Die Pandemie, der Ukraine-Krieg und die globale Erwärmung sieht Nicolas Forest als Weckruf für nachhaltig orientierte Anleger. Westliche Demokratien hätten angesichts des vielfachen Versagens von autoritären Regimen an Attraktivität gewonnen, schreibt er in seinem Beitrag auf finews.first.


In dieser Rubrik nehmen Autorinnen und Autoren Stellung zu Wirtschafts- und Finanzthemen.


Neulich sass ich gemütlich auf dem Sofa, schaltete den Fernseher ein und zappte in einen Bericht über die iranische Schauspielerin Golshifteh Farahani. Ich fühlte mich angesichts dieses Leids und solcher Ungerechtigkeit ziemlich hilflos.

Die Islamische Republik Iran wird seit nahezu 43 Jahren von einem autoritären, theokratischen Regime regiert. Mit 88 Millionen Einwohnern und einem Durchschnittsalter von 32 Jahren ist der Iran ein grosses Land mit einer jungen Bevölkerung und historisch guten Bildungs- und Infrastruktursystemen. Leider werden diese Stärken aus der Vergangenheit wie auch die Rechte und Freiheiten des iranischen Volkes von der Regierung mit Füssen getreten.

Laut dem Länder-Nachhaltigkeitsmodell von Candriam (das die Eignung eines Landes im Hinblick auf Kapitalanlagen bewertet) liegt der Iran an der 118. Stelle von 123 Ländern weltweit. Ein miserables Ergebnis, das auf schweres Versagen bei praktisch jeder von uns angewandten Messgrösse hinweist.

«Der Iran zeigt kaum Interesse an Innovation und erneuerbaren Energien»

Menschenrechte und Freiheiten werden regelmässig durch die Staatsgewalt verletzt. Die Führung ist katastrophal und Korruption ist Teil des Systems. Armut, Ungleichheit und Unterdrückung sind weit verbreitet. Die Staatsverschuldung ist in den vergangenen Jahren von durchschnittlich 11,8 Prozent des nominalen BIP beziehungsweise 45 Milliarden Dollar im Zeitraum von 2000 bis 2018 auf 41,5 Prozent des nominalen BIP beziehungsweise 591 Milliarden Dollar im Jahr 2021 gestiegen.

Die Umweltprobleme haben sich um ein Vielfaches verschärft, was sich in extremer Luftverschmutzung, Wüstenbildung, weit verbreiteten Dürren und Verlust der Biodiversität widerspiegelt. Das Land verfügt über eine bedeutende Produktion fossiler Brennstoffe, doch der Iran zeigt kaum Interesse an Innovation und erneuerbaren Energien.

Alle genannten Faktoren, die ESG-Kriterien mit Füssen treten, verhindern Investitionen globaler, nachhaltiger Anleger im Land, unabhängig von der Tatsache, dass gegenüber dem unterdrückerischen Regime des Iran von globalen Organisationen umfassende Sanktionen verhängt wurden. Die Entscheidung von ausländischen Investoren, nicht zu investieren und nicht dieses Regime zu unterstützen, ist vor dem Hintergrund von Hinrichtungen, Vergewaltigung und Folter im Land verständlich. Doch die Aufgabe eines verantwortungsbewussten Investors sollte es sein, dazu beizutragen, autoritäre und freiheitsfeindliche Regimes nicht zu finanzieren und nicht zu unterstützen.
Populistische Regierungen stecken zurück

«Die Zahl regierender Populisten hat ihren niedrigsten Stand seit zwanzig Jahren erreicht»

Es gibt indes Grund für Optimismus. Obwohl populistische Regierungen in den letzten Jahren auf dem Vormarsch waren und die tradierten liberal-demokratischen Werte teils vehement hinterfragt wurden, dürfte sich das Blatt im Jahr 2022 gewendet haben. Laut Tony Blair-Institut hat die Zahl regierender Populisten ihren niedrigsten Stand seit zwanzig Jahren erreicht, vor allem in Südamerika, wo viele Mitte-Links-Regierungen die Macht übernommen haben.

Ebenso haben die Ergebnisse der Zwischenwahlen in den USA im November 2022 gezeigt, dass die Kritik an Donald Trump gewachsen ist und viele von Trump unterstützte Kandidaten der Republikaner bei den Midterms scheiterten.

Ist folglich davon auszugehen, dass diese Entwicklungen auf einen strukturellen Wandel hin zu einem grösseren Stellenwert des «S» in ESG hindeuten? Beginnen die Wähler wieder, die Vorzüge einer liberalen Demokratie schätzen zu lernen? Tatsächlich könnten drei grosse, global relevante Themen einen solchen Trend stützen.

«Drei Gründe, warum Demokratien besser dastehen»

Erstens: Der Krieg in der Ukraine. Der erste Jahrestag des Konflikts macht die tödlichen Folgen einer autoritären Herrschaft deutlich. Vor dem Krieg gab es viele, die Russlands Wirtschaft angesichts der starken makroökonomischen Fundamentaldaten des Landes als gutes Investitionsziel ansahen.

