Chuck Prince, der frühere Chef der Citigroup, wird mit seiner inzwischen berühmten Äusserung «Solange die Musik spielt, musst du aufstehen und tanzen» wohl Seite an Seite mit Irving Fisher in die Annalen der Marktgeschichte eingehen.

Doch im Gegensatz zu Fishers Zitat, der im Jahr 1929 von einem «permanenten Plateau des Wohlstands» sprach, wurde der Fauxpas von Prince möglicherweise falsch interpretiert. Die Geschichtsbücher werden niemals den Zusammenhang beschreiben, in dem er diese Aussage traf; was wäre also, wenn Prince sich nicht auf die Subprime-Krise, sondern auf seinen Job als Banker bezogen hätte?

Eine Medaille von Barack Obama

Was, wenn er eine andere Formulierung gewählt und seine Aussage gelautet hätte: «Die Aufgabe eines Bankers besteht darin, noch mehr Kredite zu vergeben»? Nun, in der heutigen Zeit wäre das natürlich etwas ganz anderes. Heute würde Präsident Barack Obama ihm für diese Äusserung eine Medal of Freedom bei einer Ehrengala im Weissen Haus verleihen.

Aus diesem Grund schlage ich vor, dass wir ihn einmal nicht wörtlich nehmen, sondern in seiner Rolle als ehemaligen CEO einer der weltgrössten Banken betrachten und überlegen, was dies aus dem Rest von uns macht – den staatlichen, den institutionellen und den privaten Anlegern, die gemeinsam das sind, was wir als unser globales Finanzsystem bezeichnen – mitsamt seiner Dimension von rund 150 Billionen Dollar.

Zu hohe Schulden

Natürlich sind die Kredite das Element, das die globale Wirtschaft antreibt. Trotz Thomas Alva Edison, Alexander Graham Bell und Steve Jobs wären wir in den vergangenen Jahrhunderten wohl nicht sehr weit gekommen, wenn der Geschäftsverkehr auf dem Tauschhandel basiert hätte.

Selbst das Bargeld, das als Tauschmittel sowie als unumstrittenes Wertaufbewahrungsmittel erhebliche Vorteile mit sich brachte, hätte in dieser gewaltigen Wirtschaft kein reales Wirtschaftswachstum von drei bis vier Prozent hervorbringen können, wären die Schuldner und die Gläubiger nicht bereit gewesen, künftige Versprechen miteinander auszutauschen – sprich Kredite.

Wimpy bei McDonald's

Meine gerne zitierte Cartoon-Figur Wimpy brachte es wie folgt auf den Punkt: «Den Hamburger, den ich heute bekomme, bezahle ich gerne am Dienstag.» So stieg die Zahl der McDonald's-Gäste von einer Million auf 500 Milliarden an, während Wimpy und seinesgleichen von ihrem Tauschgeschäft begeistert waren, auch wenn ihre Arterien und Taillen daraus zwangsläufig als Verlierer hervorgingen.

Dennoch bleibt festzuhalten, dass unser modernes Finanzsystem, so verschuldet und anfällig es auch sein mag, auf produktive Weise zum Wohlstand beigetragen hat. Wäre dem nicht so, würde unsere Weltwirtschaft an das dunkle Zeitalter des frühen 20. Jahrhunderts erinnern.

Gewichtsprobleme in der Taillengegend

Glückwünsche also an den Prince-Meister und sein anderes Ich, Mr. Wimpy, – sie haben eine hervorragende Zusammenarbeit bewiesen. Um jedoch eine dauerhafte Symbiose aufrechtzuerhalten und sogar zu fördern, müssen sich sowohl die Schuldner als auch die Gläubiger in einem nährstoffreichen Umfeld bewegen, einer «Kredit»-Petrischale jener Art, die die Bildung starker Knochen unterstützt und der Gesundheit der Gläubiger und Schuldner im Erwachsenenalter zugute kommt. Unglücklicherweise scheint dies jedoch nicht der Fall zu sein.

