

«Es fehlt die Bereitschaft der institutionellen Investoren, grosse Beträge in etablierte Wachstumsfirmen zu stecken»

Es mangelt uns in der Schweiz und in Europa insgesamt sicher nicht an Wagniskapital, oder auf Englisch Venture Capital. Mutige Frühphasen-Investoren haben wir tatsächlich einige, so dass Gründer durchaus die Bedingungen vorfinden, um aussichtsreiche Firmen an den Start zu bringen. Woran es fehlt, ist die Bereitschaft der institutionellen Investoren, grosse Beträge in bereits etablierte Wachstumsfirmen zu stecken, die den nächsten Schritt machen wollen.

Das liegt vor allem an den hohen Bewertungen, die Wachstumsfirmen heute schon früh erreichen, auch wenn sie noch nicht profitabel sind. Europäische Anleger sind meist nicht bereit, diese hohen Preise für stark wachsende, aber noch defizitäre Firmen zu bezahlen. Während US-Investoren starke Wachstumsaussichten verlangen, ist es bei europäischen Anlegern ein positiver EBITDA-Wert. So ist klar, wohin sich Wachstumsunternehmen orientieren.

Um die aussichtsreichen Unternehmen bei uns zu halten, brauchen wir eine risikofreudigere Aktienkultur bei institutionellen Investoren. Eine Aktienkultur, die Wachstum einen angemessenen Preis zugesteht. Auf einen Sinneswandel bei den grossen Kapitalsammelstellen zu hoffen, wäre jedoch naiv. Schliesslich sind institutionelle Anleger in weiten Teilen auch von einer Regulierung eingeschnürt, die wachstumsorientiertes Investieren nicht eben begünstigt.

«Diese Strategie hat vier Säulen»

Wir brauchen deswegen eine ganzheitliche Strategie, die Wachstumsfirmen stärkt und Kapital für sie mobilisiert. Diese Strategie hat vier Säulen.

Erstens sollten unsere Regierungen – in der Schweiz ebenso wie in der Europäischen Union – eine weitsichtige Industriepolitik implementieren, die Schlüsselfelder für künftiges Wachstum definiert und diese Felder strukturell fördert, etwa durch innovationsfreundliche Regulierung. Dabei sollten technologiegetriebene Branchen im Fokus stehen: Biotechnologie, Künstliche Intelligenz, Raumfahrt, Green Tech und andere.

Die bisherige Förderpolitik kann man hüben wie drüben wohlwollend als «historisch gewachsen» bezeichnen. Strategisch konzipiert ist sie kaum. Und so trägt sie auch unseren wirtschaftsstrategischen Interessen im globalen Wettbewerb nicht angemessen Rechnung.

«Davon würde auch die Schweiz massiv profitieren»

Neben diesem strukturellen Rahmen braucht es, zweitens, einen europäischen Wachstumsfonds, der aktiv in die vielversprechendsten technologiegetriebenen Wachstumsunternehmen investiert. Während der rechtliche Rahmen und die Anlagerichtlinien politisch erarbeitet und damit demokratisch legitimiert sein müssen, sollte das Fondsmanagement in seinen Entscheidungen vollkommen unabhängig von der jeweiligen Regierung agieren können. Eine Beteiligung von vermögenden Privatpersonen an einem solchen Fonds sollte im Übrigen ebenfalls ermöglicht werden.

Die dritte Säule ist die Schaffung einer europäischen Technologiebörse, die die besten Technologieunternehmen des europäischen Kontinents zusammenbringt und damit in der Lage ist, Kapital von Wachstumsinvestoren aus aller Welt anzuziehen. Davon würde auch die Schweiz massiv profitieren.

«Viele Wachstumsfirmen entstehen vor unserer Haustüre»

Und schliesslich, viertens, müssen die regulatorischen Hürden beseitigt werden, die institutionelle Investoren heute davon abhalten, verstärkt in Wachstumsunternehmen zu investieren. Insbesondere müssen die Kapital- und Bilanzierungsvorschriften für Versicherungen und Pensionskassen grundsätzlich aktienfreundlicher werden und es den Investoren erleichtern, vorübergehende Wertverluste «auszuhalten».

Manchmal machen die Debatten in unserer Branche den Anschein, als sei es Gott gegeben, dass die USA nun einmal der «place to be» für Wachstumsfirmen sind. Das ist mitnichten der Fall. Viele von ihnen entstehen vor unserer Haustüre. Wir sollten ihnen Gründe geben, hier zu bleiben. Dafür braucht es jetzt strategische Weichenstellungen.


Ebrahim Attarzadeh ist CEO der Stifel Europe Bank (vormals MainFirst Bank) in Zürich. Er begann seine Karriere bei der Deutschen Bank in Frankfurt am Main, wo er sechs Jahre lang vor allem im Aktienhandel und für Strukturierte Derivate tätig war. Er wechselte 2006 zu MainFirst in Frankfurt am Main und ging 2011 nach Zürich, um für das Bankhaus das Schweiz-Geschäft aufzubauen. Er verfügt über einen Master of Science in Wirtschaftswissenschaften der Universität Heidelberg.


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