Die Stimmung an der Börse ist wenig berauschend. Neue Anlagethemen sind gefragt. Für Jacob Grapengiesser von East Capital ist Russland günstiger denn je.

JacobGrapengiesser_1Jacob Grapengiesser ist Partner und Senior Advisor der schwedischen Beteiligungsgesellschaft East Capital.

Herr Grapengiesser, warum sollte Russland ausgerechnet jetzt für Anleger attraktiv sein?

Der russische Aktienmarkt ist derzeit mit einem durchschnittlichen Kurs-/Gewinnverhältnis von 6 so tief bewertet wie 1999. Allerdings sind die Vorzeichen heute ganz anders. Damals erholte sich die Börse vom totalen Finanzkollaps. Inzwischen steht Russland als eines der am wenigsten verschuldeten Länder der Welt da und verfügt über die dritthöchsten Währungsreserven überhaupt. Das Haushaltsbudget ist positiv. Viele russische Firmen sind wirtschaftlich sehr gut unterwegs.

Wie äussert sich das?

Zahlreiche Firmen haben begonnen, Dividenden auszuschütten. Das ist neu. Im Energiesektor etwa zahlen manche Unternehmen bereits mehr Geld aus als ihre internationalen Konkurrenten. Positive für Investoren ist auch, dass sich der Rubel seit Anfang Jahr um rund 10 Prozent gegenüber dem Dollar aufgewertet hat. Das ist natürlich auf den anhaltend hohen Ölpreis zurückzuführen.

Hängt der russische Markt nicht sehr stark vom Öl- und Gas- sowie vom Rohstoffsektor ab?

Bis zu einem gewissen Grad schon. Doch westliche Anleger unterschätzen das Potenzial aufstrebender Branchen wie die Konsumgüterindustrie, namentlich die Mode- und Bekleidungsbranche, die Telekommunikation sowie der Immobilienmarkt. Russland hat eine stark wachsende Mittelschicht, deren Bedürfnisse und Konsumgewohnheiten zunehmend den unsrigen entsprechen. Der Vergleich mit den anderen BRIC-Staaten ist nicht ganz gerechtfertigt.

Wie meinen Sie das?

Der russische Aktienmarkt wird aktuell mit einem Discount von rund 50 Prozent gegenüber den Börsen in Brasilien, Indien und China bewertet. Das beruht auf einem tief sitzenden Misstrauen, das ungerechtfertigt ist.

Die Neuwahl von Präsident Wladimir Putin sowie das Verständnis von Corporate Governance in Russland tragen indessen wohl kaum zu einem Vermögenszuwachs bei.

Täuschen Sie sich nicht. Ich bin überzeugt, dass die Protestbewegung im letzten Jahr einen nachhaltigen Einfluss auf Putin hinterlassen hat. Er ist zwar nach wie vor der starke Mann im Land, doch er ist sich bewusst, dass sein Handeln schärfer beobachtet wird. Er kann sich nicht mehr alles erlauben. Vor diesem Hintergrund wird er gezwungen sein, Resultate zu liefern.

Was könnte das sein?

Schon unmittelbar nach seiner Wahl erklärte Wladimir Putin, dass er die Korruption vehement bekämpfen werde, ausserdem will er die ins Stocken geratene Privatisierung vorantreiben, namentlich bei den beiden grossen Staatsinstituten Sberbank und VTB. Weiter will Putin verschiedene Infrastrukturvorhaben, wie Autobahnen, beschleunigen und die Bewilligungspraxis im Immobiliensektor vereinfachen. Das sind alles Massnahmen, welche die Börse in diesem Jahr weiter positiv beeinflussen werden.

Dennoch ist die Skepsis westlicher Anleger bezüglich der Corporate Governance in russischen Firmen unverändert gross.

Heute gibt es zahlreiche Firmen in Russland, die höchst transparent Aufschluss über ihren Geschäftsverlauf geben. Zudem sind zahlreiche Unternehmen an ausländischen Börsen kotiert, etwa in London. Diese Gesellschaften müssen sich denselben Regeln unterziehen wie westliche Firmen. Alles in allem würde ich sagen, dass sich die Corporate Governance in Russland aktuell mit derjenigen in Hongkong vergleichen lässt.

Welche Titel empfehlen Sie Anlegern, die nicht in Gazprom und Lukoil investieren wollen?

Beispielsweise den Automobilhersteller und -händler Sollers, der vom Wohlstandswachstum in Russland profitiert. Ähnlich gute Wachstumsaussichten hat die Bank St. Petersburg, die schwergewichtig im Firmen- und Kleinkundengeschäft tätig ist, mittlerweile aber auch eine Private-Banking-Abteilung unterhält, was auch ein klarer Hinweis dafür ist, dass vermögende Russen nicht mehr ihr ganzes Geld ins Ausland bringen. Die LSR Group ist eine Immobilienentwicklerin und Baumaterialproduzentin, die sowohl im Bereich von Grossüberbauungen als auch von Luxushäusern und -wohnungen tätig ist. Attraktiv ist auch die Integra Group, eine Servicezulieferfirma in der Öl- und Gasförderung. Alle diese Firmen profitieren stark von den erwähnten Trends in der weiteren Entwicklung Russlands.

War die Übernahme der Credit Suisse durch die UBS rückblickend gesehen die beste Lösung?
War die Übernahme der Credit Suisse durch die UBS rückblickend gesehen die beste Lösung?
  • Ja, es gab keine andere, wirtschaftlich sinnvolle Alternative.
    26.61%
  • Nein, man hätte die Credit Suisse abwickeln sollen.
    19.2%
  • Nein, der Bund hätte die Credit Suisse übernehmen sollen.
    27.53%
  • Man hätte auch ausländische Banken als Käufer zulassen sollen.
    9.42%
  • Man hätte eine Lösung mit Schweizer Investoren suchen sollen.
    17.24%
pixel