Der Schweizer Wirtschaftswissenschaftler Ernst Baltensperger im Interview zur Zukunft der Eurozone und zur Härte des Franken.

Das Gespräch mit dem Wissenschaftler Ernst Baltensperger führte Bernd Kramer, Wirtschaftsredaktor bei der «Badischen Zeitung».

Ernst_Baltensperger_3

Herr Baltensperger, würden Sie als Schweizer noch Geld in der Eurozone anlegen?

Ich bevorzuge Anlagen in Franken, bin aber auch in Euro-Anlagen investiert. Von diesen werde ich mich vorläufig auch nicht trennen.

Das verwundert. Die Schweizer trauen doch der EU gar nicht.

Ich habe vor allem Bedenken, was die längerfristige Zukunft des Euro anbelangt. Zumindest kurz- und mittelfristig wird die europäische Einheitswährung aber überleben. Höhere Erträge und Wertzuwächse von Anlagen in Euroland können den schwachen Euro mehr als kompensieren, weshalb es nach wie vor auch für einen Schweizer Sinn ergeben kann, Anlagen in Euro zu halten. An der Stärke des Franken wird sich jedoch nichts ändern.

Was macht Sie da so sicher?

Es ist nach wie vor unklar, wie die Europäer aus der Schuldenkrise herausfinden können. Die unterschiedlichsten Vorschläge werden kontrovers diskutiert, doch ein eindeutiger Weg aus der Misere zeichnet sich noch nicht ab. Hinzu kommt: Geld- und Fiskalpolitik wurden in der EU vermischt, als die Europäische Zentralbank begann, Staatsanleihen von Krisenländern zu kaufen.


«Japan ist ein Sonderfall»


Finanziert die Notenbank den Staat, ist die Wahrscheinlichkeit steigender Inflationsraten hoch. Es droht die Gefahr, dass zu viel Geld in den Umlauf kommt. Das zeigt die historische Erfahrung. Ich gehe davon aus, dass das Geld mehr an Wert in der Eurozone verliert als in der Schweiz. All dies zusammen verunsichert die Anleger und spricht gleichzeitig für einen starken Franken.

Der Ökonom Heiner Flassbeck hat jene, die von einer Schuldenkrise sprechen, als Dummköpfe bezeichnet. Er hat Japan angeführt. Trotz hoher Staatsverschuldung ist die japanische Währung Yen stark und die Renditen auf japanische Staatsanleihen sind extrem niedrig.

Flassbeck hat nicht recht. Japan ist ein Sonderfall. Zwar ist die Staatsverschuldung in Japan mit mehr als 200 Prozent des Bruttoinlandsprodukts höher als andernorts, aber die meisten japanischen Staatsanleihen werden von Japanern gehalten. So lange die einheimische Bevölkerung gut mit dieser Belastung leben kann, wird auch nichts passieren. Die griechischen oder irischen Staatsschulden werden im Gegensatz dazu aber zu einem grossen Teil von Ausländern getragen. Das macht die Situation dort grundlegend anders. Das Gleiche gilt übrigens auch für die Vereinigten Staaten.


«Eurobonds sind auf mittlere Sicht das Falsche»


 Jahrelang hat sich niemand über die Staatsschulden von Frankreich, Italien oder Spanien aufgeregt. Jetzt gelten die Länder auf einmal als die nächsten Kandidaten für den europäischen Rettungsfonds. Das versteht niemand.

Es gibt auf den Finanzmärkten durchaus Anzeichen für Übertreibungen. Es ist auch nicht ungewöhnlich, dass sich Staatsschuldenkrisen über Zeit und Raum ausbreiten. Ich bin jedoch der Meinung, dass gerade Frankreich und Italien ihre Probleme mit einem Sparkurs in den Griff bekommen können.

Was muss getan werden, damit das Vertrauen der Anleger in den Euro wieder steigt? Selbst das sehr marktwirtschaftlich orientierte, britische Wirtschaftsmagazin «Economist» empfiehlt Eurobonds als Ausweg aus der Krise – also eine Vergemeinschaftung der Schulden.

Ich bin überzeugt, dass Eurobonds auf mittlere und längere Sicht genau das Falsche sind, um das Vertrauen wiederherzustellen. Kurzfristig würden sie die Situation zwar sicherlich beruhigen, weil die Anleger denken würden, die Probleme seien gelöst. Auf Dauer setzen diese Anleihen jedoch falsche Anreize. Sie würden bewirken, dass die europäische Allgemeinheit für die Schulden jedes einzelnen Landes verantwortlich wäre.


