Vielleich sollte die Europäische Zentralbank ihr quantitatives Lockerungsprogramm per sofort auf den Kauf von Rohöl ausweiten, findet Wolfgang Bauer von M&G.

Wolfgang Bauer, Mitglied des Retail-Fixed-Interest-Teams von M&G in London

Das Niveau der 5-jährigen Inflationsrate ist auf 1,5 Prozent abgestürzt. Diese Einschätzung des Swap-Marktes ist durchaus erstaunlich.

Offenbar glaubt der Markt nicht mehr daran, dass die Europäische Zentralbank (EZB) trotz negativer Zinsen und quantitativer Lockerungen die mittelfristige Inflation selbst in fünf Jahren in die Nähe von 2 Prozent bringen kann. Unerschütterliches Vertrauen in die geldpolitischen Werkzeuge der EZB sieht anders aus.

Ölpreis dominiert mehr als Geldpolitik

Es scheint, als spiele die Geldpolitik zurzeit nur noch die zweite Geige. Dafür dominiert der Ölpreis die Markterwartungen hinsichtlich der Inflationsentwicklung. Dem liegt natürlich eine gewisse Logik zugrunde: Der Ölpreisverfall hat unmittelbare deflationäre Auswirkungen auf die Energiekomponente des Preisindex – und mittelbar über die Transportkosten auch auf andere Komponenten.

Man könnte natürlich argumentieren, dass eine fast perfekte Korrelation (+0,9 über die letzten zwei Jahre) zwischen dem Rohölpreis am Spotmarkt und den 5-jährigen Inflationserwartungen in fünf Jahren übertrieben erscheint.

In der Vergangenheit war die Korrelation zwischen beiden Datenreihen wesentlich schwächer (+0,3 über die vorherigen zwei Jahre). Die momentane Stimmung am Markt ist indessen recht klar: Im Grossen und Ganzen diktieren Ölpreisbewegungen am Spotmarkt die Inflationserwartungen.

Ölpreis durch Nachfrage oder Angebot bestimmt?

Die Inflationssorgen der EZB werden durch die Turbulenzen an den Finanzmärkten verstärkt. Im bisherigen Jahresverlauf war die Marktstimmung vorrangig risikoscheu – vorsichtig ausgedrückt.

Der Euro-Stoxx-50-Aktienindex hat bislang mehr als 13 Prozent eingebüsst und die Euro-Investment-Grade-Credit-Spreads haben sich um rund 20 Basispunkte geweitet. Bei der Bewertung risikoreicherer Anlageklassen scheint erneut der Ölpreis der dominierende Faktor zu sein.

Aktuell sieht es so aus, als würde es keine Rolle mehr spielen, ob der Ölpreis nachfragebedingt (dies wäre tatsächlich ein Grund zur Sorge) oder auf Grund des wachsenden Angebots nachgibt.

Man erinnere sich nur an die Marktreaktion, als die überraschend schnelle Aufhebung der Iran-Sanktionen bekanntgegeben wurde. Die positiven Folgen für die Weltwirtschaft, die sich durch die Öffnung eines Landes mit annähernd der Bevölkerungszahl Deutschlands für Handels- und Investmentströme ergeben – der geplante Kauf von über 100 Airbus-Flugzeugen ist da nur die Spitze des Eisbergs – wurden mühelos von der Aussicht einer Erhöhung des Rohölangebots in den Schatten gestellt.

Deutschland profitiert direkt

Zudem kümmert es die Märkte anscheinend wenig, ob ein Land oder eine Branche bei Öl «short» oder «long» ist. Deutschland ist beispielsweise einer der weltweit grössten Nettoimporteure von Öl (also «short») und deckt sich jährlich laut dem Energy Atlas der International Energy Agency mit ungefähr 110 Millionen Tonnen Rohöleinheiten ein.

Billigeres Rohöl senkt die Kosten für deutsche Unternehmen und Verbraucher gleichermassen, so dass das gesparte Kapital andernorts investiert respektive konsumiert werden kann. Bei ansonsten gleichbleibenden Bedingungen sollte die deutsche Wirtschaft daher unterm Strich vom niedrigen Ölpreis profitieren.