Wimpys Gewichtsprobleme in der Taillengegend sind ein offenkundiger Beleg für die gegenwärtige Überschuldung der globalen Kreditnehmer. Eine zu hohe Verschuldung führt jedoch zwangsläufig zu forcierten Diäten und einem Schuldenabbau – einem Prozess, der bereits seit dem Zusammenbruch von Lehman Brothers im Jahr 2008 im Gange ist.

Kein gesundes Umfeld

Im Zuge dessen haben nicht nur die Haushalte, sondern auch die Finanzinstitute und viele Länder ihre Kalorienaufnahme verringert, was zu einem entsprechend verhaltenen Wachstum und in einigen Ländern nahezu zu einer Rezession und/oder einer Depression führte. Die Kreditnehmer halten sich schlichtweg nicht in einem gesundheitsfördernden Umfeld auf.

Wenn man die Geschichte als Massstab nimmt, dürfte ihre Genesung in Bezug auf die Zeit nahezu biblische Ausmasse annehmen: sieben fette Jahre, gefolgt von sieben mageren Jahren – oder vielleicht sogar noch weiteren.

Zu geringe Renditen

Wie es im übertragenen Sinne um die Gesundheit des Gläubigers Chuck Prince steht, ist hingegen nicht so offensichtlich. Natürlich müssen die Banken und ganz allgemein die Gläubiger ihre Assets reduzieren, ihr Eigenkapital erhöhen oder auch beides.

Allein dies wird sich bereits negativ auf das Wirtschaftswachstum auswirken. Hinzu kommt der derzeit bedenkliche Mangel an Erträgen, an Renditen oder auch an «Carry» für die Gläubiger, der eine Bedrohung für die fortlaufende Kreditausweitung der kommenden Jahren darstellt.

Fettleibige Kreditnehmer

Die Gläubiger werden den fettleibigen, überschuldeten Kreditnehmern nicht ohne Weiteres Geld leihen, so viel steht fest – vor allem nicht, wenn die Zinsen, der Carry und die Kapitalrendite so niedrig sind, dass sie die historischen Fixkosten der Geschäftsmodelle nicht mehr decken.

Dies ist der Punkt, an dem Chuck Prince vom Quickstep in einen Walzer übergeht. Sind die Renditen zu niedrig und die tragbaren Risikoaufschläge derart gering, dass das Bruttozinseinkommen zunehmend verdrängt wird, befindet sich das Kreditwesen in Gefahr.

In einem Teufelskreis

Auf Grund der exzessiven Fixkosten der Vergangenheit, die sich unter anderem in den Mieten, den Gehältern, den Rentenzahlungen und den Leistungen der Krankenversicherungen widerspiegeln, sehen sich die Finanz- und Kreditinstitute zu einer der beiden folgenden Handlungen gezwungen: entweder den Verschuldungsgrad erhöhen, um die entsprechenden Kosten zu decken, oder die Kreditvergabe verringern beziehungsweise einstellen, um das Eigenkapital zu erhalten und ihre eigentliche Aufgabe wahrzunehmen.

Angesichts der Finanzkrise von 2008 und der daraus resultierenden Intensivierung der Regulierungsaufsicht wird es schwerfallen, den Verschuldungsgrad zu erhöhen. Anstelle dessen werden wir nun Zeuge eines beginnenden Walzers – eines Tanzes, bei dem es den Finanzinstituten, also den Banken, den Versicherungshäusern und den Investmentunternehmen, nicht gelingt, von den Skaleneffekten zu profitieren, die so sehr an die vorangegangenen fetten Jahre gegenüber den derzeitigen mageren Jahren erinnern.

