Schönfärberei ist ein Problem für die Finanzbranche, warnt Mike Judith in seinem Beitrag auf finews.first. Das ESG-Marketing sei im vollen Gange und lasse die Anleger und Anlegerinnen im grünen Nebel stehen.


In dieser Rubrik nehmen Autorinnen und Autoren Stellung zu Wirtschafts- und Finanzthemen


Verstummt ist die Diskussion, ob Nachhaltigkeit bei Finanzprodukten eine Nische ist. Angesichts der Umlenkung globaler Finanzströme durch Regulierer, der expansiven Fiskalpolitik sowie sich wandelnder Ansprüche der Verbraucher ist dies keine Überraschung: Nachhaltigkeit entwickelt sich zu einer neuen Norm.

Aber ein grosses Problem ist, dass noch keine definierten ESG-Richtlinien verabschiedet und EU-Regulierungsprojekte wie die Taxonomie, MiFID2 und die Offenlegungsverordnung noch nicht harmonisiert sind. Folglich divergieren die Analysen nachhaltiger Research-Häuser mitunter stark.

Ein weiteres Problem ist die Marketingmaschinerie. Nachhaltigkeit ist jetzt so bedeutsam, dass es – zumindest auf den ersten Blick – Hunderte von Anbietern grüner Produkte gibt.

«Darum wächst die öffentliche Skepsis»

Viele Vermögensverwalter, Banken, Börsen, Datenanbieter oder Ratingagenturen hatten vor wenigen Jahren nicht ein einziges nachhaltiges Produkt, gerieren sich heute aber als Vorreiter: Wo Billionen von Dollar veranlagt werden, ist so mancher bestrebt, sich in der öffentlichen Wahrnehmung schnell von der Heuschrecke zum Umweltengel zu wandeln. Das ESG-Marketing ist im vollen Gange und lässt die Konsumenten im grünen Nebel stehen.

Zweifel kommen auf, etwa beim Fall eines Impact-Rechners, den eine Fondsgesellschaft nach Unterlassungsansprüchen einer Verbraucherzentrale wieder von ihrer Website nahm. Ein anderer grosser Anbieter steht wegen Nachhaltigkeitsangaben zu seinen Fonds in der Kritik. Wie viele Fälle sind noch unentdeckt?

Ich wage zu behaupten, dass sich mangels einheitlicher Standards und aufgrund unterschiedlicher Massstäbe über fast jedes Anlageprodukt kritisch berichten liesse. Der ehemalige Chefanleger des grössten US-Vermögensverwalters bezeichnete ESG gar als «tödliche Ablenkung» von den eigentlich erforderlichen Lösungsansätzen. Darum wächst die öffentliche Skepsis.

«Es mangelt an genauen Daten»

Warum ist es so schwer zu beurteilen, ob eine Firma nachhaltig unterwegs ist? Drei Beispiele: Ein grosser Getränkehersteller weist geringe CO2-Emissionen aus – klar: die Subfirmen übernehmen die CO2-intensive Logistik. E-Commerce-Konzerne stossen selbst wenig CO2 aus – aber ist ihr Geschäftsmodell, Produkte um die Welt zu schicken, nachhaltig? Ein Fondsgigant propagiert Klimaschutz – und finanziert zugleich Entwaldung mit, was mindestens widersprüchlich ist und nach branchenspezifischen Klima- und ESG-Risikobewertungstools für schädliche Industrien schreit.

Doch selbst bei Betrachtung der gesamten Wertschöpfungskette von der Energiegewinnung bis zum Ende eines Produktlebenszyklus mangelt es an genauen Daten. Trotzdem halte ich eine transparente, detaillierte Berichterstattung nach bestem Wissen und Gewissen für den richtigen und wichtigsten Lösungsansatz.

Eine weitere Lösung können externe, unabhängige Ratings sein. Das Analysieren umfangreicher Nachhaltigkeitsberichte erfordert Zeit und Fachkenntnis. Ratings oder Siegel sichern Mindeststandards. Für das etablierte FNG-Fondssiegel etwa müssen sich Anbieter einmal im Jahr von der Universität Hamburg als unabhängigem Auditor prüfen lassen. Der Qualitätsstandard schafft auch Transparenz, die eine Schlüsselrolle spielt.