Die Warnungen und Führungsprobleme, die von vielen Anlegern ignoriert wurden, haben sich nun als richtig erwiesen. Es war die richtige Entscheidung, nicht in Russland zu investieren, wenn man an die Sanktionen denkt, die dem Land nun auferlegt worden sind. Dies ist ein Beleg dafür, dass reine Finanzanalysen ohne ESG-Faktoren Risiken nicht adäquat bewerten. Anleger sollten aus dem Krieg in der Ukraine lernen. Die Kreislaufwirtschaft ist nicht nur eine neue Etappe auf dem Weg zu einer nachhaltigen Entwicklung. Sie ist nichts weniger als ein Paradigmenwechsel.

Zweitens: Die Covid-Krise. Nach der anfänglichen Panik und den vielen Ungewissheiten hat die Pandemie eindeutig die Vorteile einer guten Regierungsführung, von Zusammenarbeit und Transparenz gezeigt. Die Null-Covid-Politik und die anschliessende abrupte Kehrtwende der kommunistischen Partei Chinas haben trotz ihrer vielleicht besten Absichten nur dazu gedient, ihre mangelnde Achtung der Menschen- und Bürgerrechte zu verdeutlichen – mit der tragischen Konsequenz von schliesslich Millionen von Todesfällen.

«Kein gesellschaftliches System war in der Pandemie frei von Fehlern und Schwächen, aber...»

Die Diskussion über den richtigen Ansatz haben die demokratischen Länder für sich entschieden. Sie liessen so schnell wie möglich ihre Bevölkerung impfen und debattierten offen die Gefahren einer lang anhaltenden Einschränkung der bürgerlichen Freiheiten. Kein gesellschaftliches System war in der Pandemie frei von Fehlern und Schwächen, aber die liberalen Demokratien haben sich gegenüber den populistischen und autoritären Regimen als stärker erwiesen. Vielerorts haben die Menschen den liberaldemokratischen Ansatz wieder zu schätzen gelernt.

Drittens: Die globale Erwärmung und die steigende Zahl extremer Klimaereignisse. Vor nicht allzu langer Zeit haben einige Regierungen das globale Phänomen noch abgestritten, doch nun bekommt die Natur die Oberhand. In Europa waren die letzten sieben Jahre die heissesten je gemessenen Jahre (Quelle: Copernicus Climate Change Service). Laut einem Bericht der US-Bundesregierung verursachten im Jahr 2022 schwere Wetterkatastrophen in den Vereinigten Staaten Schäden in Höhe von 165 Milliarden Dollar – die höchste jemals verzeichnete Jahressumme.

Alle Regierungen rund um die Welt werden mit den Herausforderungen des Klimawandels konfrontiert sein, der gewaltige Auswirkungen auf die nachhaltige Verschuldung einzelner Länder haben wird. Volkswirtschaften, die den Klimawandel ignorieren, werden für Investitionen inakzeptabel werden.

«Diese Werte müssen verteidigt werden»

Lange Zeit waren humanitäre Werte ein gefundenes Fressen für autoritäre Regimes. Diese Werte werden inzwischen als «westliches Streben nach Weltherrschaft» kritisiert. Doch sie müssen verteidigt werden. Nicht nur, weil es sich um einen uneigennützigen Einsatz handelt, sondern auch, weil es für Sie als Investor eine Herausforderung für die Zukunft ist.

Wird eine Regierung, die einen Krieg vom Zaun bricht, die Rechte ihrer Bürger mit Füssen tritt und der globalen Erderwärmung keine Beachtung schenkt, ihre Schulden an die internationalen Gläubiger zurückzahlen? Alle Anzeichen und die jüngsten Entwicklungen sprechen dafür, dass das nicht der Fall sein wird. Wenn alle Anleger anfangen würden, ihre Investitionen mit entsprechender Umsicht zu tätigen, könnten liberale Demokratien, gestützt durch universelle Werte, weiterhin die Oberhand behalten und sogar an Attraktivität gewinnen.


Nicolas Forest ist seit 2013 Global Head of Fixed Income bei Candriam und seit 2016 Mitglied des Executive Committee. Er ist verantwortlich für die Fixed-Income-Strategie und die Global Bond Funds sowie Co-Fondsmanager der Total Return Funds. Er unterrichtet ausserdem «Fixed Income» an der Universität Paris Dauphine. E begann seine Karriere 2003 als Assistant Structured Products Manager bei CDC-Ixis, bevor er 2004 als Money Market Fund Manager zu Candriam kam. Im Jahr 2008 wurde er zum Head of Rates Strategy ernannt. Er hat einen Master-Abschluss in Wirtschaft und Finanzen von der Universität Sorbonne in Paris und einen Bachelor-Abschluss in Philosophie von derselben Hochschule.


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Welche Schweizer Privatbank bietet an der Börse nun das grösste Potenzial?
Welche Schweizer Privatbank bietet an der Börse nun das grösste Potenzial?
  • Julius Bär, weil der Kurs seit dem Signa-Debakel genügend gesunken ist.
    20.34%
  • Vontobel, weil das Unternehmen 2024 die Wende im Asset Management schaffen wird.
    8.73%
  • EFG International, weil die Bank keinerlei interne Probleme bekundet und stark wächst.
    14.82%
  • UBS, weil die Grossbank auch als Privatbank enormes Potenzial bietet.
    46.46%
  • Banque Cantonale Vaudoise, weil sie unter den Kantonalbanken ein grosses Private Banking anbietet.
    9.65%
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