Preis des Geld zu niedrig

Im Zuge dessen werden weitere Angestellte entlassen, statt dass neue eingestellt werden; es werden Tausende von Filialen oder sogar Geldautomaten geschlossen, wie unlängst im Fall der Bank of America; und letztlich wird das Tempo der Kreditvergabe oder des Kreditwachstums reduziert, das die Weltwirtschaft im vergangenen Jahrhundert so mühelos angetrieben hat.

Wenn sich der Tanz verlangsamt hat, ist nicht einzig und allein der übergewichtige Tanzpartner daran schuld. Der Grund liegt vielmehr darin, dass der Preis des Geldes – beschrieben durch einen realen Zinssatz, einen Risikoaufschlag oder auch beides – zu niedrig ist.

System kommt zum Stillstand

Unser gesamtes finanzbasiertes Währungssystem, das von den Banken zwar geleitet, dennoch aber von den Versicherungsgesellschaften, Investmentfirmen sowie Hedge-Fonds verkörpert wird, basiert auf einem akzeptablen Carry sowie der Erwartung, diesen auch zu erhalten.

Erfolgt die Kreditvergabe bei einem normalen Verhältnis von Fremdkapital und Risiko jedoch zu Zinssätzen, bei denen der Carry nicht länger attraktiv ist, wird das System zum Stillstand kommen, ins Wanken geraten oder vielleicht sogar funktionsuntüchtig werden.

Derzeitiger Schiffbruch

Vielleicht tragen die Federal Reserve und die Notenbanken der anderen Länder die Schuld an dem derzeitigen Schiffbruch. Schliesslich sollten Zinssätze, die sich entlang der Nullgrenze bewegen, gemäss den historischen Modellen unweigerlich und unaufhaltsam zu einem dynamischen realen Wirtschaftsaufschwung führen.

Welche Bank würde zum Zinssatz von nahezu 0 Prozent keine Kredite aufnehmen, um sie anschliessend mit einem offenkundig profitablen Risikoaufschlag weiterzugeben? Welcher Wohneigentümer würde bei einem Zinssatz von 3,5 Prozent keine 30-jährige Hypothek aufnehmen, wenn die Zinszahlungen den derzeitigen Mietkosten entsprechen oder sogar darunter liegen?

Walzer anstatt Quickstep

Trotz allem ist dies nicht geschehen, zumindest nicht in dem anvisierten Umfang. Strukturelle Hindernisse wie die Risikostandards für die Geldhäuser oder die Furcht der Haushalte vor einem Kapitalverlust haben diesen Modellen einen Strich durch die Rechnung gemacht.

Die Notenbanken zeigen sich ungläubig, dass ihre endlose Kette quantitativer Lockerungsprogramme (QE) und langfristiger Refinanzierungsgeschäfte (LTRO) nicht das gewünschte Resultat erbracht hat. Wimpy und Chuck tanzen einen Walzer und keinen Quickstep, ganz gleich, ob die Band das Tempo steigert oder nicht.

Donauwalzer anstatt Lindy

Wie sollten sich die Anleger demnach verhalten? Wie sollen wir in einer Wirtschaft der «Neuen Normalität» unsere eigenen Füsse platzieren, wenn die Kreditgeber einen Donauwalzer tanzen und keinen Lindy? Mit Vorsicht, würde ich sagen, und in Anerkennung dessen, dass die historischen Renditen eben genau dies sind – historisch.

Der Investment Outlook des vergangenen Monats über den «im Aussterben begriffenen Aktienkult» sorgte für eine Menge Wirbel, schaffte es aber trotz allem nicht, den Lesern seine Hauptthese zu vermitteln: Sowohl die Aktien- als auch die Anleihenrenditen werden geschmälert.

Desillusionierte Babyboomer

Wie könnte man im Fall der Anleihen anders argumentieren, wenn die Papiere mit Investment-Grade-Rating lediglich Renditen von 1,75 Prozent erbringen? Wie im Fall der Aktien, wenn man annimmt, dass zwischen den Anleihen- und den Aktienrenditen zumindest zum Teil ein mathematischer Zusammenhang besteht?

