Die UN-Klimakonferenz COP26 geht zu Ende. Wurde sie den Erwartungen gerecht oder überwiegt die Enttäuschung über verpasste Chancen? Thomas Höhne-Sparborth zieht auf finews.first eine erste Bilanz.


In dieser Rubrik nehmen Autorinnen und Autoren Stellung zu Wirtschafts- und Finanzthemen


Im Vorfeld bestand die Hoffnung, dass neue Zusagen die Erderwärmung bis zum Ende des Jahrhunderts auf weniger als 1,5 °C begrenzen würden. Dieses Ziel bleibt, wie es der Generalsekretär der Vereinten Nationen, António Guterres, formulierte «am Leben». Zum Abschluss der Konferenz streben Länder wie China und Indien ein Netto-Null-Ziel erst für die Jahre 2060 und 2070 an, 10 Prozent der weltweiten Emissionen sind noch immer nicht durch ein Netto-Null-Ziel abgedeckt, und die enorme Finanzierungslücke für die Entwicklungsländer ist noch nicht vollständig geschlossen.

Doch es besteht auch Grund zum Optimismus. Die Internationale Energieagentur (IEA) schätzt, dass neue Zusagen ausreichen würden, um die Erwärmung auf 1,8° Celsious zu begrenzen, womit dieser Wert zum ersten Mal unter die 2°-Celsius-Schwelle des Pariser Abkommens fallen würde.

Natürlich setzt dies voraus, dass alle Regierungsziele erreicht werden, was unwahrscheinlich sein dürfte. Letztlich ist die Politik jedoch nur eine der Kräfte, die die Welt in Richtung Netto-Nullwachstum treiben werden. Mit der regulatorischen Unterstützung steigen auch die Investitionen in grüne Technologien, was zu Innovationen, verbesserter Wettbewerbsfähigkeit und Grössenvorteilen führt. In dem Masse wie die Kosten sinken, wird der Fahrplan zum Netto-Nullpunkt klarer, was es den Staaten ermöglicht, ambitionierter zu werden.

«Südafrika erhält im Rahmen einer erstmaligen Vereinbarung 8,5 Milliarden Dollar»

Zu Beginn der COP26 machte Boris Johnson mit seinem Mantra «Kohle, Geld, Autos und Bäume» deutlich, welche vier Prioritäten er bei der Konferenz verfolgt. Der Ausstieg aus der Kohle wird nach wie vor als der unmittelbarste Meilenstein auf dem Weg zu einer saubereren Wirtschaft angesehen.

Auf der Konferenz haben sich mehr als 40 Länder verpflichtet, bis zu den 2030er-Jahren aus der Kohle auszusteigen, Ärmere Ländern sollen bis 2040 Zeit haben. Wenn das nicht geht, dann so schnell wie möglich nach 2040. Abgesehen von diesem schon fast selbstzerstörerischen Vorbehalt haben auch die wichtigsten Kohleverbraucher wie die USA, China, Indien und Australien nicht unterzeichnet.

Doch auch hier gibt es Gründe optimistisch in die Zukunft zu blicken. Noch während der letzten US-Regierung meldete eine Reihe amerikanischer Kohlekraftwerke Konkurs an, da sich sauberere Energieformen durchgesetzt haben. In China wird damit gerechnet, dass die erneuerbaren Energien bis Mitte dieses Jahrzehnts mit der Kohlekraft konkurrieren können. Und Südafrika erhält im Rahmen einer erstmaligen Vereinbarung 8,5 Milliarden Dollar, um aus der Kohlegeschäft auszusteigen. Eine kostspielige Sache, aber vielleicht ein Weg zu ähnlichen Vereinbarungen in der Zukunft.

«Wie anderen Schlüsseltechnologien wird der Übergang durch Innovation vorangetrieben»

Geld wird in jedem Fall ein kritischer Faktor bleiben. Bereits 2009 verpflichteten sich die reicheren Staaten, die Entwicklungsländer bis 2020 mit jährlich 100 Milliarden Dollar bei der Bewältigung der klimatischen Herausforderungen zu unterstützen. Die afrikanischen Länder sind der Ansicht, dass dieser Betrag noch weiter aufgestockt werden muss, und zwar auf 1,3 Billionen Dollar pro Jahr bis 2030.

Doch selbst diese Zahlen stellen nur einen Bruchteil des gesamten Investitionsbedarfs dar. Die IEA schätzt, dass allein für das Energiesystem bis 2030 Investitionen in Höhe von rund 5 Billionen Dollar pro Jahr erforderlich sein werden. Die Strategie-Beratungsfirma McKinsey kommt zum Schluss, dass sich die Gesamtsumme, einschliesslich der Investitionen in Landnutzungssysteme, auf 9,2 Billionen Dollar pro Jahr belaufen werden. Diese Summen sind zwar enorm, aber wenn man die Effizienzeinsparungen und die vermiedenen Umweltschäden berücksichtigt, rentieren sich solche Investitionen.

