Reto Tarreghetta, GL-Mitglied bei Swisscanto und Leiter Markt Schweiz, über enttäuschte Anleger, neuartige Investment-Strategien und seine Mitarbeiter.

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Herr Tarreghetta, viele Anleger sind verunsichert, weil sich die Märkte schon seit geraumer Zeit höchst volatil entwickeln. Ist das die «neue Normalität»?

Wir durchleben eine Zeit, in der wir uns tatsächlich auf eine «neue Normalität» einlassen müssen. Die Welt ist heute derart vernetzt, dass selbst kleinste Ereignisse irgendwo auf der Welt anderswo einen Einfluss haben können. Die Systemrisiken haben zugenommen. Zudem reagieren die Märkte nervös auf jedes Statement. Das überfordert und lähmt viele Anleger.

Was sind die Triebkräfte für die weitere Marktentwicklung?

Im aktuellen Marktumfeld ist die Analyse der fundamentalen Wirtschaftskennzahlen fast sekundär geworden. Es dominieren die Staatsschuldenkrise und die Währungsturbulenzen. Auch neu sind die vielen politischen Eingriffe, die einen enormen Einfluss auf die Märkte haben – gerade weil sie meist nicht vorhersehbar oder unberechenbar sind.


«Heute sollte man in Szenarien denken»


Denken Sie nur an die jüngsten Entscheide der Schweizerischen Nationalbank bezüglich des Franken, oder an die Verlautbarungen der amerikanischen Notenbank über die weitere Zinsentwicklung. Wer da auf dem falschen Fuss erwischt wird, hat ein gravierendes Problem.

Viele Anleger sind in diesem Jahr aus Anlagefonds ausgestiegen. Ein Paradigmenwechsel?

Das glaube ich nicht. Fonds haben immer noch eine grosse Existenzberechtigung. Sie sind transparent, kosteneffizient und verhelfen zur bestmöglichen Diversifikation. Natürlich verstehe ich die Enttäuschung mancher Anleger, die in den letzten Jahren Buchverluste erlitten oder gar Geld verloren haben. Die zum Investitionszeitpunkt geweckten Renditeerwartungen wurden nicht erfüllt.

Für die meisten Anleger ist es entsprechend schwierig geworden, die richtige Wahl zu treffen.

Richtig. Heute sollte man als Anleger eher in Szenarien denken, als auf eine Anlageklasse oder auf ein Thema zu setzen. Jeder Investor muss sich fragen, wie er beispielsweise den Euro oder Dollar einschätzt, oder was seine Erwartungen bezüglich der Lösung der Verschuldungskrise in der Eurozone sind.


«Die Popularität einzelner Anlageklassen ist sehr zyklisch»


Erst danach soll er seine Anlagen auswählen. Früher hat man sich eher auf eine Anlage-Strategie konzentriert und diese dann langfristig und möglichst ohne Änderung verfolgt. Das ist zu heute vielleicht der grösste Unterschied. Und ja, es ist für den Anleger eindeutig anspruchsvoller geworden.

Ketzerische Frage: Gibt es Alternativen zu Anlegefonds?

Natürlich, es gibt immer zu allem Alternativen. Es ist immer eine Frage der eigenen Bedürfnisse, der Ziele und oft auch des Timings. Die Popularität einzelner Anlageklassen ist sehr zyklisch, wie ein Blick in die Vergangenheit zeigt. Mal sind Schwellenländer-Bonds en vogue, dann Geldmarktprodukte oder Realwerte wie Gold oder Immobilien.


«Wir bieten Indexfonds anstatt ETFs»


Viele Investmentmöglichkeiten sind jedoch lange nicht so transparent und sicher wie Fonds und enthalten oft auch ein Gegenparteirisiko. Ich erinnere an die Strukturierten Produkte mit der US-Investmentbank Lehman Brothers als Gegenpartei.

In den letzten Jahren erlebten vor allem Exchange Trade Funds, so genannte ETFs, einen massiven Aufschwung. Swisscanto war in diesem Segment nie dabei. Warum?

Wir setzen hier auf unsere weiter ausgebaute Palette von Indexfonds. Diese bieten dem Anleger eine transparentere und noch kostengünstigere Art der passiven Anlage, da es bei diesen Produkten weder Courtagen, Spreads zwischen Kauf und Verkauf noch allfällige Swap-Gebühren zu bezahlen gibt. Zudem ist das ETF-Geschäft volumengetrieben und bedarf eines Handels, über den Swisscanto als reiner Asset Manager nicht verfügt.

Welchen Anlagefonds trauen Sie das grösste Durchsetzungsvermögen in der «neuen Normalität» zu?

Ein Anleger kann nicht nur passiv investieren, wenn er einen Mehrwert oder besser eine Mehrrendite erzielen will. Denn um fast risikolos eine attraktive Rendite zu erwirtschaften, sind die Zinsen einfach zu tief – und das wohl noch längere Zeit. Es gibt aber immer wieder Produktinnovationen, die sich nach den neuen Begebenheiten ausrichten.

Konkret?

Ich denke da beispielsweise an regelbasierte Indexfonds oder an volatilitätsgesteuerte Fonds, die ihre Zusammensetzung je nach den Schwankungen an den Märkten ausrichten. Dabei verlassen wir die konventionelle Asset Allocation.

Wie meinen Sie das?

Es wird hier, statt in Bandbreiten der Aktienquote, mit einem Risikobudget gearbeitet. So verändert sich die Gewichtung der einzelnen Anlagekategorien je nach Volatilität, wobei je nach Produkt aber der Aktienanteil beschränkt werden kann. Oder anders gesagt: In einer Phase mit hohen Kursschwankungen werden Anlagekategorien mit hoher Volatilität tendenziell zu Gunsten defensiver Kategorien abgebaut.