Welche anderen Argumente könnte man anführen, wenn es offensichtlich ist, dass die Babyboomer sowie die Generationen X, Y und Z aus jeweils ganz privaten Gründen noch für lange Zeit desillusioniert sein dürften? Wenn der Handel am Aktienmarkt augenscheinlich durch Maschinen übernommen wurde – wenn HAL am Aktienmarkt das Sagen hat und dabei noch schlechte Arbeit leistet?

Andere Stimmung in der Öffentlichkeit

Nun, es gibt einige, die das Gegenteil behauptet haben und dies auch in Zukunft tun werden. Schaubild 2 (Grafik unten) veranschaulicht hingegen die Stimmung der Öffentlichkeit und nicht die der Experten.

Wer letztlich im Recht und wer im Unrecht ist, wird sich zeigen; unabhängig davon, ob die Aktien entsprechend meiner Prognose eine Outperformance gegenüber den Anleihen erzielen oder nicht.

Renditeniveau anpassen

Viele private Anleger verfügen weder über das Privileg der Zeit noch über die Möglichkeit, ihre investierten Dollar aufs Spiel zu setzen und sie anschliessend zu Zinssätzen von nur 0,1 Prozent am Geldmarkt oder per Credit Default Swaps zurückzuerhalten. Scheinbar müssen die Anleger einen neuen Tanz einstudieren, um sich dem verringerten Renditeniveau des modernen Tanzparketts anzupassen.

Als Privatanleger würde ich mich wie folgt verhalten: den Asset-Mix an das eigene Alter anpassen. Jüngere Anleger sollten mehr Aktien in ihrem Besitz haben, während Anleger, die wie ich in ihren Sechzigern sind, überwiegend Anleihen halten sollten. Bei der Wahl eines Anlageberaters, eines Investmentfonds oder eines ETFs gilt es sicherzustellen, dass man nur die wirklich nötigen Gebühren zahlt.

Ära der Inflation angebrochen

Denn wenn der jährliche Gesamtertrag im Schnitt bei 3 bis 4 Prozent liegt, wie soll man es sich dann noch leisten können, 100 Basispunkte abzutreten? Das ist nicht möglich, und daher sollte man entsprechend auf der Hut sein. Die Ära der Kreditausweitung, die zweistellige Portfoliorenditen ermöglichte, ist vorüber.

Inzwischen ist die Ära der Inflation angebrochen, die üblicherweise mit einem Gegenwind und nicht mit einem Rückenwind für die Wertpapierpreise einhergeht – sowohl für Aktien als auch für Anleihen.

Jede Menge Schmutz

Auch als Institution sollte man sich dieser Aspekte bewusst sein und darüber hinaus erkennen, dass höhere Renditen – sowohl im Bereich der Aktien als auch im Bereich der Anleihen – in der Regel nur in Ländern und Volkswirtschaften zu finden sind, die höhere Wachstumsraten aufweisen.

Dabei sollte man nicht darauf vertrauen, dass ein Land für immer ein sauberes schmutziges Hemd bleibt – das gilt auch für die USA. In Zukunft wird es jede Menge Schmutz geben, auf den ich im Investment Outlook des kommenden Monats noch genauer eingehen werde.

Überschüssiges Fett

Bis dahin sollte man es Chuck Prince und seinem Kumpel Wimpy gleichtun und weitertanzen. Zwar wird der Tanz wohl kein Lindy oder Quickstep sein, da unser kreditbasiertes Finanzsystem durch überschüssiges Fett und zu niedrige Zinssätze belastet wird.

Es wird gezwungenermassen ein neuer, langsamerer Tanz sein, und dennoch hatte Chuck recht: Es ist besser, auf der Tanzfläche zu stehen, als wie ein Mauerblümchen am Rand zu verweilen. Man muss eben einfach aufpassen, wohin man seine Füsse setzt.

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