Der Selbstmord von Martin Senn, dem früheren CEO der Zurich offenbart, wie schwer es Schweizer Managern fällt, sich in einem internationalen und kompetitiven Umfeld zu behaupten.

Martin Senn wurde am vergangenen Freitag tot in seinem Ferienhaus im bündnerischen Klosters aufgefunden, wie auch finews.ch berichtete. Dem Vernehmen nach hat er sich erschossen. Sein Selbstmord geschah nur sechs Monate, nachdem er seinen Job als CEO bei der Zurich-Versicherung verloren hatte und das Unternehmen in enormen wirtschaftlichen Schwierigkeiten steckte.

Bei der Zurich hatte Senn den Höhepunkt seiner Karriere erreicht; nachdem er 2006 von der Credit Suisse kommend als Investmentchef begonnen hatte. Im Jahr 2010 war er dann zum obersten Chef ernannt worden und hatte zunächst das Unternehmen erfolgreich durch die Nachbeben der Finanzkrise navigiert.

Langweilige Firma

Senn hatte die Verantwortung für ein Assekuranzunternehmen übernommen, von dem es in der Branche hiess, dass es «langweilig» sei, nachdem ein strategischer Vorstoss von Senns Vorgängern ins Vermögensverwaltungsgeschäft (Asset Management) ins Verderben geführt hatte und die Firma rekapitalisiert werden musste. Vier Jahre nach seinem Amtsantritt hatte Senn dann den Selbstmord seines Finanzchefs Pierre Wauthier hinnehmen müssen. Dieser hatte sich damals in seinem Abschiedsbrief bitterlich über den von Verwaltungsratspräsident Josef Ackermann ausgehenden und ungebührlichen Arbeits- und Leistungsdruck beklagt.

Gegen Ende 2014 war dann auch der Druck auf Senn und sein Management-Team gestiegen, nachdem zahlreiche Investoren den Mangel an Dynamik bei der Zurich, die Absenz des Unternehmens in Wachstumsmärkten sowie fehlende strategische Ziele beklagt hatten. Senn sei somit 2015 gefordert, ansonsten würde es sehr schwierig für ihn sagte damals ein mit der Sache vertrauter Fachmann gegenüber finews.ch.

Konflikt auf der Teppich-Etage

Doch gerade der Selbstmord Wauthiers offenbart einen erheblichen Konflikt auf den Teppich-Etagen Schweizer Grossfirmen: Der ganz offensichtlich fordernden und erbarmungslosen Leistungskultur, wie man sie vor allem aus den Investmentbanken an der Wall Street kennt, stehen die Behäbigkeit und Risikoaversion schweizerischer Mentalität gegenüber.

Diese Situation offenbart den grossen Graben zwischen der konsensgetriebenen Schweizer Managementkultur, wo wichtige Entscheidungen und Beschlüsse eher durchgewunken werden, nachdem man sich vor allem hinter den Kulissen dahingehend einigt, während die Top-Manager in der angelsächsischen Welt sich nicht scheuen, Debatten auszulösen und auf Konfrontation zueinander zu gehen.

Grösserer Einsatz nötig

Zugegeben, als kleines Land mit vielen global tätigen Firmen hat die Schweiz stets auf ausländische Führungskräfte zugegriffen – das belegen ausländische Firmenchefs wie aktuell Paul Bulcke, ein Belgier an der Spitze des Nahrungsmittelkonzerns Nestlé, oder der Amerikaner Joe Jimenez, Chef des Pharmakonzerns Novartis. Ihnen viel es dabei wesentlich leichter, sich den Schweizer Gegebenheit anzupassen als umgekehrt.

Senn dageben, und mit ihm etwa auch UBS-CEO Sergio Ermotti, der zwar einen Grossteil seiner Karriere bei der US-Bank Merrill Lynch machte, die bekannt ist für ihre internen Debatten und ihre Leistungskultur ist, sowie Julius-Bär-Chef Boris Collardi und Swiss-Re-CEO Christian Mumenthaler mussten sich stets mit einem viel grösseren Einsatz der internationalen Leistungs- und Führungskultur stellen.