«Es wird keinen europäischen Super-Finanzminister geben»


Die Disziplinierung einzelner Staaten durch den Markt fände dann nicht mehr statt. Anders gesagt: Einzelne Regierungen könnten kräftig die Schulden ihrer Länder erhöhen, ohne dass sie direkt für die Folgen ihrer Politik haftbar gemacht werden können. Das kann auf die Dauer verheerend sein. Am Ende würden auch die Märkte wieder misstrauisch.

Ein europäischer Finanzminister, der die Budgets der Staaten festlegt und kontrolliert, könnte das Schuldenmachen begrenzen und die Währungsunion retten.

Die Europäische Union wird eine Union souveräner Staaten bleiben. Ausdruck dieser Souveränität ist, dass diese Staaten selbst über ihre Einnahmen und Ausgaben entscheiden. Keine Regierung in Europa will davon wirklich abrücken. Auch die Bürger wollen keinen europäischen Super-Finanzminister. Auf demokratischem Weg wäre er nicht zu bekommen.

Eurobonds also funktionieren nicht, einen europäischen Finanzminister wird es wohl nicht geben. Hat die Währungsunion überhaupt noch eine Chance?

Die europäische Währungsunion ist nicht zwangsläufig zum Scheitern verurteilt. Die Menschheit hat schon schwierigere Aufgaben gelöst. Ein drastischer Schuldenschnitt bei Ländern wie Griechenland und eine Stützung derjenigen Banken, die viele Anleihen der Schuldenländer halten, könnten das Vertrauen wieder nachhaltig herstellen.


«Ich bezweifle, dass die Politik eine Stärkung des Finanzsektors will»


Die Kreditinstitute bräuchten das Kapital, weil ein Schuldenschnitt Verluste mit sich bringt und damit das Eigenkapital der Banken verringert. Unter dem Strich käme solch eine Lösung jedoch deutlich billiger als das bisher Vorgeschlagene.

Trotzdem sind Sie skeptisch, was die langfristige Zukunft des Euro anbelangt.

Ich bezweifle, dass die Politik eine massive Stärkung des Finanzsektors und einen drastischen Schuldenschnitt wirklich will. Nach meiner Einschätzung geht es in der Eurozone eher in Richtung Transferunion oder die Vergemeinschaftung von Risiken, siehe die Diskussion um die Eurobonds.


«Eine Transferunion würde Deutschland belasten»


Dies ist für die Politik zumindest kurzfristig der einfachere Weg, weil weniger Widerstand zu befürchten ist. Langfristig wird sich der Druck der Bürger auf die Regierungen jedoch erhöhen, weil eine Transferunion und die Eurobonds insbesondere die ökonomisch starken Länder wie Deutschland belasten. Dann steht die Europäische Union vor einer echten Zerreissprobe.


Ernst_Baltensperger_4Der 69-jährige Ernst Baltensperger ist emeritierter Professor und Spezialist für Geldtheorie und Geldpolitik. Zentral für diese Themen ist die Frage, wie Notenbanken die wirtschaftliche Entwicklung beeinflussen. Baltensperger hat in Zürich und in Baltimore (USA) studiert. Als Professor lehrte er an der Ohio State University, an der Universität Heidelberg, der Universität St. Gallen und der Universität Bern. Von 2007 bis 2009 leitete er das Studienzentrum Gerzensee der Schweizer Nationalbank. Der Ökonom hat zahlreiche Notenbanken beraten.

Das Interview fand beim Zermatter Symposium des Think-Tanks Avenir Suisse statt.

War die Übernahme der Credit Suisse durch die UBS rückblickend gesehen die beste Lösung?
War die Übernahme der Credit Suisse durch die UBS rückblickend gesehen die beste Lösung?
  • Ja, es gab keine andere, wirtschaftlich sinnvolle Alternative.
    26.63%
  • Nein, man hätte die Credit Suisse abwickeln sollen.
    18.47%
  • Nein, der Bund hätte die Credit Suisse übernehmen sollen.
    28.33%
  • Man hätte auch ausländische Banken als Käufer zulassen sollen.
    9.28%
  • Man hätte eine Lösung mit Schweizer Investoren suchen sollen.
    17.29%
pixel