Das Quantitative-Easing-Programm der amerikanischen Notenbank ist ausgelaufen. Was hat das für Konsequenzen für die Anleger. Martin Jetzer, Chefökonom und Chefstratege des Zürcher Vermögensverwalters Bellecapital, liefert Antworten.

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Herr Jetzer, derzeit blickt alle Welt nach Griechenland. Dabei endet nun auch das zweite Stimulationspaket der amerikanischen Notenbank (Federal Reserve, Fed). Weitere vergleichbare Aktionen sind nicht geplant. Eher dürften die US-Zinsen steigen. Was ist Ihre Prognose?

Das Ende von Quantitative Easing 2 (QE2) heisst nicht, dass die Zinsen nun gleich steigen werden. Dennoch, das Ende von QE2 bedeutet für die Weltwirtschaft wie für die Weltaktienbörsen ein schwer zu kalkulierendes Risiko, das stärker wiegt als die Schuldenkrise in Südeuropa.

Warum ist das so?

Die USA sind noch immer die führende Wirtschaftsmacht und ihr Finanzmarkt der grösste und liquideste der Welt. Die amerikanische Wirtschaftspolitik wird zudem wohl kompetenter und in der Regel zielgerichteter und entschlossener geführt als die Wirtschaftspolitik in anderen Weltregionen. Kurz: Von den USA gehen wichtige monetäre und wirtschaftliche Impulse aus – das Ende von QE2 muss uns beschäftigen.

Wann drehen die US-Notenbanker an der Zinsschraube?

Das wird kaum vor Ende Jahr sein, eher im 1. Quartal 2012. Der erste Zinsschritt wird nicht überraschend kommen, sondern als dosierte und frühzeitig angekündigte Massnahme.


«Das Anlegerinteresse würde sich verlagern»


Worauf schliessen Sie das?

Auch hier äussert sich der Pragmatismus der Amerikaner. Die Fed will auf keinen Fall die Anleger vergraulen und abrupte Reaktionen provozieren. Kommt hinzu, dass 2012 ein Wahljahr ist. Die US-Notenbank wird sich aller Erfahrung nach eher von der «angenehmen» Seite zeigen, also taktieren. Lieber zu lange zu expansiv bleiben, als zu früh die Geldpolitik verschärfen und einen Konjunktureinbruch riskieren.

Was wären die Konsequenzen einer Zinserhöhung für die Finanzmärkte?

Mehrere: Die Zinskurve würde sich verflachen; der Dollar dürfte erstarken, an den Aktienmärkten käme es unter Umständen vorübergehend zu einer Abkühlung, die Rohstoffpreise, und dazu zähle ich auch das Gold, würden nachgeben. Das Anlegerinteresse dürfte sich dann aus den USA nach Europa verlagern – wobei diese Entwicklung stark von den weiteren Ereignissen in der Eurozone abhängt.

Welche Prognose geben Sie der Konjunktur im nächsten Jahr?

Der Konjunkturaufschwung setzt sich fort, die Inflationsängste bleiben, auch wenn sich die Teuerung auf unbedenklich niedrigem Niveau stabilisieren sollte. Deflation wurde dank QE2 zwar verhindert, bleibt aber ein Risiko. Der Gewinnzyklus ist eher gefährdet als der Konjunkturzyklus, weshalb die Unternehmensgewinne enttäuschen dürften.


«Die Gewinnschätzungen sind hoch»


 Drohen den Anlegern schlechte Zeiten?

Die Gewinnschätzungen sind allgemein zu hoch. 2012 könnte dennoch ein akzeptables Börsenjahr werden angesichts der vielfältigen gravierenden Entwicklungen, welche die Börsen dieses Jahr verdauen müssen – Erholungspotential ist also gegeben. Eine leicht rückläufige Entwicklung erwarte ich erst nach den US-Wahlen im Herbst 2012.

Wie soll sich der Anleger vor diesem Hintergrund positionieren?

Wir sind seit langem US-lastig investiert. Solange die Rendite der zehnjährigen Treasury Bonds nicht über die 4,5-Prozent-Marke geht und sich der Dollar gleichzeitig deutlich aufwertet, bleiben wir dabei.


«Ein Zinsschub wäre für alle schlecht»


Da die Zinsen längerfristig ansteigen dürften und sich das Wirtschaftswachstum in Amerika wie auch in Europa langsamer als üblich dem potentiell möglichen Trendwachstum annähern wird, warnen wir vor Anlagen in ausgesprochen zinssensitiven Branchen wie der Bankbranche.

Welche Titel werden von Zinserhöhung profitieren?

Der kritische Punkt ist nicht der Zinszyklus an sich, sondern die Geschwindigkeit eines möglichen Zinsanstiegs. Ein Zinsschub wäre für alle schlecht. In einem Umfeld konjunkturell gerechtfertigter Zinserhöhungen würden wir konjunktursensitiven Aktien den Vorzug geben. Dazu gehören Papiere beispielsweise von Rohstoff- und Chemieunternehmen, Industrie- und Technologiefirmen sowie diversen Energie- und Infrastrukturlieferanten.


«Schwellenländeraktien empfehlen wir nicht mehr»


Anleger tun allerdings gut daran, bei möglicherweise sprungartigen Kursentwicklungen Gewinne zu realisieren. Denn abrupte Einbrüche sind in diesem Umfeld nie ausgeschlossen.

Wovon lassen Sie die Finger?

Schwellenländeraktien empfehlen wir seit längerem nicht mehr. Wir setzten auf gesunde, westliche Firmen wie BASF oder Holcim, die einen signifikanten Teil ihres Umsatzes in den aufstrebenden Schwellenländern generieren. Zudem rate ich vorläufig von Investments in Small Caps ab.


«Viele Anleger verzichten auf das Filet»


Angesichts der verschiedenen, sich abzeichnenden Veränderungen zeichnen sich Anlagen in grossen, führenden Unternehmen wie Qualcomm, EMC, Weyerhaeuser, ABB, Schneider, Transocean, ConocoPhillips, Novartis durch ein besseres Ertrags- und Risikoprofil aus als kleinere Firmen.

Spüren Sie derzeit unter Anlegern eine grössere Unsicherheit als früher?

Keine Frage! Allerdings sollte sich jeder Investor stets bewusst sein, dass er sich bei seinen Renditeerwartungen dafür entscheiden muss, ob er gut essen oder gut schlafen will, wie ein geflügeltes Wort des amerikanischen Journalisten J. Kenfield Morley aus den schwierigen dreissiger Jahren des 20. Jahrhunderts besagt. Viele Anleger, die im letzten Jahrzehnt gleich zweimal heftig gebrannt wurden, verzichten heute auf das Filet zu Gunsten eines gesunden Schlafs.


Martin_Jetzer_qMartin Jetzer war während 25 Jahren Chief Economist der HSBC Guyerzeller Bank und als deren Chief Investment Officer verantwortlich für die Anlagestrategie, zudem war er während vielen Jahren Mitglied der Geschäftsleitung.

Er war auch Mitbegründer und Herausgeber der führenden Schweizer Finanzmarktpublikation «Finanzmarkt und Portfolio Management» und ist Mitglied verschiedener europäischer und amerikanischen Vereinigungen von Business Economists. Martin Jetzer trägt als Chief Investment Strategist die Verantwortung für den Anlageprozess der Bellecapital.

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