In unserer nüchternen Alltagswelt des Geldverdienens verirren wir uns gelegentlich in eine Traumwelt, in der das Vermögen für uns verdient wird. Dies hat uns in historische Finanzfantasien geführt, wie die Südseeblase, den holländischen Tulpenwahn, oder den Goldrausch und den Internetwahn, schreibt George Muzinich in seinem Essay für finew.first.


In dieser Rubrik nehmen Autorinnen und Autoren Stellung zu Wirtschafts- und Finanzthemen.


Vor über einem Jahrzehnt begaben wir uns auf eine moderne Version der Suche nach El Dorado, einer mythischen Welt des Überflusses, einer virtuellen Welt voller Möglichkeiten. Es war eine Reise wie kaum eine andere. Sie begann sehr bescheiden. Sie entstand aus dem finanziellen Chaos der grossen Rezession von 2008.

Doch schon bald machten sich die mächtigen Kräfte der monetären und fiskalischen Stimulierung bemerkbar und trieben uns in immer schwindelerregenderem Tempo voran. Die Aktienmärkte stiegen, die Anleihemärkte kletterten, wir wurden reich. Der Wind wehte uns im Nacken. Natürlich gab es auch Sturmböen (die europäische Bankenkrise, die Energiekrise, die Brexit-Krise, die Covid-Krise), aber in all dem trieben uns immer niedrigere Zinssätze vorwärts.

«Was für eine glorreiche Zeit, um dem Regenbogen des Risikokapitals zu folgen»

Es war eine Reise, die uns Einblicke in ein magisches Reich namens WeWork gab (das laut einer Investmentbank 90 Milliarden Dollar wert war). Es wurden prächtige Elektrofahrzeuge gesichtet, die geräuschlos auf Bewertungswolken schwebten, wie man sie noch nie gesehen hatte. Es gab Schöpfungen wie Nikola, ein LKW-Unternehmen, das ohne Motor mit Bewertungen in Milliardenhöhe dahinrollte. Es gab SPACS in Hülle und Fülle, Sternschnuppen, die in ihrem zeitweiligen Schimmer von Lametta-Reichtum prächtig anzusehen waren.

Was für eine glorreiche Zeit, um dem Regenbogen des Risikokapitals zu folgen. Steuerliche und monetäre Winde trieben uns auf unserer Reise zu unermesslichem Reichtum immer weiter voran. Wir hatten eine Vision des paradiesischen Geldes und nannten es Kryptowährung. Der Regenbogen war zum Greifen nah.

«Plötzlich schienen die Annahmen von vor ein paar Monaten nicht mehr relevant zu sein»

Vor einem Jahr, im Januar 2022, begann unsere finanzielle Reise in ein Meta-Universum, die Richtung zu ändern. Der Aktienmarkt hörte auf zu steigen, die Zinssätze zogen an, die Anleihekurse sanken, und unerwartet wurde die Inflation zu einem Thema der Sorge. Wachstumswerte gerieten unter Druck und Risikokapitalprognosen wurden in Frage gestellt.

Plötzlich schienen die Annahmen von vor ein paar Monaten nicht mehr relevant zu sein. Immer mehr Finanzexperten begannen, über Gewinne, Cashflows und Kurs-Gewinn-Verhältnisse zu sprechen. Es war schwer zu glauben und schwer zu verdauen für so viele, die darauf programmiert waren, bei Kursrückgängen zu kaufen. Die Privatanleger waren weiterhin optimistisch und kauften 2022 US-Aktien im Wert von rund 100 Milliarden Dollar.

«Wir müssen verstehen, dass wir uns in einer Zeit der grossen Unvorhersehbarkeit befinden»

Im vergangenen Jahr kam es sowohl an den Aktien- als auch an den Anleihemärkten zu einer starken Korrektur. Darauf folgte in den letzten Monaten eine Rally, die fast die Hälfte der Anfang 2022 erlittenen Verluste wieder wettmachte. Der Optimismus kehrte zurück, als wir die beruhigende Nachricht erhielten, dass die Inflation ihren Höhepunkt erreicht haben, dass eine Rezession vermieden werden und dass die US-Notenbank ihre restriktive Politik mässigen könnte.