Wie bei Autos und anderen Schlüsseltechnologien wird der Übergang durch Innovation vorangetrieben werden. Die Breakthrough-Agenda der COP26 hat fünf Schwerpunktbereiche identifiziert, darunter saubere Energie, emissionsfreie Fahrzeuge, Stahl mit nahezu Null Emissionen, kohlenstoffarmer Wasserstoff und nachhaltige Landwirtschaft. Dank dieser Agenda sollen öffentliche und private Investitionen in diese Technologien gelenkt werden, um sie attraktiver und erschwinglicher zu machen.

«Diese Erkenntnis hat ausserordentlich wichtige Auswirkungen auf die Finanzbranche»

Bäume schliesslich bleiben das Aushängeschild des Übergangs. Als naturbasierte Form der Kohlenstoffbindung kann eine verbesserte Waldbewirtschaftung eine der kosteneffizientesten Strategien zur Umkehrung des Klimawandels darstellen. Auf der COP26 verpflichteten sich mehr als 100 Staats- und Regierungschefs, die Entwaldung bis 2030 zu beenden und umzukehren. Parallel dazu haben sich 30 Finanzinstitute verpflichtet, die Abholzung in allen Anlageportfolios bis 2025 durch verstärktes Engagement und Stewardship zu stoppen.

Für Aufsehen sorgten die 130 Billionen Dollar an Vermögenswerten, die im Rahmen der Glasgow Financial Alliance for Net Zero (GFANZ) unter dem Vorsitz von Mark Carney zugesagt wurden. Nicht überraschend warf die Zahl auch Fragen auf. So enthält sie mit grösserer Sicherheit erhebliche Doppelzählungen. Zudem geht es hier um Finanzanlagen, deren Eigentümer und Verwalter den Ehrgeiz haben, auf die Dekarbonisierung der zugrundeliegenden Anlagen hinzuarbeiten (eine Schlüsselpriorität des Übergangs). Sie sind nicht gleichbedeutend mit neuem Kapital für grüne Lösungen (die andere Schlüsselpriorität).

Laut unseren Schätzungen befinden sich bis November 2021 nur 25 Prozent der Large Caps auf einem glaubwürdigen Weg zur Anpassung an ein Szenario, das die Erwärmung unter 2° Celsius hält. Die Festlegung eines Netto-Null-Ziels an sich ist nicht notwendigerweise gleichbedeutend mit einem glaubwürdigen Plan für die Umsetzung. Wir schätzen, dass nur 6 Prozent der Large Caps heute bereits darauf ausgerichtet sind, die Erwärmung unter 1,5° Celsius zu halten.

Diese Erkenntnis hat wichtige Auswirkungen auf die Finanzbranche. Da nur ein Bruchteil des investierbaren Vermögens heute bereits auf Netto-Null ausgerichtet ist, besteht die Herausforderung weniger darin, das gesamte nachhaltig orientierte Kapital der Welt in diesen Teil der Wirtschaft zu investieren, sondern vielmehr darin, den verbleibenden Teil der Wirtschaft in Einklang zu bringen - und genau hier kann die GFANZ-Allianz potenziell etwas bewirken.

«Diese Erkenntnis muss sich durchsetzen, um den Wettlauf zum Netto-Nullpunkt in Gang zu bringen»

Das verbleibende Kohlenstoffbudget, das es uns erlauben würde, das 1,5°-Celsius-Ziel in Sichtweite zu halten, wird schnell aufgebraucht sein. Die neuen Zusagen, die auf der COP26 gemacht wurden, bringen uns zwar näher, aber die Lücke bleibt gross.

Doch vielleicht ist der dringendere Meilenstein nicht die Kohlenstoffneutralität, sondern die Kohlenstoffmentalität. Die Dekarbonisierung wird seit Jahrzehnten von Regierungen und Skeptikern gleichermassen als Nettokosten betrachtet. Berücksichtigt man jedoch die effektiven Kosten, die unser derzeitiges Wirtschaftsmodell nicht nur für die Umwelt, sondern auch für die Gesellschaft und die Wirtschaft selbst verursacht, müssen Investitionen in die Dekarbonisierung als Nettogewinn betrachtet werden, der eine positive wirtschaftliche Rendite abwirft.

Diese Erkenntnis muss sich durchsetzen, um den Wettlauf zum Netto-Nullpunkt in Gang zu bringen. Ein Vergleich mit dem Wettlauf in der Raumfahrt im 20. Jahrhundert, der eine noch nie dagewesene Periode der Innovation und des wirtschaftlichen Wettbewerbs mit sich brachte, ist angebracht. Während die Regierungen heute vielleicht noch zögern, können umweltfreundlichere Produktionsformen zu echten Wettbewerbsvorteilen führen. In diesem Fall wird sich der Wettlauf zum Netto-Nullpunkt intensivieren.


Thomas Höhne-Sparborth ist Leiter Sustainability Research bei Lombard Odier.