Sackgasse fürs Weiterkommen

Denn bis heute gilt das unternehmerische Scheitern hierzulande nicht als Option, sondern als Eingeständnis einer Niederlage und damit zumeist auch als Sackgasse für ein Weiterkommen in der Wirtschaft – bisweilen sogar als Verbannung aus dem Establishment, wie es Marcel Ospel, der frühere Verwaltungsratspräsident der UBS erleben musste, nachdem die Bank im Sog der Finanzkrise unmittelbar vor dem Bankrott gestanden hatte. Undenkbar, dass Ospel wieder einen neuen Job erhalten hätte.

Ähnliches erlebte auch Rolf Hüppi, der langjährige CEO der Zurich-Versicherung, der mit seiner Allfinanz-Strategie dermassen kläglich scheiterte, dass er in der Folge in Schweizer Wirtschaftskreisen zur persona non grata mutierte. Nachdem er 2002 bei der Zurich demissionierte hatte, verliess er auch seine Heimat und verbrachte mehrere Jahre zusammen mit seiner amerikanischen Gattin im US-Bundesstaat Virginia, wo er Pferde züchtete.

Erst viel später fasste er eine Rückkehr in sein angestammtes Metier ins Auge, indem er die Versicherungsgesellschaft Paralife gründete, die auf Mikropolicen in Schwellenländern spezialisiert ist; allerdings verlegte er dabei auch definitiv seinen Wohnsitz weg von der Schweiz nach Nassau auf den Bahamas.

Scheitern als Stigma

Im Gegensatz zu den USA, wo das Scheitern als Teil der Entwicklung und als Beitrag zur persönlichen Lernkurve gilt, und gleichzeitig ein Neustart auf Grund der grossen geographischen Dimensionen zusätzlich vereinfacht wird, ist die hiesige Wirtschafts-Nomenklatura nach wie vor eng und klein. Dabei wird das Scheitern weiterhin zum Stigma erhoben und kaum verzeiht, insbesondere nicht bei Firmen, die einen engen Bezug zur Schweiz selber haben, wie eben die Zurich mit ihrem prestigeträchtigen Hauptsitz am Mythenquai entlang des Zürichsees.

Die Schweizer Unternehmenselite findet keinen Gefallen an gefallenen Top-Managern, wie Martin Senn am Ende einer geworden war. Gescheiterte Führungskräfte sind in der Regel auch nicht mehr gefragt, beispielsweise an Universitäten über ihre Erfahrungen zu reflektieren oder gar in anderen Kreisen aufzutreten. Auch Senn hatte nach seinem Abgang bei der Zurich keinerlei gesellschaftliche Aufgaben oder Engagements mehr, mit Ausnahme eines Postens bei den Luzerner Musikfestwochen.

Zum Rücktritt gezwungen

Tatsächlich war 2015 Martin Senn das entscheidende Jahr in seiner Karriere, und es erwies sich als verhängnisvoll: Die kapitalstarke Zurich scheiterte im Herbst, den britischen Konkurrenten RSA zu übernehmen und musste gleichzeitig einen unerwartet hohen Quartalsverlust ausweisen, nachdem gewisse Prämieneinnahmen falsch berechnet worden waren. An der Börse stürzte die Zurich-Aktie ab.

Kurze Zeit später trat Senn zurück, doch der Ton in seinem Demissionsschreiben – «nach zehn sehr intensiven Jahren bei der Zurich» – liess keine Zweifel offen, dass er zu diesem Schritt geradezu gedrängt worden war.

Scheitern in der Heimat

Gemäss der «Neuen Zürcher Zeitung», soll Senn erst kürzlich noch in einem Gespräch offenbart haben, wie schwer es ihm nun nach seinem Abgang bei der Zurich falle, mit beiden Füssen wieder auf den Boden zu kommen. Und das sagte ein Schweizer Manager, der einen Grossteil seiner Karriere im Ausland, namentlich in den USA sowie in Asien, verbracht hatte, der aber ganz offensichtlich nicht über das Scheitern in seiner Heimat gekommen ist.

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