«Die Nordländer gelten als Vorbild für eine moderne nachhaltige Gesellschaft»

Weit voraus sind bei der Transparenz die Skandinavier. Die schwedische Regierung etwa begann bereits 2001 mit der Umsetzung und laufenden Veröffentlichung ihrer Nachhaltigkeitsstrategie, was unter anderem dazu führte, dass das Land heutzutage die Rankings der umweltfreundlichsten Länder – dicht gefolgt von Norwegen und Dänemark – anführt. Ob beim Klimaschutz, dem Bildungssystem oder bei der Gleichberechtigung – die Nordländer gelten als Vorbild für eine moderne nachhaltige Gesellschaft.

Auch der Finanzbereich gilt als vorbildhaft. Einige skandinavische Häuser waren im Jahr 2006 Mitgründer der UN-Prinzipien für verantwortliches Investieren. Die UN PRI gelten als Gradmesser für die Finanzindustrie. Nach zweijährigem Boom sind es heute 4’308 Unterzeichner. Der Schwerpunkt der Nordics liegt längst auf dem Nachweis des Impacts von Investitionen, deren soziale oder Umweltwirkungen. Ausschlüsse sind nur flankierend relevant.

«ESG- und CO2-Daten gehören ins Portfoliomanagement-System integriert»

Vielmehr nehmen bei Skandinaviern seit Jahren aktive Dialoge mit Unternehmen und Abstimmungen auf deren Generalversammlungen breiten Raum ein, ein in der Schweiz noch recht unbestelltes Feld. Solches Engagement bietet Portfoliomanagern eine grössere Informationsbasis für Firmenanalysen und Investitionsentscheidungen. Das Verständnis, wie Unternehmen mit wesentlichen ESG-Risiken und -Chancen umgehen, kann die Titelauswahl entscheidend beeinflussen.

ESG- und CO2-Daten gehören ins Portfoliomanagement-System integriert. Bei progressiven Häusern stehen sie allen Anlageexperten nicht nur zur Verfügung, sondern diese nutzen sie systematisch. Das nicht zu tun, birgt finanzielle Risiken und schwächt die Glaubwürdigkeit, wie gerade erlebbar. Greenwashing schadet dem seriösen nachhaltigen Finanzsegment.

«Der Nachhaltigkeitsprozess ist komplex und langwierig»

Die Messung umweltbezogener Risiken und Chancen sollte möglichst bald flächendeckend umgesetzt sein. Anlegerinnen und Anlegern sollten diese Daten im Sinne der Produktwahrheit und -klarheit in hinreichender Detailtiefe zugänglich gemacht werden. Es gilt einmal mehr: Sagen, was ist. Dann können Investoren selber entscheiden, ob die jeweilige Anlagephilosophie dem eigenen Anspruchsdenken genügt.

Eins ist klar: Der Nachhaltigkeitsprozess ist komplex und langwierig. Von Produktanbietern ist kaum zu erwarten, bereits am Ziel zu sein. Diesen Eindruck sollte die Finanzwirtschaft auch nicht versuchen zu vermitteln. Ein glaubwürdiges Bestreben und Tun ist der Weg, nicht auch das letzte Vertrauen in die Finanzwelt zu verspielen.


Mike Judith ist Vertriebschef ‹International› beim norwegischen Vermögensverwalter DNB Asset Management.