Das sind neue Anlagekonzepte?

Genau. Regelbasierte Indexfonds dürften auf Grund der Nachteile kapitalisierungsgewichteter Indizes noch markant an Beliebtheit gewinnen. Genauso wie die dynamische Asset Allocation.


«Regelbasierte Anlagefonds dürften an Beliebtheit gewinnen»


Hier haben wir bereits ein Produkt für private Anleger lanciert, den Swisscanto (LU) Portfolio Fund Dynamic Yield 0-50. Es hat sich zum Beispiel während der Atom-Katastrophe in Fukushima vom März dieses Jahres gezeigt, dass diese Systematik funktioniert. In den turbulenten Märkten rund um das Ereignis hat der Fonds die Risiken stark zurückgefahren.

Über welche Kanäle setzt Swisscanto ihre Fonds ab?

Selbstverständlich sind die Kantonalbanken unsere wichtigsten Vertriebspartner. Dann folgen Drittbanken und unabhängige Vermögensverwalter. Wir arbeiten jedoch nur mit FINMA-regulierten Vermögensverwaltern zusammen.


«Wir stehen im Wettbewerb mit Tausenden von Fonds»


Zudem wird für eine vertragliche Zusammenarbeit aus Aufwand-/Ertragsüberlegungen ein Mindestvolumen benötigt. Wir gehen auf Grund der laufenden Revision des Kapitalanlagegesetzes (KAG) davon aus, dass unter den unabhängigen Vermögensverwaltern eine Konsolidierung stattfinden wird.

Zudem vertreiben wir unsere Anlageprodukte auch in Kollektiv- oder Mandatsform direkt an Vorsorgeeinrichtungen und institutionelle Kunden.

Ist es nicht ein Widerspruch wenn Swisscanto, als Gemeinschaftswerk der Kantonalbanken, Fonds anbietet, und gleichzeitig einzelne Staatsinstitute auch noch Produkte vertreiben?

Von den 24 Kantonalbanken bietet nur gerade eine Handvoll eigene Fonds an, wobei nur zwei oder drei Kantonalbanken wirklich aktiv sind. Die anderen Häuser haben den einen oder anderen Spezial-Fonds, lancieren aber keine neuen Produkte mehr. Das beeinflusst unsere Arbeit nicht. Denn so oder so stehen wir täglich im Wettbewerb mit Tausenden von zugelassenen Fonds.

Die anspruchsvolle Situation an den Märkten erfordert zwangsläufig mehr Kompetenz. Wie ist Swisscanto aufgestellt?

In der Swisscanto-Gruppe arbeiten 390 Personen an verschiedenen Standorten in der Schweiz und im Ausland. Im Sales und Marketing simd 50 Personen tätig. Das reine Sales-Team in der Schweiz umfasst rund 15 Mitarbeitende; gut 40 Portfolio-Manager sind ebenfalls in der Limmatstadt domiziliert, weitere 8 arbeiten in London.


«Gute Vertriebsleute sind immer gefragt»


Unlängst haben wir Geschäftsstellen in Frankfurt am Main sowie in Mailand eröffnet, um den europäischen Markt verstärkt zu bearbeiten. Ausserdem haben wir unsere Präsenz in Luxemburg ausgebaut.

Wie sieht es an der Personalfront aus?

Natürlich wollen wir weiter wachsen, aber im aktuellen Umfeld richtet sich der Blick immer auch auf die damit verbundenen Kosten. Insofern haben wir derzeit im Vertrieb und Marketing keine Vakanzen. Doch es gilt immer: Gute Vertriebsleute sind gefragt. Davon kann man nie genug für das Unternehmen gewinnen.

Wer entspricht Ihrem Anforderungsprofil

Leute, die beispielsweise bei Drittbanken bereits erfolgreich im Vertrieb tätig waren, aber auch ehemalige Portfolio-Manager sowie Analysten oder Fund-Researcher sind von Interesse.


Reto_Tarreghetta_169Reto Tarreghetta, mit Jahrgang 1963, studierte ursprünglich Ingenieurswissenschaften an der ETH Zürich. Er stiess 2006 als Mitglied der Geschäftsleitung zu Swisscanto und ist heute Leiter Markt Schweiz.

Er war zuvor Geschäftsführer des Dienstleistungsunternehmens a-connect (schweiz) ag in Zürich. Davor war er mehrere Jahre bei der Bank Julius Bär als Direktor und Mitglied der Geschäftsleitung der Business Line Private Banking für den Bereich Corporate Services zuständig und führte zudem interimistisch den Bereich Investments, Products & Services.

Vor dem Wechsel zu Julius Bär war er bei der Credit Suisse, als Managing Director für das Product Management des Vertriebskanals Private Banking, auch für die Bereiche Investment Funds und Insurance & Pension Planning verantwortlich. Zu Beginn seiner Berufstätigkeit war er mehrere Jahre für die internationale Unternehmensberatung The Boston Consulting Group tätig.

Welche Schweizer Privatbank bietet an der Börse nun das grösste Potenzial?
Welche Schweizer Privatbank bietet an der Börse nun das grösste Potenzial?
  • Julius Bär, weil der Kurs seit dem Signa-Debakel genügend gesunken ist.
    20.34%
  • Vontobel, weil das Unternehmen 2024 die Wende im Asset Management schaffen wird.
    8.74%
  • EFG International, weil die Bank keinerlei interne Probleme bekundet und stark wächst.
    14.81%
  • UBS, weil die Grossbank auch als Privatbank enormes Potenzial bietet.
    46.46%
  • Banque Cantonale Vaudoise, weil sie unter den Kantonalbanken ein grosses Private Banking anbietet.
    9.66%
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