Dass die Finanzindustrie so oft härtere Gesetze abwenden kann, verdankt sie auch der Unterstützung durch andere Branchen, schreibt Walter Wittmann

WalterWittmann.quadratWalter Wittmann ist emeritierter Professor für Volkswirtschaftslehre an der Universität Freiburg. Unter anderem veröffentlichte er 2007 «Der nächste Crash kommt bestimmt», in dem er die späteren Ereignisse vorwegnahm.

Im Frühjahr 2010 erschien «Staatsbankrott», und soeben veröffentlichte er «Superkrise», ein Sachbuch über die Schwere der laufenden Krise und ihre gesellschaftlichen Folgen.


Die Finanzindustrie hat so gut wie nichts aus dem Desaster seit 2007 gelernt: Sie liess keine Gelegenheit aus, gegen drohende Regulierungen zu polemisieren.

Der Tenor: Diese seien weder angemessen noch nützlich, denn sie würden die Konkurrenzfähigkeit schwächen und sich in jeder Beziehung als kontraproduktiv erweisen. Damit war nicht nur die Finanzbranche, sondern die gesamte Wirtschaft gemeint.

Fakten ausgeblendet

Bewusst wird dabei ausgeblendet, was die Finanzindustrie angerichtet hat: Gigantische Verluste für private und institutionelle Anleger, eine schwere Rezession 2008 und 2009, ein Berg von toxischen Papieren und explodierende Staatsschulden, letztlich um das Finanzsystem vor dem Kollaps zu bewahren.

Die Zentralbanken sahen sich gezwungen, die Geldschleusen zu öffnen und die Notenpresse in Bewegung zu setzen. Sie mussten ausserdem in einem Ausmass toxische Papiere und marode Staatsanleihen aufkaufen, dass sie zu einer riesigen «Mülldeponie» wurden. Dabei büssten sie einerseits Vertrauen ein, andererseits wurden sie in ihrer Funktionsfähigkeit eingeschränkt: Ihre Kapitaldecke schrumpfte.

Branche sponsert politische Parteien

Man darf nicht darüber erstaunt sein, dass es der Finanzbranche immer wieder gelungen ist, einschneidende Regulierungen zu be- und verhindern. Der Sektor profitiert von seiner engen Verflechtung mit den Finanzministerien, den Regulierungsbehörden, den Zentralbanken, der Wissenschaft und der Politik im Allgemeinen. Das lässt sich nachdrücklich an den Machtverhältnissen in den USA demonstrieren.

Der Finanzminister kommt regelmässig aus der Finanzindustrie; er ist in der Regel ein Investmentbanker. Bei der Aufsichtsbehörde CFTC kann sich nur jemand halten, der nicht auf Kollisionskurs mit der Finanzindustrie geht. Die Branche sponsert politische Parteien und herausragende Kandidaten, die ihr nahestehen. Zugleich hat sie eine starke Lobby in Washington, die in grossem Stil über Geld verfügt.

«Darling der Wall Street»

Auch die Chefs des Federal Reserve Board (Fed) müssen enge Beziehungen zur Finanzindustrie pflegen. Dafür, dass er sie mit niedrigen Zinsen und üppiger Liquidität versorgte, wurde Fed-Chef Alan Greenspan einst mit dem Titel «Darling der Wall Street» belohnt.

Nicht zuletzt sind auch die Wirtschaftsberater des Präsidenten zu nennen, sie kommen vorwiegend von bestimmten Universitäten wie Harvard oder Columbia und stehen der Finanzindustrie nahe.

Tausendsassa Larry Summers

Zum Beispiel Larry Summers, früher Präsident der Harvard University. Er amtierte unter Bill Clinton als Finanzminister, und er forcierte dabei die De-Regulierung an der Wall Street; er war verantwortlich für die Aufhebung der Trennung zwischen Investment- und Geschäftsbanken, aber auch für den Commodity Futures Modernization Act; er schaltete die damalige Chefin des CFTC aus, Brooksley Born, weil diese schon zu einem frühen Zeitpunkt auf die Gefahren von Derivaten hingewiesen hatte.

Später wurde Summers Chef-Wirtschaftsberater von Barack Obama – und übernahm danach lukrative Consulting-Jobs in der Wirtschaft.

Gesponserter Dekan

Der zweite Fall ist Glenn Hubbard, Wirtschaftsdekan der Columbia University. Er war massgebend an der Formulierung der Steuergeschenke von Präsident George W. Bush an die «Reichen» beteiligt. Danach wurde er Berater von Barack Obama und liess sich von der Wall Street sponsern.

Die amerikanischen Verhältnisse lassen sich zwar nicht tel quel auf andere Länder übertragen. Aber hier kann die Finanzindustrie bei der Abwehr von Regulierungen auf die Hilfe der ganzen Wirtschaft mit ihren mächtigen Verbänden vertrauen. Sie nehmen vielfältigen Einfluss auf Parteien und auf einflussreiche Politiker – unter anderem mit Spenden und Aufträgen.

Wer will denn eine unabhängige Zentralbank?

In Ländern mit Miliz-Politikern sorgt man ebenfalls für «Nebeneinkünfte». Letztlich ist die Wirtschaft im Allgemeinen und die Finanzindustrie im Besonderen nicht an unabhängigen Politikern interessiert, denn diese könnten für mehr Regulierungen eintreten. Es fällt zudem auf, dass Wirtschaftsverbände von ausserhalb der Finanzindustrie nicht zögern, die Anliegen dieser Branche nachhaltig zu unterstützen.

Die Finanzindustrie ist letztlich ein «Schwarzfahrer» jeder erfolgreichen Abwehr von Regulierungen durch die übrige Wirtschaft. Kommt hinzu, dass Wirtschaft und Politik zunehmend weniger an einer unabhängigen Zentralbank interessiert sind – und sie mehr und mehr für Sonderinteressen missbrauchen wollen.

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