Bankern stehen dramatische Lohnsenkungen bevor, prophezeit der Versicherungsanalayst Fabrizio Croce von Kepler Capital Market. Trotzdem favorisiert er Versicherungswerte.

Croce_Fabrizio.314Herr Croce, als Versicherungsspezialist scheinen Sie sich für Versicherungsaktien mehr zu erwärmen als für Bankwerte. Warum?

Dass mein Herz eher für Versicherungen schlägt und unser Haus Versicherungswerte den Bankaktien vorzieht, hat nur bedingt mit der Tatsache zu tun, dass ich ein Versicherungsanalyst bin. Diese Präferenz hat viel mehr mit der Tatsache zu tun, dass sich das Risiko/Rendite-Profil der Versicherungsaktien grundsätzlich von jenem der Bankenaktien unterscheidet – und damit, dass dies die Märkte noch nicht völlig verinnerlicht haben.


Risiken weggerechnet statt reduziert


Der Bankensektor hatte gegenüber den Versicherern ein gutes Jahrzehnt die Nase vorn. Er hat ein solideres Risikomanagement aufgebaut, hat dann aber diese Position durch das wilde Hebeln von stetig weniger Kapital verspielt. Risiken wurden nicht in der Realität minimiert, sondern nur in den Modellen mit immer mehr Diversifikationseffekten weggerechnet. Das Kapital schrumpfte und ist nach wie vor noch verschwindend klein.

Die Jahresberichte zeigen aber ein solideres Bild. . .

Ja, wenn man in die Geschäftsberichte reinschaut, gewinnt man den Eindruck, die Bankenwelt sei heil. Die Value-at-risk-Ansätze funktionieren auf Papier, obwohl sie schon in der ersten Welle der Krise kläglich versagt haben. Auf Basis irgendwelcher abstruser Modellierungen wird einem suggeriert, diese Werte seien sicher. Leider entspricht das nicht immer der Wahrheit. Ich teile die Befürchtungen der Nationalbank, auch wenn ich denke, dass selbst sie das Problem noch nicht genügend erfasst hat.

Aber Basel III steht vor der Tür und die Schweizer Banken scheinen ausreichend kapitalisiert zu sein!

Schein und Sein. . . Wir sprechen in Europa zwar schon von Basel III. Realität aber ist, dass die Mehrheit der US-Banken noch nicht einmal Basel II eingeführt hat, in einem Markt, der in den nächsten Jahren 70 Billionen Hypotheken-Ramschpapiere tilgen muss. Wird die Fed wieder und wieder einspringen, dann werden die USA so mit Schulden überpflastert, dass Griechenland dagegen geradezu ein Musterland ist. Dazu kommt, dass Basel III gegenüber Solvency II wie ein Witz ist in Sachen Kapitalanforderungen.

Natürlich ist die Finma dafür zuständig, dass die Gesellschaften die Risiken im Griff haben. Unter Umständen ist sie aber nicht ausreichend bestückt, um diese Kontrollfunktion auszuüben. Zum Glück hilft ihr indirekt die SNB auf die Sprünge.


Banken vor Kapitalerhöhungen


Wenn Ihre Einschätzung korrekt ist, werden die Banken weiteres Kapital aufnehmen müssen.

Genau das ist der Fall. Das heisst, dass die schon mickrigen Renditen noch weiter verflüssigt werden würden.

Die Banken sind folglich auch gezwungen, die Kosten weiter abzubauen. Ein CS-Mitarbeiter wird immer noch im Schnitt mit jährlich 236'640 Franken vergütet.

Wie stark werden die Löhne in den USA und in der Schweiz sinken müssen?

Wenn man liest, dass gewisse US-Banken im Durchschnitt doppelt so hohe Löhne zahlen wie die CS, dann weiss man, dass der Zenit nicht nur erreicht, sondern überschritten ist. Bescheidenheit ist angesagt. Wenn die Kapitaldecken sich verdoppeln müssen und die Erträge stagnieren, wird es keinen anderen Ausweg geben als Kostenschnitte.


Lohnsenkungen bis 70 Prozent?


Droht Personalabbau?

Die Lösung heisst nicht mehr Entlassungen in grossem Stil, sondern Lohnkürzungen. Es gibt keinen einzigen Grund, weshalb ein Bankangestellter mehr verdienen sollte als sein Berufskollege im Industriesektor – vor allem wenn die Renditen risikoadjustiert im Bankgeschäft sogar tiefer sind.

Das tönt nach einem Paradigmen-Wechsel!

Der Banken-Sektor hat über drei Jahrzehnte über seine Verhältnisse gelebt. Die Reise ist nun zu Ende. Wie stark die Löhne sinken werden, ist indes schwer zu sagen. Damit eine Bank mit einer Versicherungsfirma gleichziehen kann, muss sie einen ROE von mindestens 10 Prozent erzielen. Davon ausgehend schliesse ich Lohnreduktionen im Bereich von 50 bis 70 Prozent nicht aus – je nach Funktion. Im Brokerage, das normalerweise Trends sechs bis zwölf 12 Monate vorwegnimmt, ist das schon passiert. Und die Märkte sprechen heute eine unmissverständliche Sprache, Universalbanken werden spuren müssen.


