Deutschlands Verschuldung habe sich seit 2007 massiv verschlechtert, schreibt der Ökonom Hans Kaufmann. Doch die Anleger hätten dies noch nicht erkannt.

Hans_Kaufmann_qHans Kaufmann ist Ökonom, SVP-Nationalrat und Gründer von Kaufmann Research. Bis 1999 arbeitete er bei Julius Bär, zuletzt als Chefökonom. Er schreibt regelmässig für finews.ch.

Bisher galt Deutschland als Musterknabe bezüglich Budgetdisziplin und Staatsverschuldung. Doch Deutschland geniesst diesen guten Ruf teils zu Unrecht.

Denn es war ausgerechnet Deutschland, das nebst Frankreich als erstes Euro-Land die Maastrichter-Verträge brach und im Jahre 2002 mit einem Defizit von 3,5 Prozent des Bruttoinlandprodukts (BIP) die Obergrenze der zulässigen Neuverschuldung von 3 Prozent verletzte. Was hatte das für Konsequenzen?

Ohne Konsequenzen

Obwohl für solche Vertragsverletzungen Sanktionen unter anderem mit Bussen bis zu 0,5 Prozent des BIP vorgesehen sind, eröffnete der ECOFIN-Rat kein Verfahren gegenüber Deutschland. Die Nichteinhaltung der Maastrichter-Verträge blieb somit ohne Konsequenzen.

Die Aufweichung der Maastrichter-Verträge (längere Fristen für Defizitabbau, Ausschluss von einzelnen Ausgaben aus der Defizitberechnung) ermutigte auch andere Euro-Länder, eine ungezügelte Defizitwirtschaft zu betreiben.

Ernüchterndes Ergebnis

Das das Ergebnis ist ernüchternd: Seit Beginn des Euro wurde allein das 3-Prozent-Defizit-Kriterium der Maastrichter-Verträge von den Euro-Ländern über 50x verletzt. Deutschland überschritt die Defizitgrenze in den letzten 12 Jahren sechsmal. Von 2005 bis 2010 haben die Staatsschulden der EU-27 um 42 Prozent auf 9'828 Milliarden Euro zugenommen, jene der Euro-Zone um 37 Prozent auf 7'837 Milliarden Euro. Deutschland steigerte seine Staatsschuld in diesen 5 Jahren um 556 Milliarden Euro, was einem Plus von 36 Prozent entspricht.

Mit einem BIP 2010 von 2'499 Milliarden Euro ist Deutschland die wichtigste europäische Volkswirtschaft. Mit 960 Milliarden Euro Ausfuhren ist Deutschland zwar nicht mehr Exportweltmeister (2010 in Dollar: 1. China 1'558 Milliarden 2. USA 1'278 Milliarden 3. Deutschland 1'269 Milliarden), aber die starke internationale Wettbewerbsfähigkeit bleibt unbestritten.

Zur Kasse gebeten

Diese starke Wirtschaft und die bis vor wenigen Jahren noch gesunden Staatsfinanzen führten dazu, dass Deutschland im Zuge der Staatsfinanzkrise in Europa zum Hauptzahlmeister der Rettungspakete für Griechenland (110 Milliarden Euro), aber auch die EFSF (European Financial Stability Facility) respektive der Nachfolgeorganisation ESM (European Stability Mechanism) aufrückte.

Bereits für Griechenland musste Deutschland mit 22,4 Milliarden Euro (die über die KfW beschafft werden) geradestehen und nach der Aufstockung des Rettungsschirms von 440 auf 700 Milliarden Euro riskiert Deutschland nebst den Bareinzahlung für den Eigenkapitalstock von 22 Milliarden Euro für diesen ESM weitere 168 Milliarden Euro Garantien zur Kasse gebeten zu werden.

Diese 190 Milliarden Euro entsprechen rund 9 Prozent der gesamten Staatsschulden Deutsch-lands von 2'080 Milliarden Euro respektive 15 Prozent der Bundesschulden von 1'284 Milliarden Euro per Ende 2010.

Der eigentliche Schulden-Schock

Wie ein solcher möglicher Schuldenschub mit der beschlossenen Schuldenbremse für den Bund und die Länder zu vereinbaren wäre, ist unklar. Die Einhaltung eines ausgeglichenen Haushalts ist für den Bund ab dem Jahr 2016 zwingend vorgesehen, für die Länder ab dem Jahr 2020. Im Hinblick auf das deutsche Haushaltsrecht schlagen sich die Verbindlichkeiten aus dem ESM voraussichtlich aber nur bei der Nettokreditaufnahme, nicht aber bei Berechnungen zur Schuldenbremse nieder.

Der eigentliche Schulden-Schock ist aber bereits 2010 erfolgt. Die deutsche Bundesbank (Buba) hat im März die Staatsschulden gemäss Maastrichter-Kriterien neu berechnet. Diese Buba-Zahlen zeigen für 2010 einen Zuwachs der deutschen Staatsschulden inklusive Bundesländer, Kommunen um 319 Milliarden auf 2'080 Milliarden Euro. Die Neuverschuldung entspricht 12,8 Prozent des BIP 2010.

Bloss eine Frage der Zeit

Selbst der IWF geht in seinem neusten Fiscal Monitor noch davon aus, dass Deutschlands Bruttoschulden nur auf 80 Prozent ansteigen werden. Das Bundesministerium der Finanzen publiziert in seinem März-2011-Bericht noch einen Schuldentand 2010 von 75,7 Prozent des BIP. Es dürfte deshalb nur eine Frage der Zeit sein, bis die Rating-Agenturen auch Deutsch-land ins Visier nehmen.

