«Grün» zu sein, geht über das Klimathema hinaus, und Nachhaltigkeit bedeutet mehr als das E von ESG, schreibt Anna Stünzi in ihrem Beitrag für finews.first.


In dieser Rubrik nehmen Autorinnen und Autoren Stellung zu Wirtschafts- und Finanzthemen


Am Sonntag beginnt die internationale Klimakonferenz COP26 in Glasgow. Gleich drei Bundesräte werden die Schweiz vertreten und, unter anderem, an Treffen zu nachhaltigen Finanzen teilnehmen. Die Ausrichtung der Finanzindustrie auf das Pariser Klimaziel von unter 2°C und die Mobilisierung von Kapital für Investitionen in den Klimaschutz und Anpassung an den Klimawandel sind zentrale Themen der Konferenz.

Private Finanzinstitute wurden explizit eingeladen, im Vorfeld eigene Netto-Null Ziele zu definieren. Im Trubel solcher Ankündigungen und dem Ziel vieler Finanzakteure und -plätze sich als Nachhaltigkeits-Hubs zu positionieren, sollte nicht vergessen gehen, worum es im Kern gehen muss.

«Der Finanzsektor sitzt an einem wichtigen Hebel»

Die Forschung zeigt, dass die Finanzindustrie eine wichtige Rolle einnehmen kann, weil sie – grob vereinfacht - einzelne Klimaschutzprojekte zu einer grossen Transformation skalieren oder dazu beitragen kann, dass wir nicht an alter Infrastruktur festhalten und den verheerenden Folgen des Klimawandels ausgesetzt sind.

Zur Erinnerung, für die Schäden der verheerenden Überschwemmungen in Deutschland Mitte Juli 2021 kalkulieren die Versicherungen bislang rund sieben Milliarden Euro ein und die deutsche Regierung sprach 30 Milliarden Euro Hilfsgelder aus – ganz zu schweigen vom menschlichen Leid. Mit Investitionen alleine lässt sich das 2,0°-Ziel nicht erreichen, dafür braucht es politische Massnahmen in der Realwirtschaft.

Aber der Finanzsektor sitzt an einem wichtigen Hebel, weil die Investitionen nicht erst im Jahr 2050 getätigt werden können. Und nicht nur NGOs und die Politik interessieren sich mittlerweile dafür, ob eine Bank in neue Kohle-Projekte investiert, sondern auch ihre Kundinnen und Kunden.

«Die Finanzinstitute müssen ihre Ziele auf konkrete und messbare Zielpfade herunterbrechen»

Zentral muss sein, dass der positive Effekt auf Umwelt und Gesellschaft im Fokus bleibt. Der Schweizer Finanzplatz verwaltet knapp einen Drittel des weltweiten, grenzüberschreitenden Vermögens. Es stellt sich also die Frage, wo die Schweizer Akteure heute stehen und in welche Richtung sie sich entwickeln.

Eine Auswertung, die rund 80 Prozent des Schweizer Finanzmarktes abdeckt, zeigt, dass der Schweizer Finanzsektor insgesamt noch nicht auf die Ziele des Pariser Übereinkommens ausgerichtet ist. Es bewegte sich zwar einiges seit früheren Analysen, aber der Weg zur Kompatibilität mit unter 2,0°C ist noch lang. Um auf internationaler Ebene nicht ins Hintertreffen zu geraten, müssen die Finanzinstitute ihre Ziele auf konkrete und messbare Zielpfade herunterbrechen.

Vor kurzem haben die ersten Finanzinstitute ihre Klimaziele als wissenschafts-basiert zertifizieren lassen. Kein Schweizer Institut war darunter.

«Nachhaltigkeit bedeutet mehr als das E von ESG»

Das Klima erhält aktuell viel Aufmerksamkeit. Das ist richtig so. Nachhaltigkeit ist aber mehr als CO2-Emissionen. Die Probleme des Biodiversitäts-Verlusts werden spürbar. Seit 1970 sind beispielsweise die Populationen von Tieren auf der Welt im Durchschnitt 70 Prozent zurückgegangen, was extrem besorgniserregend ist. Wie dies mit dem Finanzsystem zusammenhängt, wird beispielsweise im wegweisenden Dasgupta Review beleuchtet.