Es ist unmöglich, kurzfristige Marktentwicklungen vorherzusagen. Aber wir müssen verstehen, dass wir uns in einer Zeit des Umbruchs, des Wandels und der grossen Unvorhersehbarkeit befinden. Mehr als ein Jahrzehnt mit niedrigen Inflationsraten und Zinssätzen ist zu Ende gegangen. Unsere Welt der immer stärkeren globalen Verflechtung, die durch reibungslos funktionierende internationale Lieferketten miteinander verbunden ist, verändert sich.

Onshoring oder Nearshoring werden in Zukunft eine viel grössere Rolle spielen und zu höheren Basispreisen führen. Unsere Energielandschaft wandelt sich aufgrund der sich verändernden politischen Prioritäten und des Klimawandels und wird zu höheren Energiekosten führen. Unser zunehmender gesellschaftspolitischer Schwerpunkt auf weniger Ungleichheit wird zu höheren Mindestlohnstrukturen führen, die wiederum höhere Preise zur Folge haben werden. Der Kampf des letzten Jahrzehnts, die Disinflation zu bekämpfen und die Inflation auf ein Ziel von 2 Prozent anzuheben, wird sich nun in einen Kampf um die Kontrolle der Inflation und ihre Senkung auf 2 Prozent verwandeln.

«Die Märkte werden einige Zeit brauchen, um sich an die neue Realität anzupassen»

Wir müssen diese Übergangsphase mit Vor- und Umsicht angehen. Unser Investitionsverhalten muss sich an die neuen Gegebenheiten anpassen. Die Märkte werden einige Zeit brauchen, um sich an die neue Realität anzupassen. Es scheint noch zu früh, um zu den Strategien von gestern mit Wachstumsaktien und Staatsanleihen mit längeren Laufzeiten zurückzukehren. Wir müssen besonders auf das Durationsrisiko achten, da eine höhere zugrunde liegende Inflation die Kaufkraft unserer Portfolios aushöhlen wird. Wir sollten die Duration relativ kurz halten und uns auf Kredite besserer Qualität im BB/BBB-Bereich konzentrieren.

Meiner Meinung nach besteht nur ein geringes Risiko einer signifikanten Spread-Ausweitung. Ich glaube, dass die Ausfallraten relativ niedrig bleiben werden, da sich viele Unternehmen in den letzten Jahren zu sehr günstigen Konditionen refinanzieren konnten. Ich bin der Meinung, dass sich Portfolios mit einem hohen Anteil an variabel verzinslichen und kurzlaufenden Kreditstrategien in dieser Zeit des Übergangs und der Unsicherheit als besonders lohnend erweisen werden.


George Muzinich ist Gründer und exekutiver Verwaltungsratspräsident von Muzinich & Co.