Normalisierung dauert Jahrzehnte


Wie lange könnte der Normalisierungsprozess der Kosten dauern?

Gerade kürzlich war ich an einen Anlass, wo dazu eine Studie präsentiert wurde. 32 der angeblich intelligentesten und weisesten Volkswirte Deutschlands nahmen darin zu diesem Thema Stellung. Die Mehrheit von ihnen prophezeit, dass wir in drei bis vier Jahren durch sind. Nur zwei davon sprachen von zehn Jahren. Mich erstaunte, dass keiner von zwanzig, dreissig Jahren sprach. Alle heutigen Exzesse sind ein Produkt der letzten vierzig Jahre. Seit der Aufhebung des Goldstandards und mit der stetigen Geldentwertung hat es solange gedauert, das System an seine Grenzen zu bringen. Eine Korrektur in nur drei oder vier Jahren ist unrealistisch und würde blutige Massnahmen erfordern, in jedem Sinn.

Droht den Banken wegen des neuen Lohntrends nun ein Brain-drain?

Nein, ich gehe nicht davon aus. Alle werden Löhne kürzen müssen. Es werden europäische Verhältnisse regieren. Stellenwechsel werden rarer. Die Bankmitarbeiter werden keine andere Wahl haben, als die Kröte zu schlucken.


Versicherer sind bestens gewappnet


Und für die Versicherer zeichnen Sie ein anderes Szenario?

Ja, grundlegend. Der Versicherungssektor hat all die Exzesse des Bankensektors nicht mitgemacht. Versicherungsmanager haben grundsätzlich eine andere Sicht von Risiken. Man lebt Risiken, täglich. Die Sicht ist immer auf das halbleere Glas und nicht das halbvolle. Das ist mit ein Grund, dass Versicherungsaktien so schlecht abschnitten im Vergleich zu den Bankwerten. Versicherungsmanager sind erstens viel bescheidener in Sachen Lohn und entsprechend wesentlich schlechter bezahlt als Bankenangestellte.

Und eben, Topmanager der Branche verkaufen ihre Aktien den Investoren zu wenig gut, weil sie immer zuerst die Risiken betonen – und erst dann an Erträge. Das bringt in gute Zeiten massive Nachteile. Wir sind aber schon lange nicht mehr in guten Zeiten und für lange Zeit noch in schlechten. Dafür sind Versicherungen bestens gewappnet, während für Banken das wirkliche Leiden erst angefangen hat.

Aber spricht das jetzt wirklich für Versicherungsaktien? Die Zinssituation wirkt ja nicht gerade stimulierend.

Die Zinssituation ist nicht erfreulich und gerade für pure Lebensversicherungswerte eine Herausforderung. Auch hier muss man aber verstehen, dass Versicherungsgesellschaften zwar extrem schlechte Aktienanleger sind, aber ausserordentlich talentierte Bond- und Immobilien-Investoren. Und das macht den Unterschied aus. 2008 haben sich fast alle Gesellschaften auf eine lange Tiefzinsphase vorbereitet. Dadurch sind diese Firmen gegen tiefe Zinsen für fünf bis zehn Jahre bestens gewappnet. Besonders Schweizer Firmen halten Immobilienbestände in der Schweiz und bleiben auf Realwerte orientiert, und dies, obwohl die Finma sie mit unrealistisch hohen Kapitalanforderungen kontinuierlich daran hindert.


Versicherungsaktien bieten historische Chance 


Das alles mündet in höchstsolide Bilanzen und eine sehr gute Resistenz gegenüber der jetzigen Krise. Dividenden um 5 bis 6 Prozent, ROE's von 10 Prozent unter adversen regulatorischen Bedingungen und Bewertungen deutlich unter Buchwert zeigen klar auf, dass der Markt die grundlegenden Unterschiede – auch in bezug auf die Risiken – zwischen einer Versicherungsgesellschaft und maroden Finanzinstituten nicht erkennt. Das ist eine historische Chance für die Anleger. Sie haben die Wahl: Grosse Namen und Kapitalerhöhungen, oder Dividenden und Kapitalstärke. Die Entscheidung sollte einem leicht fallen.


Nationale Suisse – die «Apple»-Aktie des Versicherungssektors


Vor zwei Monaten gaben Sie der Nationale-Suisse-Aktie das Attribut Apple-Aktie des Versicherungsuniversums. Apple hat etwas an Schwung verloren. Bleiben Sie bei Ihrer Einstufung des Nationale-Suisse-Titels?

Absolut , ja und noch stärker. Diese Firma ist fast ganzheitlich im Nichtleben-Bereich tätig, mit sehr guten operativen Margen, stark steigendem Wachstum. Sie zeigt die solideste Bilanz in unserem Versicherer-Universum und den höchsten Immobilienanteil. Was immer uns die Zukunft noch bringt - Nationale Suisse ist bestens positioniert.

War die Übernahme der Credit Suisse durch die UBS rückblickend gesehen die beste Lösung?
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  • Nein, man hätte die Credit Suisse abwickeln sollen.
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  • Man hätte auch ausländische Banken als Käufer zulassen sollen.
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  • Man hätte eine Lösung mit Schweizer Investoren suchen sollen.
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