Walter Wittmann warnte früh vor der Finanzkrise und setzte ebenso früh auf Gold-Anlagen. Wie beurteilt der Ökonom die Chancen des gelben Metalls jetzt?


WalterWittmannWalter Wittmann ist emeritierter Professor für Volkswirtschaftslehre an der Universität Freiburg. Bekannt wurde er durch diverse wirtschaftspolitische Sachbücher. Unter anderem veröffentlichte er 2007 «Der nächste Crash kommt bestimmt», in dem er die nachfolgenden Ereignisse vorweg nahm. Im Frühjahr erschien sein nicht weniger prophetisches Buch «Staatsbankrott».


Herr Wittmann: Würden Sie derzeit immer noch Gold kaufen?
Im Moment nicht. Die technischen Indikatoren sind neutral, und der MACD nähert sich mittelfristig der Überkauft-Situation an.


Das heisst?

Es heisst, dass der Kurs wahrscheinlich nicht nach oben ausbricht. Er bleibt um 1'250 Dollar pro Unze, das alte Hoch hält, momentan fehlt die Kraft für einen Ausbruch. Oder falls der Kurs doch noch ausbricht, dann nicht weit.

Der Rekordwert des Juni dürfte also noch bestehen bleiben?
Ja. Die technischen Indikatoren besagen, dass hier eine Obergrenze liegt. Was aber wichtig ist: Der Aufwärtstrend bleibt absolut intakt. Bei der letzten Korrektur hielt der Kurs bei 1'160 Dollar, und wer nun Linie weiterzieht, der ahnt, dass der Goldpreis sich bei der nächsten Korrektur gegen 1'200/1'210 Dollar bewegen dürfte. Danach folgt wieder eine Aufwärtsbewegung – und dann erwarte ich, dass der Kurs nach oben ausbricht.

Von welchem Zeitrahmen reden Sie?
Es geht um Wochen. Eher Wochen als Monate. Die Korrektur dürfte relativ rasch gehen, und dann weist der Trend wieder aufwärts. Grundsätzlich ist der September ja ein guter Monat fürs Gold, aber momentan ist es einfach übergekauft.


«In den Aktienkursen ist zwar eine gewisse Abschwächung bereits drin, aber keine zweite Rezession»


Wie beurteilen Sie die Lage fundamental?
Da kann man weiterhin positiv sein. Die Notenbanken verkaufen seit längerer Zeit kein Gold mehr. Kommt hinzu, dass die Zentralbank in China – teilweise auch die Banken anderer Staaten mit positiver Handelsbilanz – sogar Gold gegen Dollar kaufen. Denn für sie ist es schwierig, Anlagen in Dollar zu finden, also erwerben sie Gold. Oder sie suchen sich andere Investitionen: Erdölbeteiligungen, Ländereien, Häfen.

Das heisst: Von den Notenbanken kommt kein Druck auf den Goldmarkt.
Ja. Und auf der Gegenseite stagniert die Minenproduktion seit längerem. Von daher kann es kein Überangebot geben. Ich bin deshalb optimistisch für die langfristige Preisentwicklung des Goldes.

Wie erklären Sie denn den Anstieg der letzten Tage? Wurde der Goldpreis durch die Sorgen um die US-Konjunktur getrieben?
Kaum. Das bedeutet ja auch Ängste vor einer Deflation, und Deflation dämpft bekanntlich den Goldpreis. An der Börse fehlt der Trend, und die Unsicherheit besteht darin, ob es zu einer neuerlichen Rezession kommt; in den Aktienkursen ist zwar eine gewisse Abschwächung bereits drin, aber nicht eine zweite Rezession. Falls die eintritt, droht nochmals eine massive Korrektur an den Börsen.

Und Gold verhält sich dann gegenläufig: Es würde steigen.
Ja. Und wenn die Finanzmärkte gut performen, gehen die Anleger weniger in Gold. Derzeit ist die Lage netto noch positiv fürs Gold, man ist immer noch unsicher an den Börsen. Aber wie gesagt: Der Goldmarkt nähert sich der überkauften Situation – mit nachfolgender Korrektur.


«Silber ist im Verhältnis zu Gold tatsächlich unterentwickelt. Hier besteht noch Nachholbedarf»


Danach aber sind Sie weiterhin optimistisch für den Goldkurs. Wo sehen Sie eine Spitze?
Wenn der Goldpreis – nach der drohenden Korrektur – dann tatsächlich nach oben ausbricht, geht er in einen Bereich von 1'350 bis 1'500 Dollar pro Unze. Bis zum Punkt, wo Gold erneut übergekauft ist.

Bis 1'500 Dollar: So viel prognostizieren derzeit diverse Studien. Sie unterstützen dies also?
Man sollte natürlich aufpassen, wer solche Prognosen macht. Es ist klar, dass einer optimistisch ist, der einen Goldfonds verkaufen muss. Und Jim Rogers muss auch positiv gestimmt sein fürs Gold, sonst verliert er seine ganzen Aufträge.

Was treibt den Preis grundsätzlich? Ist es einfach die Tatsache, dass Gold ein gutes Mittel gegen die Gefahren hoher Staatsschulden ist?
Es ist ein Faktor. Man befürchtet, dass aus den Staatsschulden eine gewaltige Inflation entstehen wird, also sichert man sich mit Gold ab. Und die Notenbanken haben ja tatsächlich schon damit begonnen, kräftig Geld ins System zu pumpen. Ich erwarte, dass jetzt die zweite Phase der Finanzkrise kommt; eine Krise, die mit der Schuldenkrise kombiniert ist.

Was bedeutet dies für die Anleger?
Nach einer Finanzkrise, wie wir sie hinter uns haben, dauert es in der Regel mindestens zehn Jahre, bis alles verarbeitet ist. So war es schon ja auch in den Siebzigerjahren.

Aber wenn die Zinsen dann mal steigen, sollte man wieder raus aus dem Gold – auch dies zeigt die Erfahrung.
Ich würde nicht raus aus meinen Goldanlagen. Dafür hatten wir noch keine genügend starke Korrektur. Wenn Sie traden wollen, nehmen Sie lieber Goldminenaktien, nicht physisches Gold; hier haben Sie einen grösseren Hebel.
Kommt übrigens hinzu, dass längerfristig immer noch die Gefahr besteht, dass einzelne Staaten das Halten von Gold verbieten. Mit Goldminenaktien ist man davon nicht betroffen, im Gegenteil: Als die USA in den dreissiger Jahren den Privatbesitz von Gold beschränkten, explodierten die Kurse guter Minenaktien.

Walter_Wittmann_qOffenbar profitiert Silber ähnlich mit. Wäre das ein Tipp?
Ja, Silber ist im Verhältnis zu Gold tatsächlich unterentwickelt. Andererseits gibt es sehr wenige Silberminen, deren Aktien man sinnvollerweise kaufen kann; bei den meisten ist das Risiko viel zu gross. Aber beim physischen Silber besteht wirklich Nachholbedarf.