Bisherige Texte von: Rudi BogniRolf BanzWerner VogtWalter WittmannAlfred Mettler, Robert HolzachCraig MurrayDavid ZollingerArthur BolligerBeat KappelerChris RoweStefan GerlachMarc Lussy, Nuno FernandesRichard EggerDieter RuloffMarco BargelSteve HankeUrs Schoettli, Maurice PedergnanaStefan Kreuzkamp, Oliver BussmannMichael BenzAlbert Steck, Martin DahindenThomas FedierAlfred MettlerBrigitte Strebel, Mirjam Staub-Bisang, Kim IskyanStephen DoverDenise Kenyon-RouvinezChristian DreyerKinan Khadam-Al-JameRobert HemmiAnton AffentrangerYves Mirabaud, Hans-Martin KrausGérard Guerdat, Mario BassiStephen ThariyanDan SteinbockRino BoriniBert FlossbachMichael HasenstabGuido SchillingWerner E. RutschDorte Bech VizardAdriano B. Lucatelli, Maya BhandariJean TiroleHans Jakob RothMarco Martinelli, Thomas Sutter, Tom King, Werner PeyerThomas KupferPeter Kurer, Arturo Bris, Frédéric Papp, James Syme, Dennis Larsen, Bernd Kramer, Marionna Wegenstein, Armin JansNicolas Roth, Hans Ulrich Jost, Patrick Hunger, Fabrizio QuirighettiClaire Shaw, Peter FanconiAlex Wolf, Dan Steinbock, Patrick Scheurle, Sandro Occhilupo, Will Ballard, Nicholas Yeo, Claude-Alain Margelisch, Jean-François Hirschel, Jens Pongratz, Samuel Gerber, Philipp Weckherlin, Anne Richards, Antoni Trenchev, Benoit Barbereau, Pascal R. Bersier, Shaul Lifshitz, Ana Botín, Martin Gilbert, Jesper Koll, Ingo Rauser, Carlo Capaul, Markus Winkler, Konrad Hummler, Thomas Steinemann, Christina Böck, Guillaume Compeyron, Miro Zivkovic, Alexander F. Wagner, Eric Heymann, Christoph Sax, Felix Brem, Jochen Möbert, Jacques-Aurélien Marcireau, Ursula Finsterwald, Claudia Kraaz, Michel Longhini, Stefan Blum, Nicolas Ramelet, Søren Bjønness, Andreas Britt, Gilles Prince, Shanu Hinduja, Salman Ahmed, Stéphane Monier, Peter van der Welle, Ken Orchard, Christian Gast, Jürgen Braunstein, Jeffrey Vögeli, Fiona Frick, Stefan Schneider, Matthias Hunn, Andreas Vetsch, Mark Hawtin, Fabiana Fedeli, Marionna Wegenstein, Kim Fournais, Carole Millet, Swetha Ramachandran, Brigitte Kaps, Thomas Stucki, Neil Shearing, Claude Baumann, Tom Naratil, Oliver Berger, Robert Sharps, Tobias Müller, Florian Wicki, Jean Keller, Niels Lan Doky, Karin M. Klossek, Ralph Ebert, Johnny El Hachem, Judith Basad, Katharina Bart, Thorsten Polleit, Bernardo Brunschwiler, Peter Schmid, Karam Hinduja, Zsolt Kohalmi, Raphaël Surber, Santosh Brivio, Mark Urquhart, Olivier Kessler, Bruno Capone, Peter Hody, Andrew Isbester, Florin Baeriswyl, Agniszka Walorska, Thomas Müller, Ebrahim Attarzadeh, Marcel Hostettler, Hui Zhang, Michael Bornhäusser, Reto Jauch, Angela Agostini, Guy de Blonay, Tatjana Greil Castro, Jean-Baptiste Berthon, Dietrich Grönemeyer, Mobeen Tahir, Didier Saint-Georges, Serge Tabachnik, Rolando Grandi, Vega Ibanez, Beat Wittmann, David Folkerts-Landau, Andreas Ita, Teodoro Cocca, Michael Welti, Mihkel Vitsur, Fabrizio Pagani, Roman Balzan, Todd Saligman, Christian Kälin, Stuart Dunbar, Fernando Fernández, Lars Jaeger, Carina Schaurte, Birte Orth-Freese, Gun Woo, Lamara von Albertini, Philip Adler, Ramon Vogt, Gérard Piasko, Andrea Hoffmann, Niccolò Garzelli, Darren Williams, Benjamin Böhner, Mike Judith, Grégoire Bordier, Jared Cook, Henk Grootveld, Roman Gaus, Nicolas Faller, Anna Stünzi und Philipp Kaupke.

War die Übernahme der Credit Suisse durch die UBS rückblickend gesehen die beste Lösung?
War die Übernahme der Credit Suisse durch die UBS rückblickend gesehen die beste Lösung?
  • Ja, es gab keine andere, wirtschaftlich sinnvolle Alternative.
    26.65%
  • Nein, man hätte die Credit Suisse abwickeln sollen.
    18.49%
  • Nein, der Bund hätte die Credit Suisse übernehmen sollen.
    28.27%
  • Man hätte auch ausländische Banken als Käufer zulassen sollen.
    9.16%
  • Man hätte eine Lösung mit Schweizer Investoren suchen sollen.
    17.43%
pixel