«Grün» zu sein, geht über das Klima hinaus, und Nachhaltigkeit bedeutet mehr als das E von ESG. Die bedeutende Rolle des Finanzplatzes wird längst nicht mehr nur mit Klimaschutz in Verbindung gebracht. Es ist tatsächlich eine grosse Herausforderung, die 17 UN-Nachhaltigkeitsziele (SDG, Sustainable Development Goals) zu erfassen und noch eine viel grössere, diese allesamt zu erfüllen.

«Die Schweiz ist mit Hochschulen ein wahrer Technologie- und Innovations-Hub»

Es ist aber der falsche Ansatz, daher nur einzelne Ziele herauszupicken und über die anderen zu schweigen. Es muss um das grosse Ganze gehen und nicht um die Profilierung bei einem einzelnen SDG.

Die Schweiz ist mit ihren Universitäten und Hochschulen ein wahrer Technologie- und Innovations-Hub, und zwar auch im globalen Vergleich. Dies ist zentral für die Transition zu einem nachhaltigen Finanzplatz. Schliesslich geht es dabei vor allem um Datenbeschaffung, -aufbereitung und letztlich um die intelligente und vorausschauende Analyse.

Um Klima-, Biodiversitäts- oder Genderrisiken einzuschätzen braucht es diverse, interdisziplinäre Teams. Der Finanzplatz kann mit ambitionierten Zielen Anreize setzen, sodass technologie-affine Firmen, innovative Projekte für eine nachhaltige Wirtschaft entwickeln, umsetzen und erfolgreich auf den Markt bringen können. Man wird dabei als Auftrag- und Arbeitgeberin mit WWF oder Google konkurrieren müssen.

«Die Schweizer Finanzbranche kann erst auf den letzten Zugwagen aufspringen»

Die Digitalisierung der Finanzgeschäfte ist enorm herausfordernd, aber eine Notwendigkeit für vorausschauende Unternehmen. Es geht darum die Brücke zu schlagen zwischen dem Wunsch nach mehr Nachhaltigkeit und Mitsprache mittels Transparenz und digitaler Verfügbarkeit.

Eine zentrale Aufgabe des Finanzsektors liegt in der Sichtung und Bewertung von Risiken – traditionell über Finanzzahlen, Unternehmensprognosen, aber auch zu Cyber-Security, usw. Im Klimabereich führt dieser Risikoansatz aus der Finanzindustrie dazu, dass mehr Unternehmen ihre CO2-Bilanz offenlegen, und genau darauf setzt auch die EU Green Taxonomy. Damit die Anlegerinnen und Anleger mehr Transparenz zu breiter gefassten Nachhaltigkeits-Kriterien haben könnten Finanzinstitute eine aktive Vorreiterrolle als Übersetzerin und Informantin einnehmen.

Vorausschauend gilt also auch für das eigene Geschäft: Die Finanzbranche kann erst auf den letzten Zugwagen aufspringen oder bereits jetzt aktiv den Aufbau der notwendigen Infrastruktur mitgestalten. (Ich würde zweiteres wählen.)


Anna Stünzi studierte Psychologie und Wirtschaftswissenschaften an den Universitäten Zürich und Kopenhagen und promovierte am Center for Economic Research der ETH Zürich. Sie arbeitet aktuell als Postdoctoral Fellow an der Universität St. Gallen, hat eine Affiliation am Potsdam Institut für Klimafolgen-Forschung (PIK) und doziert an der Universität St. Gallen und der ETH Zürich. Weiter ist sie Mitglied des Verwaltungsrats der Descartes Finance, Mitglied der Geschäftsleitung der GOE mbH und Präsidentin von foraus, dem Schweizer Think Tank für Aussenpolitik. 2017 hat sie bei foraus das Projekt Sustainable FinTech mitgegründet und aufgebaut.


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Welche Schweizer Privatbank bietet an der Börse nun das grösste Potenzial?
Welche Schweizer Privatbank bietet an der Börse nun das grösste Potenzial?
  • Julius Bär, weil der Kurs seit dem Signa-Debakel genügend gesunken ist.
    20.37%
  • Vontobel, weil das Unternehmen 2024 die Wende im Asset Management schaffen wird.
    8.8%
  • EFG International, weil die Bank keinerlei interne Probleme bekundet und stark wächst.
    14.85%
  • UBS, weil die Grossbank auch als Privatbank enormes Potenzial bietet.
    46.35%
  • Banque Cantonale Vaudoise, weil sie unter den Kantonalbanken ein grosses Private Banking anbietet.
    9.64%
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