Bisherige Texte von: Rudi BogniRolf BanzWerner VogtWalter WittmannAlfred Mettler, Robert HolzachCraig MurrayDavid ZollingerArthur BolligerBeat KappelerChris RoweStefan GerlachMarc Lussy, Nuno FernandesRichard EggerDieter RuloffMarco BargelSteve HankeUrs Schoettli, Maurice PedergnanaStefan Kreuzkamp, Oliver BussmannMichael BenzAlbert Steck, Martin DahindenThomas FedierAlfred MettlerBrigitte Strebel, Mirjam Staub-Bisang, Kim IskyanStephen DoverDenise Kenyon-RouvinezChristian DreyerKinan Khadam-Al-JameRobert HemmiAnton AffentrangerYves Mirabaud, Hans-Martin KrausGérard Guerdat, Mario BassiStephen ThariyanDan SteinbockRino BoriniBert FlossbachMichael HasenstabGuido SchillingWerner E. RutschDorte Bech VizardAdriano B. Lucatelli, Maya BhandariJean TiroleHans Jakob RothMarco Martinelli, Thomas Sutter, Tom King, Werner PeyerThomas KupferPeter Kurer, Arturo Bris, Frédéric Papp, James Syme, Dennis Larsen, Bernd Kramer, Marionna Wegenstein, Armin JansNicolas Roth, Hans Ulrich Jost, Patrick Hunger, Fabrizio QuirighettiClaire Shaw, Peter FanconiAlex Wolf, Dan Steinbock, Patrick Scheurle, Sandro Occhilupo, Will Ballard, Nicholas Yeo, Claude-Alain Margelisch, Jean-François Hirschel, Jens Pongratz, Samuel Gerber, Philipp Weckherlin, Anne Richards, Antoni Trenchev, Benoit Barbereau, Pascal R. Bersier, Shaul Lifshitz, Ana Botín, Martin Gilbert, Jesper Koll, Ingo Rauser, Carlo Capaul, Markus Winkler, Konrad Hummler, Thomas Steinemann, Christina Böck, Guillaume Compeyron, Miro Zivkovic, Alexander F. Wagner, Eric Heymann, Christoph Sax, Felix Brem, Jochen Möbert, Jacques-Aurélien Marcireau, Ursula Finsterwald, Claudia Kraaz, Michel Longhini, Stefan Blum, Nicolas Ramelet, Søren Bjønness, Andreas Britt, Gilles Prince, Shanu Hinduja, Salman Ahmed, Stéphane Monier, Peter van der Welle, Ken Orchard, Christian Gast, Jürgen Braunstein, Jeffrey Vögeli, Fiona Frick, Stefan Schneider, Matthias Hunn, Andreas Vetsch, Mark Hawtin, Fabiana Fedeli, Marionna Wegenstein, Kim Fournais, Carole Millet, Swetha Ramachandran, Brigitte Kaps, Thomas Stucki, Neil Shearing, Claude Baumann, Tom Naratil, Oliver Berger, Robert Sharps, Tobias Müller, Florian Wicki, Jean Keller, Niels Lan Doky, Karin M. Klossek, Ralph Ebert, Johnny El Hachem, Judith Basad, Katharina Bart, Thorsten Polleit, Bernardo Brunschwiler, Peter Schmid, Karam Hinduja, Zsolt Kohalmi, Raphaël Surber, Santosh Brivio, Mark Urquhart, Olivier Kessler, Bruno Capone, Peter Hody, Andrew Isbester, Florin Baeriswyl, Agniszka Walorska, Thomas Müller, Ebrahim Attarzadeh, Marcel Hostettler, Hui Zhang, Michael Bornhäusser, Reto Jauch, Angela Agostini, Guy de Blonay, Tatjana Greil Castro, Jean-Baptiste Berthon, Dietrich Grönemeyer, Mobeen Tahir, Didier Saint-Georges, Serge Tabachnik, Rolando Grandi, Vega Ibanez, Beat Wittmann, David Folkerts-Landau, Andreas Ita, Teodoro Cocca, Michael Welti, Mihkel Vitsur, Fabrizio Pagani, Roman Balzan, Todd Saligman, Christian Kälin, Stuart Dunbar, Fernando Fernández, Lars Jaeger, Carina Schaurte, Birte Orth-Freese, Gun Woo, Lamara von Albertini, Philip Adler, Ramon Vogt, Gérard Piasko, Andrea Hoffmann, Niccolò Garzelli, Darren Williams und Benjamin Böhner.   

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