Dessen ungeachtet kann man zur Zeit mit hoher Wahrscheinlichkeit davon ausgehen, dass an einem Tag, an dem der Rohölpreis am Spot-Markt fällt – aus welchem Grund auch immer – eine Hausse bei den Renditen auf deutsche Staatsanleihen einsetzt und der DAX in die Verlustzone rutscht. Ähnliche Mechanismen greifen auch für viele andere Länder.

EZB-Ölkauf jenseits der Möglichkeiten?

Die Marktobsession mit dem Ölpreis ist keine gute Nachricht für die EZB. Sie wird nach ihrer Fähigkeit beurteilt, die Inflation nahe bei 2 Prozent zu halten und stabile Marktverhältnisse zu fördern.

Will die EZB glaubwürdig bleiben, so müsste sie eigentlich den Ölpreis kontrollieren. Dies ist jedoch jenseits der Möglichkeiten einer Zentralbank. Oder etwa nicht?

Vielleich sollte die EZB auf ihrer Ratssitzung im März verkünden, dass ihr quantitatives Lockerungsprogramm mit sofortiger Wirkung auf den Kauf von Rohöl ausgeweitet wird. Die EZB kauft derzeit jeden Monat Vermögenswerte in Höhe von 60 Milliarden Euro, also täglich für 2 Milliarden Euro.

Wenn nur ein Prozent dieses Betrags, schlappe 20 Millionen Euro, in Öl investiert würden – seien wir optimistisch und nehmen einen Preis von 35 Dollar pro Barrel an – so käme dies bei einem Wechselkurs von 1.10 Dollar pro Euro rund 630’000 Barrel feinsten Rohöls gleich.
Die EZB würde somit also die prognostizierten 500’000 Barrel pro Tag, mit denen Iran die Märkte unlängst aufschreckte, mehr als kompensieren.

EZB-Zentrale als Ölspeicher?

Es wäre übrigens nicht das erste Mal, dass eine europäische Institution Güterpreise durch den Aufkauf eines Angebotsüberhangs stützt. Man erinnere sich nur an die berüchtigten «Butterberge» und «Weinseen» der 1980er-Jahre im Rahmen der gemeinsamen Agrarpolitik der EU.

Die Lagerung grosser Mengen Rohöl könnte allerdings ein Problem darstellen: Nehmen wir einmal an, die EZB zeigt sich betont grosszügig und wandelt ihre funkelnagelneue Zentrale in Frankfurt in einen gigantische Ölspeicher um. Wir müssen schliesslich alle Opfer bringen, nicht wahr?

Mit simpler Unterstufen-Geometrie lässt sich auf Basis der Zahlen aus dem EZB-Merkblatt die Lagerkapazität abschätzen: Ungefähr 350’000 Kubikmeter für beide Türme zusammen. Ein solches Reservoir könnte 2,2 Millionen Barrel Öl aufnehmen. Nicht schlecht!

Leider jedoch nicht gut genug, denn der EZB würde bereits nach dreieinhalb Tagen der Öl-Ankäufe der Platz ausgehen. Glücklicherweise gibt es aber noch den Derivatemarkt. Anstatt reale Ölbarrels am Spotmarkt zu kaufen, könnte die EZB in Betracht ziehen, mit Hilfe von Rohöl-Termingeschäften in den Markt einzugreifen.

Gedankenspiel oder Lösung?

Das sind natürlich alles Gedankenspiele, die so wohl nie Realität werden dürften. Alle Verfechter der Parole «Billiges Öl ist immer schlecht!» sollten aber genau auf eine solche unorthodoxe Lösung drängen.

Wenn man wirklich felsenfest davon überzeugt ist, dass fallende Ölpreise in alle Ewigkeit die Inflationsaussichten drücken und die Bewertungen von Anlagewerten zerstören werden, dann gibt es nur eine Lösung: Man sollte konsequenterweise Herrn Draghi beknien, die Ärmel hochzukrempeln und umgehend mit dem Bau von Ölspeichern zu beginnen.