Bisherige Texte von: Rudi BogniRolf BanzWerner VogtWalter WittmannAlfred Mettler, Robert HolzachCraig MurrayDavid ZollingerArthur BolligerBeat KappelerChris RoweStefan GerlachMarc Lussy, Nuno FernandesRichard EggerDieter RuloffMarco BargelSteve HankeUrs Schoettli, Maurice PedergnanaStefan Kreuzkamp, Oliver BussmannMichael BenzAlbert Steck, Martin DahindenThomas FedierAlfred MettlerBrigitte Strebel, Mirjam Staub-Bisang, Kim IskyanStephen DoverDenise Kenyon-RouvinezChristian DreyerKinan Khadam-Al-JameRobert HemmiAnton AffentrangerYves Mirabaud, Hans-Martin KrausGérard Guerdat, Mario BassiStephen ThariyanDan SteinbockRino BoriniBert FlossbachMichael HasenstabGuido SchillingWerner E. RutschDorte Bech VizardAdriano B. Lucatelli, Maya BhandariJean TiroleHans Jakob RothMarco Martinelli, Thomas Sutter, Tom King, Werner PeyerThomas KupferPeter Kurer, Arturo Bris, Frédéric Papp, James Syme, Dennis Larsen, Bernd Kramer, Armin JansNicolas Roth, Hans Ulrich Jost, Patrick Hunger, Fabrizio QuirighettiClaire Shaw, Peter FanconiAlex Wolf, Dan Steinbock, Patrick Scheurle, Sandro Occhilupo, Will Ballard, Nicholas Yeo, Claude-Alain Margelisch, Jean-François Hirschel, Jens Pongratz, Samuel Gerber, Philipp Weckherlin, Anne Richards, Antoni Trenchev, Benoit Barbereau, Pascal R. Bersier, Shaul Lifshitz, Ana Botín, Martin Gilbert, Jesper Koll, Ingo Rauser, Carlo Capaul, Markus Winkler, Konrad Hummler, Thomas Steinemann, Christina Böck, Guillaume Compeyron, Miro Zivkovic, Alexander F. Wagner, Eric Heymann, Christoph Sax, Felix Brem, Jochen Möbert, Jacques-Aurélien Marcireau, Ursula Finsterwald, Michel Longhini, Stefan Blum, Nicolas Ramelet, Søren Bjønness, Gilles Prince, Shanu Hinduja, Salman Ahmed, Peter van der Welle, Ken Orchard, Christian Gast, Jürgen Braunstein, Jeffrey Vögeli, Fiona Frick, Stefan Schneider, Matthias Hunn, Andreas Vetsch, Mark Hawtin, Fabiana Fedeli, Kim Fournais, Carole Millet, Swetha Ramachandran, Thomas Stucki, Neil Shearing, Tom Naratil, Oliver Berger, Robert Sharps, Tobias Müller, Florian Wicki, Jean Keller, Niels Lan Doky, Karin M. Klossek, Johnny El Hachem, Judith Basad, Katharina Bart, Thorsten Polleit, Bernardo Brunschwiler, Peter Schmid, Karam Hinduja, Zsolt Kohalmi, Raphaël Surber, Santosh Brivio, Mark Urquhart, Olivier Kessler, Bruno Capone, Peter Hody, Florin Baeriswyl, Agniszka Walorska, Thomas Müller, Ebrahim Attarzadeh, Marcel Hostettler, Hui Zhang, Reto Jauch, Angela Agostini, Guy de Blonay, Tatjana Greil Castro, Jean-Baptiste Berthon, Dietrich Grönemeyer, Mobeen Tahir, Didier Saint-Georges, Serge Tabachnik, Vega Ibanez, David Folkerts-Landau, Andreas Ita, Michael Welti, Mihkel Vitsur, Roman Balzan, Todd Saligman, Christian Kälin, Stuart Dunbar, Carina Schaurte, Birte Orth-Freese, Gun Woo, Lamara von Albertini, Philip Adler, Ramon Vogt, Andrea Hoffmann, Niccolò Garzelli, Darren Williams, Benjamin Böhner, Mike Judith, Jared Cook, Henk Grootveld, Roman Gaus, Nicolas Faller, Anna Stünzi, Thomas Höhne-Sparborth, Fabrizio Pagani, Ralph Ebert, Guy de Blonay, Jan Boudewijns, Sean Hagerty, Alina Donets, Sébastien Galy, Roman von Ah, Fernando Fernández, Georg von Wyss, Beat Wittmann, Stefan Bannwart, Andreas Britt, Frédéric Leroux, Nick Platjouw, Rolando Grandi, Philipp Kaupke, Gérard Piasko, Brad Slingerlend, Dieter Wermuth, Grégoire Bordier, Thomas Signer, Brigitte Kaps, Gianluca Gerosa, Michael Bornhäusser, Christine Houston, Manuel Romera Robles, Fabian Käslin, Claudia Kraaz, Marco Huwiler, Lukas Zihlmann, Nadège Lesueur-Pène, Sherif Mamdouh, Harald Preissler, Taimur Hyat, Philipp Cottier, Andreas Herrmann, Camille Vial, Marcus Hüttinger, Ralph Ebert, Serge Beck, Alannah Beer, Stéphane Monier, Ashley Semmens, Lars Jaeger, Ha Duong, Claude Baumann, Andrew Isbester, Shanna Strauss-Frank, Teodoro Cocca, Bertrand Binggeli und Marionna Wegenstein.    

Welche Schweizer Privatbank bietet an der Börse nun das grösste Potenzial?
Welche Schweizer Privatbank bietet an der Börse nun das grösste Potenzial?
  • Julius Bär, weil der Kurs seit dem Signa-Debakel genügend gesunken ist.
    20.29%
  • Vontobel, weil das Unternehmen 2024 die Wende im Asset Management schaffen wird.
    8.81%
  • EFG International, weil die Bank keinerlei interne Probleme bekundet und stark wächst.
    14.91%
  • UBS, weil die Grossbank auch als Privatbank enormes Potenzial bietet.
    46.36%
  • Banque Cantonale Vaudoise, weil sie unter den Kantonalbanken ein grosses Private Banking anbietet.
    9.63%
pixel