Eine Bonitätsabstufung Deutschlands würde auch den Euro schwächen, denn bisher galt Deutschland als Hauptstütze des Währungsverbundes. Nebst höheren Zinsen in Deutschland, mit der das gesamte Euro-Zinsgefüge in Bewegung geraten könnte, besteht die Gefahr einer Abwertung des Euro zum Beispiel gegenüber dem Franken.

Deutsche Banken massiv betroffen

Sollte Deutschland respektive das deutsche Parlament aber im Juni den erweiterten Rettungs-paketen nicht zustimmen, und bekanntlich haben der Bundesrechnungshof, die FDP und die SPD Opposition angekündigt, dann müssten die Krisenländer Griechenland, Irland und Portugal noch rascher eine Umschuldung vornehmen.

Davon wiederum würden deutsche Banken massiv betroffen. Eine Absage des deutschen Parlamentes an die Euro-Hilfspakete könnte zu einer schweren Krise im Euroraum führen.

Zehn Schlussfolgerungen

1. Das Beispiel Deutschland zeigt, wir rasch und dramatisch sich die Verschuldungssituation eines Landes verschlechtern kann, wenn die Budgetdisziplin nachlässt, selbst unter einer angeblich bürgerlichen Regierung.

2. Deutschland weist unter den europäischen Staaten absolut betrachtet die höchste Staatsverschuldung auf (Deutschland 2'080 Milliarden Euro, Italien 1'843 Milliarden Euro, Frankreich 1'591 Milliarden Euro, Grossbritannien 1'353 Milliarden Euro).

3. Sollten die Rating Agenturen auch gegenüber Deutschland erste Bonitäts-Warnungen aussprechen werden die Anleger umso überraschter negativ reagieren, was zu Zinssteigerungen nicht nur in Deutschland, sondern im gesamten Euro-Raum führen könnte.

Die Stiftung Marktwirtschaft stellt jedoch fest, dass ein noch grösserer Teil der Staatsschulden in den Sozialwerken in Form von nicht gedeckten Leistungsversprechen versteckt wird. Die echte Staatsverschuldung Deutschlands, inklusive implizierte Staatsschuld dürfte sich gemäss der Schätzung der Stiftung Marktwirtschaft im Spätherbst 2010 deshalb auf rund 308 Prozent des BIP oder 7'400 Milliarden Euro stellen. Diese verheimlichten Staatsschulden werden früher oder später zutage treten, indem aus dem Staatshaushalt immer höhere Beträge für die Rentenzahlungen, aber auch für das Gesundheitswesen und die Pflege bereitgestellt werden müssen.

4. Da Deutschland als Hauptstütze und Garant des Euro gilt, würde eine Bonitätsrückstufung den Euro weiter schwächen. Die Aufdeckung von Verschuldungsproblemen einzelner Staaten durch die Rating Agenturen mit entsprechenden destabilisierenden Folgen an den Kapital-märkten hat die Politik wachgerüttelt.

5. Deutschland wird angesichts der Verschuldungslage innenpolitisch kaum in der Lage sein, seine Finanzhilfe an Euro-Krisensaaten weiter auszudehnen. Fehlt dieses Hilfe, dann werden Umschuldungen beschleunigt Realität werden.

6. Schuldenschnitte, Laufzeitenverlängerungen und Zinssatzreduktionen werden wiederum die deutschen Banken massiv treffen, denn selbst wenn die Direktkredite an Krisenstaaten und Staatsobligationen in den Eigenbeständen der Banken allenfalls noch zu bewältigen wären, müssen diese Banken mit zusätzlichen Verlusten auf Krediten rechnen, die sie den Banken und Nicht-Banken in den Krisenländern gewährt haben.

7. Es ist nicht auszuschliessen, dass Grossverluste auf solchen Positionen bei deutschen Staatsbanken (Landesbanken) die deutsche Regierung zu weiteren Stützungsaktionen zwingen könnte, was die Verschuldung Deutschlands weiter belasten dürfte.

8. Da ein Ausbruch aus diesem Teufelskreis viel Zeit erfordert, werden sich die Probleme innerhalb des Euro-Raumes zuspitzen. Bis anhin konnte Rest-Europa vom schuldengetriebenen Boom in Deutschland profitieren. Wenn Deutschland aber, auch wegen der Dollar-Schwäche, im Exportgeschäft einen Rückschlag erleidet, dann dürfte die Dynamik in den zahlreichen Deutschland-abhängigen Ländern ebenfalls einbrechen. Damit fehlen wiederum Steuereinnahmen.

9. Angesichts der anhaltenden Gefahr einer weiteren Euro-Abwertung gegenüber dem Schweizer Franken und der realistischen Möglichkeit einer Bonitätsabstufung Deutschlands erscheint das Engagement der SNBSchweizerischen Nationalbank von rund 70 Milliarden Franken in Schuldpapieren dieses Landes eine riskante Spekulation. Es wäre an der Zeit, dieses Engagement baldmöglichst zu beenden.

10. Das Engagement der Schweiz beim IWF erscheint angesichts dieser Perspektiven ebenfalls riskant, denn aus den Garantien könnten konkrete Zahlungsverpflichtungen werden. Deshalb ist dieses Engagement zusätzlich abzusichern, beispielsweise mit IWF-Gold als Pfand.

 

 

 

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